| # taz.de -- Buch von Bernhard Hanneken: Folk gegen die Obrigkeit | |
| > In den 1960er Jahren setzte in Ost wie West ein Folkrevival ein. Bernhard | |
| > Hanneken untersucht in seinem Buch „Deutschfolk“ die Hintergründe. | |
| Bild: Die Ost-Band Folkländer bei einem Auftritt im Klub Impuls in Prenzlauer … | |
| Es gab einmal den Wunsch nach einer besseren Volksmusik – die jugendlich | |
| war, rebellisch und international anschlussfähig. „Deutschfolk“ nannte sich | |
| das Phänomen, das in den 1970er-Jahren beiderseits der innerdeutschen Mauer | |
| auftauchte. Der Journalist und Festival-Macher [1][Bernhard Hanneken] hat | |
| es nun in einem dicken Buch beschrieben. | |
| Das Folkrevival kam aus den USA. In den 1960er Jahren war ein Folksong vor | |
| allem ein Protestsong mit akustischer Gitarre. Bob Dylan und Joan Baez | |
| waren die Stars. In Europa entdeckten dann auch Engländer:innen und | |
| Ir:innen, wie traditionelle Musik revitalisiert werden kann. | |
| Die Suche nach dem deutschen Folksong begann 1964 im Hunsrück bei den | |
| Festivals auf der Burg Waldeck. Hier starteten Liedermacher wie Franz Josef | |
| Degenhardt und Reinhard Mey ihre Karrieren. Auch spätere Deutschfolk-Helden | |
| wie Hannes Wader und Walter Mossmann waren schon dabei. Die Lieder waren | |
| poetisch oder politisch, auf jeden Fall selbst geschrieben. | |
| Zehn Jahre später tourten erste irische Bands in ganz Europa. Sie | |
| veränderten mit ihren Rebelsongs und ihren virtuosen Jigs und Reels das | |
| Leben vieler Musiker:innen, die jetzt auch Folk spielen wollten und nach | |
| einem eigenen Zugang suchten. Die bürgerlichen deutschen Volkslieder, die | |
| in Schulbüchern und Gesangsvereinen gepflegt wurden, sollten es nicht sein. | |
| Interessant waren aber die Lieder der gescheiterten 1848er-Revolution, etwa | |
| das „Bürgerlied“ oder „Die freie Republik“, ebenso die Sammlung des | |
| Ostberliner Forschers Wolfgang Steinitz („Deutsche Volkslieder | |
| demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten“). | |
| Die wichtigsten Bands waren damals Fiedel Michel, Elster Silberflug, | |
| Liederjan und Zupfgeigenhansel. Letztere verkauften einige 100.000 LPs. | |
| Bemerkenswert für Autor Hanneken, dass alle Bands angloamerikanische | |
| Spieltechniken übernahmen, etwa das Fingerpicking an der Gitarre. | |
| ## Singebewegung | |
| Das sei nicht die übliche Evolution von Volksmusik gewesen, sondern eine | |
| frühe Fusion mit anderen Stilen. Wichtiger als die Musik waren oft aber die | |
| Texte. Hanneken sieht den Deutschfolk West als Teil der aufkommenden | |
| Umwelt- und Alternativbewegung. | |
| In Ostdeutschland hatte die Staatspartei SED 1965 die aufkommende Beatmusik | |
| verboten. Stattdessen wurde eine Singebewegung mit Tausenden Singeklubs | |
| unter dem Dach des Jugendverbands FDJ verordnet. | |
| Aus dieser Singebewegung entwickelte sich Mitte der 1970er-Jahre die | |
| ostdeutsche Folkszene. Auch hier hatten irische Bands, die in der DDR | |
| touren durften, die Initialzündung gegeben. Gruppen wie Folkländer, | |
| Brummtopf, Wacholder und Landluper entstanden. Jährlich trafen sie sich in | |
| Leipzig zur gemeinsamen Folkwerkstatt. | |
| Als 1976 der [2][Sänger Wolf Biermann] ausgebürgert wurde, wussten die | |
| DDR-Liedermacher nicht mehr, wo die Grenzen zum Verbotenen lagen. Diese | |
| Lücke füllten die Folkies mit ihren historischen Liedern, insbesondere aus | |
