Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Beste Leben
> Junge Menschen haben es auch nicht leicht. Stellt sich ihnen
> Blockwartgehabe in den Weg, wird es ganz trist. Ein Bekenntnis.
Bild: Hellblau mit einem Stich ins Trostlose
Ich muss mich entschuldigen. Sorry, Jungs! War nicht okay von mir, echt
jetzt. Meine Begegnung mit euch liegt ein wenig zurück, jetzt erst getraue
ich mir, sie aufzuschreiben.
Vorwegschicken muss ich noch, dass ich da, wo ich wohne, schon recht lange
wohne, genauer gesagt, bin ich zusammen mit den Nachfahren Adenauers, also
der damaligen Bundesregierung, im September 1999 in die damals
nigelnagelneue deutsche Hauptstadt gezogen. Zwar kam ich nicht aus Bonn,
sondern aus München nach Berlin, aber das tut für diese Geschichte hier
nichts zur Sache. Warum erzähle ich es dann eigentlich? Jetzt muss ich mich
erneut entschuldigen, weil, Abschweifen geht gar nicht, davon strotzen
Kolumnen weltweit. Schluss damit.
Nur eins noch: Ich habe in den fast 22 Jahren, die ich nun in dieser
ausgedehnten Brache namens Berlin im immer gleichen Mietshaus im einst voll
unhippen, jetzt voll hippen Neukölln lebe, gewisse Hauswart-, ja fast schon
Blockwartqualitäten erworben. Hiermit ist es raus, und ich bekenne mich
dazu. Wer den Hof dicht mit Kaugummis pflastert, konstant in die Ecke
spuckt oder alle Nachbarn schalltechnisch an einer nächtlichen Zoomschalte
mit hinter dem Polarkreis oder Beate Uhse teilnehmen lässt, der oder die
kennt mich.
Also Jungs, hier soll es aber jetzt endlich um euch gehen. Ihr wart zu
dritt, pi mal Daumen rund 39 Jahren jünger als ich, Ihr zähltet etwa 13
Lenze. Es war helllichter Tag, ein Sommertag ohne Unbill; ich schlenderte
hinein in den Hinterhof, dort wo unser Hausmeister, so was gibt es noch,
seine Blumen liebt und ich die Blumen auch. Was erblickte mein spießiges
Aufseherherz? Euch Jungs, auf dem Garagendach mit Spraydosen in der Hand!
Gerichtet auf Wuchslöcher des sich an der hohen Brandmauer rankenden, von
mir verehrten, romantischen Weinlaubs, so beiläufig raschelt es, geht der
Wind durch es durch.
Ich so: „Was macht ihr da?“ Ihr so: „Nix!“ Ich so: „Ihr sprayt da nix…
verstanden?“ Ihr so: „Aye, die Alte nervt!“ Ich so: „Verschwindet!“ In
einem Jungsgesicht glaubte ich im erstaunlich zügigen Abgang übers
Garagendach Richtung Loch zum Bolzplatz einen Anflug von Furcht zu
erkennen, doch recht sicher handelte es sich bei diesem angenommenen
Sachverhalt einfach nur um präseniles Wunschdenken meinerseits.
Sorry, Jungs! War nicht okay von mir, echt jetzt. Denn was sah mein
armseliges Blockwarthirn nach eurem Weitsprung zum Bolzplatz hin? Es sah an
der Brandmauer ein zierliches, fast schön zu nennendes Graffito. Grün auf
Schwarz stand da – und ordentlich geschrieben war es auch: „BESTE LEBEN“.
Tja, Jungs, was soll ich sagen? Asche auf mein Haupt, Ihr habt den Bogen
raus! Ihr seid die Zukunft! Und die Zukunft ist natürlich grün-schwarz
wahlweise schwarz-grün! BESTE LEBEN: Ich bin gerührt von eurem schnaften
Schriftzug, und Annalena und Armin wären es auch. Blöd nur, dass sie nichts
von euch Hinterhofpropheten wissen.
23 Jul 2021
## AUTOREN
Harriet Wolff
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Graffiti
Briefwahl
IAA
Kolumne Die Wahrheit
Kanzleramt
Armin Laschet
Die Wahrheit
## ARTIKEL ZUM THEMA
taz-Autor:innen und die Wahl: Ey, Mann, echt jetzt, spinnst du!
Im heimeligen Berliner Späti und auf dem partiell hippen Neuköllner
Trottoir sind die Wahlentscheidungen bereits gefallen. Eindrücke unserer
Autorin.
Die Wahrheit: Das Quartett ist komplett
Am Sonntag endet die Automesse IAA in München, bis dahin wird ausgiebig und
selbstverständlich klimaneutral gekartelt.
Die Wahrheit: Hallo, hier ist Mike
Der König der ehrbaren Zunft der Flaschensammler fährt in Berlin einen
lindgrünen VW Jetta. Sein Kofferraum birgt ein ausgeklügeltes
Ordnungssystem.
Die Wahrheit: Atemlos durch die Diss
Nach Plagiatsvorwürfen gegen deutsche Politiker geraten auch immer mehr
Unterhaltungskünstler in diffizile Gewässer.
Die Wahrheit: Auf den blinden Hund gekommen
Warum die einstige Volkspartei CDU eine neue Erzählung braucht. Und welche
gewichtige Rolle Claus Dieter Unfug dabei spielt.
Die Wahrheit: Der Tag der unverrichteten Dinge
Wie sieht’s aus, heute schon was geschafft? Ein Beitrag zur dringenden
Feier der Prokrastination am „Tag der unverrichteten Dinge“.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.