| # taz.de -- Spätis und das Ladenöffnungsgesetz: Der Späti und die Sonntagsfr… | |
| > Droht Berlin das Ende der Späti-Kultur? Das Verbot, an Sonn- und | |
| > Feiertagen zu öffnen, macht vielen Läden das Leben schwer. | |
| Bild: Schon auch mal geschlossen: ein Späti in Prenzlauer Berg | |
| Berlin taz | Ich kann mich immer noch nicht daran gewöhnen, dass im Späti | |
| direkt bei meinem Haus sonntags immer die Rollläden unten sind. Die ganzen | |
| Gestalten, die unter der Woche sonst ständig vor dem Laden hocken, | |
| miteinander quatschen und das ein oder andere Bier trinken: Wo sind die | |
| jetzt eigentlich an den Sonntagen? Und vor allem: Wo krieg ich überhaupt | |
| noch meine Sonntagszeitung her, ohne die ein spätes Sonntagsfrühstück keine | |
| echte Freude machen will? | |
| Seit ungefähr zwei Jahren macht mein Späti sonntags nicht mehr auf. Wie so | |
| viele andere in Berlin auch nicht. 2019 stellte das Berliner | |
| Verwaltungsgericht noch einmal klar, dass Spätis „sonntags grundsätzlich | |
| nicht öffnen dürfen“. Die Ordnungsämter in den Bezirken kontrollieren | |
| seitdem noch ein Stück schärfer, dass das Ladenöffnungsgesetz eingehalten | |
| wird. | |
| Dass Spätis sonntags öffnen, war vorher zwar normal in Berlin, legal war es | |
| freilich nie. Es wurde geduldet. Mit diesem Zustand ist es nun ein großes | |
| Stück weit vorbei. | |
| So richtig blickt aber bei der Sonntagsfrage der Spätis niemand mehr durch. | |
| Mein Haus-Späti befindet sich in Friedrichshain-Kreuzberg. Eigentlich „der | |
| beste Bezirk für Spätis in Berlin“, wie Alper Baba vom Verein Berliner | |
| Späti e. V. glaubt, „denn die haben hier andere Probleme, als Spätis zu | |
| kontrollieren.“ Zig Spätis in diesem Bezirk haben vielleicht auch deswegen | |
| einfach weiter geöffnet an den Sonntagen. Viele aber eben auch nicht. | |
| Tekin, der Betreiber meines Haus-Spätis, der findet, sein Nachname müsse | |
| nicht unbedingt in die Zeitung, sagt jedoch, er habe keine Lust darauf, | |
| etwas Illegales zu machen. Außerdem habe er Angst vor Kontrollen. Die | |
| Strafen, die man zahlen muss, wenn man gegen das Ladenöffnungsgesetz | |
| verstößt, können happig sein. | |
| Wer mehrmals erwischt wird, müsse bis zu 15.000 Euro zahlen, so | |
| Späti-Sprecher Baba. Außerdem drohe der Entzug der Lizenz einen Laden | |
| betreiben zu dürfen. Wer also ein paar Mal zu oft sonntags einen | |
| Mitarbeiter des Ordnungsamtes in seinem Shop stehen hat, dem droht der | |
| Verlust seiner beruflichen Existenz. | |
| Das Kuddelmuddel aus Repression und Duldung bei der Sonntagsfrage wurde in | |
| den vergangenen Jahren immer undurchschaubarer. Ist die Lage laut Baba in | |
| Friedrichshain-Kreuzberg eher gechillt, gehe es in Neukölln und | |
| Charlottenburg-Wilmersdorf besonders streng zu. Wie scharf das Verbot | |
| verfolgt wird, ist letztlich willkürlich. | |
| Ähnlich unübersichtlich ist auch die Positionierung der Parteien zur | |
| Späti-Sonntagsfrage. Die Linke und die SPD seien eher gegen eine | |
| Liberalisierung, glaubt Baba. Die FDP und die Grünen eher dafür. Die CDU | |
| immerhin ziemlich gesprächsbereit. Die AfD, falls das jemanden | |
| interessiert, ist klar dagegen. Doch dann wiederum gibt es mit Stephan von | |
| Dassel, dem Bezirksbürgermeister von Mitte, einen prominenten Politiker der | |
| Grünen, der klar gegen die Sonntagsöffnung der Spätis ist. Während die | |
| Linken in Pankow sich gegen die eigentliche Linie der eigenen Partei und | |
| damit für die Öffnung positionieren. | |
| Späti-Besitzer Tekin sagt, sein Geschäft laufe nicht mehr richtig, seit er | |
| sich aufgrund des Behördendrucks dazu genötigt fühlt, gesetzeskonform an | |
