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# taz.de -- Protest gegen Nestlé in Belarus: Keine Werbung im Lukaschenko-TV
> Menschenrechtler kritisieren Nestlé für seine Werbespots im
> belarussischen Staatsfernsehen. Deutsche Firmen liefern dem Regime Autos
> und Turbinen.
Bild: Nackter Protest: Regimekritiker im Juni vor der EU-Vertretung in Warschau
Kiew taz | Sie haben nachgezählt: Jeder dritte der Werbespots im
Staatsfernsehen kommt von Nestlé. Mit dem Geld des weltgrößten
Nahrungsmittelkonzerns würden Sender finanziert, die Interviews mit der vom
belarussischen Staat bei einer Flugzeugentführung gekidnappten Journalisten
und Aktivisten Roman Protassewitsch führten. Das kritisieren mehr als 50
Nichtregierungsorganisationen aus 18 Ländern in einem [1][offenen
Brief an Nestlé-Verwaltungsratspräsident Paul Bulcke und an Konzernchef
Mark Schneider].
„Unerträglich, dass Nestlé im Umfeld erschreckender Zurschaustellung
verängstigter und misshandelter Regimegegner Werbung ausstrahlt“, findet
Lars Bünger, Präsident der deutsch-schweizerischen
Menschenrechtsorganisation Libereco, die den offenen Brief koordiniert
hat. Wenn Nestlé und andere westlichen Unternehmen die Werbung nicht
umgehend abstellten, machten sie sich „mitschuldig an den Verbrechen des
Lukaschenko-Regimes“.
Es geht nicht nur um den Schweizer Konzern Nestlé. Deutschland gehört laut
dem belarussischen Wirtschaftsmedium [2][neg.by] zu den fünf wichtigsten
Handelspartnern des Landes. An erster Stelle stehen Petroprodukte und Holz.
302 Firmen sind laut neg.by in Belarus registriert, deren Kapital zumindest
teilweise in deutscher Hand ist. 90 deutsche Firmen, darunter Siemens,
Bayer, BASF und VW haben sogar eine Vertretung in Belarus. Allein der
Duisburger Hafen hat hier 30 Millionen Euro investiert.
Allerdings hat die EU im Juni das vierte Sanktionspaket gegen Belarus
verhängt. Die Handelsbeschränkungen betreffen Mineralölerzeugnisse,
Kaliumchlorid, Tabakerzeugnisse und den Zugang zu den Kapitalmärkten der
EU. „Die Sanktionen gegen das Regime bieten die Chance, die Gewalt zu
stoppen und Unschuldige freizulassen“, sagt Oppositionsführerin Swetlana
Tichanowskaja. Es sei wichtig, den Geldbeutel des Regimes zu treffen.
## Besser Investitionen ins „neue Belarus“
„Die deutschen Unternehmen sollten vorübergehend die Zusammenarbeit mit den
entsprechenden wirtschaftlichen Sektoren in Belarus einstellen und
abwarten, bis sie ins ‚neue Belarus‘ investieren können“, sagt auch Pawel
Latuschko, Chef des „Anti-Krisen-Managements“ und führender Kopf der
Oppositionsbewegung, der taz.
Das Argument, die Sanktionen träfen die kleinen Leute, ist für ihn
„scheinheilig“. „Es sind die kleinen Leute, die momentan zu Tausenden in
Gefängnissen sitzen, erpresst, gefoltert und gefeuert werden.“
Auch Franzischak Wjatschorka, Tichanowskajas Berater, fordert
„allumfassende Sanktionen“. Er bedauert, dass die aktuellen Strafmaßnahmen
der EU sich nur auf Verträge beziehen, die nach dem 25. Juni 2021
geschlossen wurden.
„Wieso hat Mercedes für zwei Millionen Euro Wagen der Luxusklasse für
Lukaschenkos Fuhrpark geliefert, während gleichzeitig Geld für den Kampf
gegen Covid-19 fehlt?“, fragt auch Pawel Latuschko, ehemaliger
Kulturminister von Belarus und einer der bekanntesten Sprecher der
Opposition. Der Westen dürfe Belarus nicht mit Staatsanleihen von über 1
Milliarde Euro finanzieren, sagt Latuschko.
## Balten boykottieren belarussischen Atomstrom
Er kritisiert auch Siemens: Während sich die baltischen Staaten entschieden
haben, belarussischen Atomstrom zu boykottieren, beliefert der Münchner
DAX-Konzern die belarussische „Witebskenergie“ für zwei neue konventionelle
Kraftwerke mit 16 Gasturbinen.
Die erste Turbine ist bereits am 16. Mai in Belarus geliefert worden. Die
neuen Kraftwerke sollen, so berichtet die staatliche Agentur belta.by,
fehlende Reservekapazitäten des im November 2020 ans Netz gegangenen AKW
Ostrowez ausgleichen.
Allerdings sind die Sanktionen auch bei den Regimekritikern nicht
unumstritten: [3][Igar Tischkewitsch, im renommierten Ukrainian Institute
for the Future für Belarus zuständig,] hält den Abbruch legaler
Wirtschaftsbeziehungen sogar für „dumm“. „Nennen Sie mir ein Beispiel der
letzten zwanzig Jahre, das zeigt, dass politische und wirtschaftliche
Sanktionen der EU in zumindest einem Staat der Welt zu politischen
Transformationen geführt haben“, sagt er der taz.
Nicht Präsident Alexander Lukaschenko leide unter den Sanktionen. Über
dunkle Kanäle könne er trotz Sanktionen Waren aus der EU nach Russland
weiterleiten oder mit Waffen und seltenen Erden aus Afrika handeln. Mit dem
dadurch verdienten Geld finanziere er Bereiche des repressiven
Machtapparates, für die im Staatshaushalt kein Geld vorgesehen sei.
## Kleiner Erfolg für NGOs
Die Leidtragenden von Sanktionen sind für Tischkewitsch Geschäftsleute oder
deren Angestellte, die oftmals auch die Politik Lukaschenkos ablehnten.
Firmen, die mit Belarus Handel trieben, sollten ihren belarussischen
Partnern deshalb klar machen, dass sie politische Verfolgung von
Mitarbeitern nicht akzeptieren würden: „Wenn das viele machen, wird man auf
sie hören“, sagt Tischkewitsch.
Immerhin: Einen kleinen Erfolg hat der Protest gegen die Geschäfte mit
Belarus schon gehabt. Nestlé reagierte inzwischen auf den offenen Brief der
NGOs – und hat an diesem Freitag zu einem Gespräch mit hochrangigen
Konzernvertretern eingeladen.
8 Jul 2021
## LINKS
[1] https://www.lphr.org/nestle-finanzierung-staatliches-fernsehen-belarus/
[2] https://neg.by/
[3] https://uifuture.org/en/team/%E2%80%8Bigar-tyshkevich/
## AUTOREN
Bernhard Clasen
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EU
Kolumne Notizen aus Belarus
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