# taz.de -- Erinnerungsstätte in Brandenburg: Niemandsland mit Erinnerungen | |
> Bogensee im Norden von Berlin ist ein geschichtsträchtiger Ort. Nun gibt | |
> es zumindest einen Online-Rundgang durch das geschlossene Areal. | |
Bild: Die ehemalige Jugendhochschule der FDJ am Bogensee bei Barnim im Land Bra… | |
Berlin taz | Der Bogensee ist ein Ort der Zeitgeschichte: 1936 verschenkte | |
die Stadt Berlin, der das nördlich von Berlin gelegene Areal seit 1919 | |
gehört, das Grundstück an ihren Gauleiter und Reichspropagandaminister | |
Joseph Goebbels auf Lebenszeit. Er errichtete dort zunächst seinen | |
Landsitz, in Kriegszeiten zog sein Ministerium ein. Nach Kriegsende erbaute | |
die DDR riesige Zuckerbäckerhäuser für die Jugendhochschule der FDJ. Seit | |
der Jahrtausendwende ist der Ort verwaist und verfällt. | |
Damit an diesem historisch belasteten Ort Bildungsarbeit stattfinden kann, | |
hat das Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam am Mittwoch | |
eine Onlineausstellung dazu eröffnet. Unter [1][www.bogensee-geschichte.de] | |
kann man acht Orte auf dem knapp 500 Hektar großem Areal anklicken und sich | |
durch historische Erläuterungen, Dokumente, Fotos und Erinnerungen von | |
Zeitzeugen klicken. „Ein Niemandsland wird immer mit Erinnerungen besetzt | |
sein“, sagte der Historiker Jürgen Danyel auf dem Symposium zur Eröffnung | |
der Online-Ausstellung. „Die Frage ist nur, wer das tut.“ Soll heißen: Man | |
will es nicht den Goebbels-Fans überlassen, den Ort zu vereinnahmen. | |
Für das Land Berlin, dem das Grundstück gehört, ist Bogensee eine Zahl. | |
Eine Viertel Million. So hoch sind die Kosten, die Berlin jährlich in | |
Erhalt und Bewachung des verwaisten Grundstücks steckt. Wenn die | |
Brandenburger Denkmalschutzbehörden wieder mal eine Begehung mit Auflagen | |
zum Erhalt der denkmalgeschützten Gebäude machen, steigt die Zahl auf rund | |
eine Million. So eine Begehung steht demnächst an. Nach Angaben des | |
Brandenburger Kulturministeriums wurde diese coronabedingt schon mehrmals | |
verschoben. | |
Johanna Steinke von der Berliner Immobilienmanagement GmbH macht kein | |
Geheimnis daraus, dass sie den Auftrag der Berliner Politik hat, die Summe | |
zu verringern. Ihre Behörde hat darum eine Machbarkeitsstudie in Auftrag | |
gegeben, wie die Immobilie sich rechnet. Das Ergebnis heißt: Großflächiger | |
Wohnungsbau mitten im Wald plus Ansiedlung von Firmen. „Wir müssen über | |
alle Optionen reden. Das schließt auch einen möglichen Abriss nicht aus“, | |
sagt sie der taz. | |
## Abriss undenkbar | |
Doch mit beiden Vorschlägen beißt sie in Brandenburg auf Granit. Für einen | |
Abriss der denkmalgeschützten Gebäude sieht das Kultusministerium keinen | |
gesetzlichen Spielraum. Und für ein Wohnquartier sieht der parteilose | |
Wandlitzer Ortsbürgermeister Oliver Borchert „mit Sicherheit keine Mehrheit | |
in der Gemeindevertretung“. Die müsste dazu den Flächennutzungsplan ändern. | |
Ein Patt also. | |
Und genau das wollen die Potsdamer Historiker auflösen. „Für Historiker | |
sind Abriss und weitere Vernachlässigung keine Option“, stellt Jürgen | |
Danyel klar. Ein Feuer im Jahre 2015 hat bereits ein kleines Haus am See | |
aus der Goebbels-Ära, in das später die Forstverwaltung eingezogen war, | |
zerstört. An den anderen Gebäuden nagt der Zahn der Zeit. | |
Danyel appelliert an das Land Berlin: Das müsse das Areal aus der | |
Immobilienverwertung herauslösen und es zu einem Ort der Zeitgeschichte | |
machen. Es würde sich im Barnim in eine „Landschaft der Macht“ einfügen, | |
wozu Danyel auch die Waldsiedlung Wandlitz zählt, dem Wohnort der | |
SED-Führung, sowie Carinhall, das Gut von Hermann Göring, einem der | |
einflussreichsten NS-Politiker. | |
Ein Ort der Zeitgeschichte, das ist Danyel klar, rechnet sich nicht für das | |
Land Berlin. Zumindest nicht wirtschaftlich. Es müsse eine Debatte | |
beginnen, wie das finanzierbar sei. Und dazu wollen die Historiker einen | |
Runden Tisch installieren und mit kleinteiligen Zwischenlösungen beginnen: | |
Historische Führungen, temporäre Ausstellungen in der Goebbels-Villa zur | |
Propagandageschichte, Stelen, ein Wegeleitsystem und eine Beschriftung der | |
Zufahrtswege. „Langfristig sollten wir das Goebbels-Haus als | |
Erinnerungsstätte in Zusammenarbeit mit der Topografie des Terrors | |
entwickeln,“ sagt Danyel. | |
Johanna Steinke von der Immobilienmanagement GmbH zeigt sich zumindest für | |
Führungen offen. Vor einem Jahr hatte sie gegenüber der taz auch das noch | |
strikt abgelehnt, in der Meinung, jeder Besucherverkehr führe zu | |
Vandalismus. Alle anderen Vorschläge allerdings seien | |
versicherungstechnisch nicht machbar, sagt sie. Wenn ein Besucher über eine | |
Baumwurzel oder eine lose Gehwegplatte stolpere, hafte das Land Berlin. | |
Bürgermeister Oliver Borchert appellierte an Berlin: „Sie haben so schöne | |
Universitäten. Machen Sie aus Wandlitz ein Unidorf, wenn eine Universität | |
ein neues Gebäude braucht.“ | |
2 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://bogensee-geschichte.de/ | |
## AUTOREN | |
Marina Mai | |
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