# taz.de -- Geruchsbelästigung zählt nicht für alle: Stunk ums Rote Dorf | |
> Wegen des Gestanks einer Entkoffeinierungsanlage darf eine Brache in | |
> Bremen kein Wohngebiet werden. Ein Wohnheim für Geflüchtete wird aber | |
> geprüft. | |
Bild: Kaffee riecht gut, doch die Entkoffeinierung in der Bremer Coffein Compag… | |
BREMEN taz | Am 31. August 2015, da hat es gestunken am | |
Diedrich-Wilkens-Straße in Hemelingen, gegen 11 Uhr. Auch am 6. Oktober, 23 | |
Uhr stank’s. Und am 25. Dezember, 21 Uhr, ebenfalls. Heute noch | |
nachzuvollziehen ist das, weil zwischen Sommer 2015 und Januar 2016 | |
Geruchsgutachten angefertigt wurden. | |
Das Ergebnis war gravierend genug, um ein neues Wohngebiet auszuschließen. | |
Für Geflüchtete stinkt es aber offenbar nicht so schlimm: Laut [1][einer | |
Vorlage der Baudeputation] wird geprüft, ob das Gelände für ein | |
Übergangswohnheim geeignet ist. | |
Das sogenannte „Rote Dorf“, Containerbauten in verschiedenen Rottönen, | |
stand bis vor einem Jahr an der Nordstraße nahe des Hafenbeckens. Die | |
Nachnutzung als Studierendenwohnheim in Woltmershausen ist gescheitert. Nun | |
rückt die Fläche am östlichen Ende der Diedrich-Wilkens-Straße als Standort | |
in den Blick. | |
Drumherum gibt es Wohngebiete, Luftlinie zweieinhalb Kilometer südlich | |
liegt die Kaffeerösterei von Jacobs und, wichtiger: Nebenan entkoffeiniert | |
die Coffein Compagnie Kaffee. Das erfordert nicht nur den Einsatz | |
krebserzeugender Lösungsmittel, sondern setzt auch einen Geruch frei, der | |
„eher Brechreiz erzeugt, als dass er an Kaffee erinnert“, sagt Jens | |
Dennhardt, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Hemelingen. | |
Bei einem Wohn- oder Mischgebiet sollen laut Geruchs-Imissions-Richtlinie | |
(GIRL) zu höchstens 10 Prozent der Zeit Gerüche wahrnehmbar sein, selbst | |
bei einem Gewerbegebiet sind nur 15 Prozent angesetzt. In der | |
Diedrich-Wilkens-Straße liegt dieser Wert je nach Messpunkt zwischen 23 bis | |
25 Prozent. Fürs Geflüchtetenwohnheim sollen nun andere Regeln gelten. „Das | |
erinnert ein bisschen an den Maskenskandal von Spahn“, findet Dennhardt. | |
## Entschieden ist noch gar nichts | |
Die Behörden wiegeln ab. Vom Bauressort heißt es, entschieden sei nichts, | |
es gebe nur „eine vertiefte Prüfung“. Und bei der Sozialsenatorin, die die | |
Fläche für das Rote Dorf bräuchte, wusste man erst nichts vom | |
Geruchsproblem. „Wenn wir Flächen angeboten kriegen, kennt man ja nicht | |
alle Umstände“, so ihr Sprecher Bernd Schneider. „Wenn jetzt bei der | |
Prüfung rauskommt, das lässt sich nicht nutzen, wird auch nicht gebaut.“ | |
Aber für eine temporäre Nutzung gelten andere Regeln als für dauerhafte | |
Baugenehmigungen. Und die Suche nach einem [2][Platz für ein | |
Übergangswohnheim sei dringend], sagt Schneider. Viele Nutzungsfristen sind | |
ausgelaufen. „Man schlackert mit den Ohren, wie schwer die Suche ist.“ | |
Übergangswohnheime stünden eher dort, wo noch niemand zuvor auf die Idee | |
gekommen sei, ein Haus zu bauen. | |
Bedenken gebe es gegen alle diese Orte. Anwohner*innen sorgten sich, | |
dass die Unterkünfte für die Geflüchteten zu hoch, zu dunkel oder zu laut, | |
manchmal auch nur, dass die Wege in den Bürgerpark zu weit seien. „Ich | |
glaube nicht, dass das Wohl der Flüchtlinge dabei immer im Vordergrund | |
steht“, sagt Schneider. | |
Auch in Hemelingen spielen andere Beweggründe mit hinein. So hebt die | |
Pressemitteilung der lokalen SPD hervor, wie schwer es für den Stadtteil | |
würde, wenn das Rote Dorf tatsächlich käme: „Die Menschen kommen mit ihren | |
Kindern“, steht dort. Die Kitas und Schulen des Stadtteils seien aber | |
„jetzt schon an den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit“. | |
## Der Beirät hätte gern ein Wohngebiet | |
Die simple Formel „Bürger*innen gegen Geflüchtete“ beschreibt den Konflikt | |
aber nicht zureichend. Denn die Bedenken spielen über Bande auch gegen die | |
örtliche Industrie. Jahrelang hatte der Beirat in Hemelingen darauf | |
hingearbeitet, dass auf dem Gelände ein Wohngebiet entstehen könnte. | |
Vergeblich. Mittlerweile gibt es andere Pläne: Ein Park ist im Gespräch, | |
den die Coffein Compagnie mitfinanzieren würde – mit einer „hohen | |
sechsstelligen Summe“, [3][wie der Weser Kurier gehört hat]. | |
Der Bebauungsplan am Diedrich-Wilkens-Weg müsste dafür geändert werden. Der | |
Senat will sich dazu aber noch nicht entscheiden; erst muss geprüft werden, | |
ob eine derart hohe Schenkung überhaupt angenommen werden darf. Zumal ein | |
neuer Park womöglich nicht rein altruistisch motiviert wäre. | |
## Die Coffein Compagnie hat Angst vor Klagen | |
Schon jetzt leben Menschen in unmittelbarer Umgebung der Fabrik. Dass | |
niemand neu dazukommen darf, habe, so glaubt Dennhardt, wohl eher mit Angst | |
zu tun – Angst der Compagnie, von neuen Anwohner*innen verklagt zu | |
werden, und Angst der Stadt, die befürchte, dass die Coffein Compagnie | |
genau deshalb eine neue Wohnbebauung gerichtlich anficht. | |
„Vor der Klage der Flüchtlinge hat die Coffein Compagnie offensichtlich | |
weniger Angst“, sagt Dennhardt, „und die Stadt zum anderen denkt, dass sie | |
bei einer Klage des Unternehmens die Container ja wieder beseitigen kann.“ | |
Einen Lichtblick gibt es, abseits aller Klagen, zumindest: Vor kurzem hat | |
die Coffein Compagnie [4][im Beirat angekündigt,] dass sie ab 2022 | |
technisch aufrüsten will: Mit Biofiltern und einem Ionisierungsverfahren | |
soll der Geruch aus den Anlagen dann etwas besser werden. | |
10 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://sd.bremische-buergerschaft.de/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZRjnNiuL… | |
[2] /Gefluechtete-im-Heim-alleine-gelassen/!5668846 | |
[3] https://www.weser-kurier.de/bremen/stadtteil-hemelingen/hemelingen-uebergan… | |
[4] https://www.weser-kurier.de/bremen/stadtteil-hemelingen/hemelingen-bald-wen… | |
## AUTOREN | |
Lotta Drügemöller | |
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