| den Sonn- und Feiertagen nicht mehr zu öffnen. Sein Späti befindet sich | |
| eigentlich in einer guten Lage, viele Partytouristen zum Beispiel sind hier | |
| unterwegs. „Aber wenn meine Frau nicht als Lehrerin arbeiten und Geld | |
| verdienen würde, hätte ich schon längst aufgegeben.“ Ein Späti, der | |
| sonntags nicht öffnen darf, wenn er aufgrund der geschlossenen Supermärkte | |
| das größte Geschäft der Woche machen könnte, lohne sich kaum noch. | |
| Inzwischen hat er eine Postfiliale in seinem Laden eingerichtet, die würde | |
| immerhin ein wenig finanziellen Ausgleich bringen. | |
| Laut Baba ist die Zahl der Kleinstläden von 2013 bis heute, also seit sich | |
| der Druck auf die Spätis erhöht hat, von ungefähr 2.000 auf 1.000 | |
| heruntergegangen. Die Hälfte von ihnen ist nach dieser Rechnung also schon | |
| verschwunden. Der Späti, diese Urberliner Institution, scheint also | |
| tatsächlich langsam auszusterben. Ausgerechnet der Späti, der zu Berlin | |
| gehört wie der Fernsehturm und doch eigentlich schon immer zum Stadtbild | |
| gehört hat. | |
| Was freilich so gar nicht stimmt. „In den 1980er Jahren gab es noch gar | |
| keine Spätis in Berlin“, sagt Baba, „da gab es nur Lotto-Toto-Läden.“ D… | |
| Späti sei eigentlich eine Errungenschaft der DDR. | |
| Als Spätkauf etablierte er sich in Ostberlin, um es | |
| Schichtarbeiter*innen zu ermöglichen, auch noch nach dem Ladenschluss | |
| der übrigen Geschäfte, Dinge für den täglichen Bedarf zu erwerben. „Erst | |
| nach der Wende breiteten sich die Spätis, wie wir sie heute kennen, in ganz | |
| Berlin aus“, so Baba. Vor allem Migrant*innen hätten das | |
| DDR-Spätkauf-Konzept hin zum Späti entwickelt. | |
| Die migrantische Prägung der Geschäfte hält er auch für einen der Gründe, | |
| warum er und seinesgleichen gerade diese Repressionen erfahren würden. | |
| Er, der selber gemeinsam mit seinen Brüdern insgesamt vier Spätis über die | |
| Stadt verteilt betreibt, sagt: „Wären die Spätis mehrheitlich nicht in der | |
| Hand von Leuten mit Migrationshintergrund, gäbe es diese Probleme nicht.“ | |
| Baba argumentiert grundsätzlich: „Wer an Berlin denkt, denkt an Spätis.“ | |
| Und das dürfe sich nicht ändern, wenn Berlin konkurrenzfähig bleiben wolle | |
| mit anderen europäischen Metropolen wie London, Paris oder Madrid. Er | |
| selbst habe diese Städte bereits besucht und dort gebe es 24-Stunden-Läden, | |
| die auch sonntags geöffnet haben. | |
| Baba kämpft nun mit seinem Verein weiter gegen das Ladenöffnungsgesetz. Den | |
| Handelsverband Berlin-Brandenburg weiß er dabei auf seiner Seite. Die | |
| Gewerkschaft Verdi aber, die Angst davor hat, eine weitere Liberalisierung | |
| könne allgemein auf Kosten von Arbeitnehmer*innen gehen, die dann | |
| nicht mehr automatisch wenigstens einen Tag in der Woche sicher frei | |
| hätten, hat er gegen sich. | |
| „Gleiches Recht wie Tankstellen und Bahnhofsgeschäfte“, die sonntags | |
| geöffnet haben dürfen, wünscht Baba sich. Zig Petitionen wurden bereits | |
| erstellt, die das Anliegen unterstützen. Auch einen Volksentscheid könne er | |
| sich gut vorstellen, sagt er. Mit der Kampagne „Deutsche Wohnen & Co | |
| enteignen“ sei er bereits in engem Kontakt, um zu erfahren, wie man einen | |
| solchen auf den Weg bringt. | |
| „Berlin ist bunt, Spätis sind bunt, das gehört zusammen“, sagt Baba. Und | |
| die Teilung von irgendetwas, das zusammengehört, kann in dieser Stadt doch | |
| eigentlich niemand mehr wollen. | |
| 21 Jul 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Hartmann | |
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