| der Steinitz-Sammlung. | |
| ## Missbrauch der Volksmusik | |
| Weil das Volkslied in der DDR als „Kunst der unterdrückten Massen“ galt und | |
| als gerechte Anklage gegen Fürsten und Pfaffen, konnte man sich nun bequem | |
| darauf berufen, so der damalige Folkländer-Sänger Jürgen B. Wolff. Das | |
| Publikum verstand schon, welche Obrigkeit tatsächlich gemeint war. Dabei | |
| war die DDR-Folkszene zwar irgendwie oppositionell, sie wollte den | |
| Sozialismus aber nicht abschaffen, sondern verbessern. Teilweise wurde die | |
| Szene sogar staatlich gefördert. | |
| Doch Anfang/Mitte der 1980er-Jahre hatte sich der deutsch-deutsche Folkboom | |
| totgelaufen. Viele Musiker und auch größere Teile des Publikums hatten | |
| genug. „Ein Soldatenlied ist ein Soldatenlied, und selbst wenn es 50 gibt, | |
| reicht es, wenn man drei kennt. Dann ist das Thema durch“, argumentierte | |
| Jürgen B. Wolff. | |
| „Deutschfolk“ ist nicht das erste Buch über das deutsche Folkrevival. Aber | |
| es ist wohl das erste, das die Entwicklung in West- und Ostdeutschland | |
| gleich intensiv darstellt. Hanneken war in den 1980er-Jahren Chefredakteur | |
| des westdeutschen Szenemagazins Folk-Michel und ist seit 1990 | |
| Programmdirektor des Rudolstadt-Festivals in Thüringen. | |
| Er hat es gemeinsam mit Leipziger Musikern zum führenden deutschen | |
| Weltmusikfestival aufgebaut. Hanneken umkreist das Sujet Deutschfolk sehr | |
| gründlich, von der Erfindung des „Volkslieds“ durch Johann Gottfried Herder | |
| Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Missbrauch der Volksmusik durch den | |
| volkstümlichen Schlager heutzutage. | |
| Ausgerechnet das Repertoire der 1848er-Revolution wird nun auch von | |
| Rechtsradikalen wie dem NPD-Liedermacher Frank Rennicke feindlich | |
| übernommen. Das oft nationale Pathos dieser Lieder lässt sich eben auch gut | |
| völkisch aufladen. Noch interessanter seien für Rechtsextremisten aber | |
| Lieder, die die Bauernkriege im 16. Jahrhundert thematisieren, hat Hanneken | |
| festgestellt. | |
| 19 Jul 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Archiv-Suche/!3197577&s=Bernhard+Hanneken&SuchRahmen=Print/ | |
| [2] /Wolf-Biermanns-neuer-Novellenband/!5578547 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
| ## TAGS | |
| Folk | |
| Liedermacher | |
| DDR | |
| BRD | |
| Ghana | |
| Liedermacher | |
| Schwerpunkt 1968 | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Schwarze Musikerin über Musikmarkt: „Afropop hat die Welt übernommen“ | |
| Die Kieler Musikerin Adi Amati tritt bei „21 Sunsets“ in Berlin auf. Hier | |
| spricht sie über ihren Umzug nach Accra und über den deutschen Musikmarkt. | |
| Neues Album von Kai Degenhardt: Altbacken, aber schön | |
| Ein bisschen aus der Zeit gefallen, aber irgendwie okay: Der Liedermacher | |
| Kai Degenhardt hat ein neues Album, „Auf anderen Routen“, veröffentlicht. | |
| Die 68er-Bewegung: Aufrührerisch, schamlos, frech … | |
| … und doch auch ganz anders: Die 68er wollten Spaß und Freiheit. Vor allem | |
| wollten sie alles Autoritäre zur Seite fegen – nicht nur an den | |
| Hochschulen. | |
| Liedermacher Reinhard Mey: "Waldeck war Sehnsucht" | |
| Lieder, die nicht so piefig waren wie Schlager, wurden in den Sechzigern | |
| auf einer Burg im Hunsrück gespielt. Als die Politik kam, war alles aus. | |
| Reinhard Mey erinnert sich. |