# taz.de -- Queere Miniserie „It’s a Sin“: Wahrhaftig leben | |
> Russel T Davies' Miniserie „It’s a Sin“ erzählt die Geschichte von fü… | |
> Freund*innen. Sie spielt während der Aids-Krise in den 1980ern. | |
Bild: Tieftraurig, doch voller Lebenslust: Ritchie Tozer (Olly Alexander) | |
Man kann ihn getrost als eine Koryphäe des britischen Fernsehens | |
bezeichnen: Russel T Davies, verantwortlich für die Neuauflage von „Doctor | |
Who“ und deren Ableger „Torchwood“. Bereits um die Jahrtausendwende | |
kreierte er mit „Queer as Folk“ einen Meilenstein der schwulen | |
TV-Geschichte, in zweifacher Hinsicht: Die Serie rückte schwule Identitäten | |
nicht nur in damals beispielloser Konsequenz in den Fokus, sondern | |
zeichnete ihren Lebensstil als losgelöst und lebensbejahend. | |
Ein Kontrast zum großen Trauma: dem gerade erst überwundenen Höhepunkt der | |
Aids-Krise der 1980er. Exakt dem widmet sich seine aktuelle Produktion | |
„It’s a Sin“ – und wider Erwarten ist das Ergebnis nicht weniger eine | |
Zelebrierung des tatsächlich gelebten Lebens, obgleich Krankheit und Tod, | |
die Brutalität des abrupten Endes dieses Lebens, sich spätestens ab der | |
zweiten Hälfte radikal in den Vordergrund drängen. | |
Zunächst aber verwendet die Miniserie ausreichend Zeit darauf, die drei | |
zentralen Charaktere und ihre individuellen Hintergründe vorzustellen: Der | |
zurückhaltende Colin (Callum Scott Howells) zieht 1981 aus der walisischen | |
Kleinstadt nach London, um eine Ausbildung als Herrenausstatter zu | |
beginnen, und begegnet in seinem Kollegen Henry (Neil Patrick Harris) | |
erstmals einem Menschen, der seine Homosexualität mit seinem langjährigen | |
Partner in Selbstverständlichkeit auslebt; der flamboyante Roscoe (Omari | |
Douglas) wiederum entflieht seinem religiösen Elternhaus, das ihm seine | |
„Dämonen“ notfalls in der nigerianischen Heimat austreiben möchte; und | |
Ritchie (Olly Alexander) treibt es weg von seinem biederen Zuhause auf der | |
Isle of Wight in die Hauptstadt, wo er bald sein Jurastudium schmeißt, um | |
sich dem Schauspiel zu widmen. | |
Er ist der mit dem meisten Sex und der extrovertierte Kern der Gruppe, zu | |
der auch seine Studienfreundin Jill (Lydia West) und sein erster Lover Ash | |
(Nathaniel Curtis) gehören. Nach und nach treffen sie aufeinander und | |
ziehen bald zusammen in eine heruntergekommene Wohnung, die sie „[1][Pink | |
Palace]“ taufen und die fortan zum Mittelpunkt ausschweifender Partynächte | |
werden soll. | |
## Ein leidenschaftliches Plädoyer | |
Doch das langersehnte Gefühl von Freiheit und Zukunftsoptimismus wird früh | |
von einem Schatten überdeckt: Von einer „Schwulengrippe“, die aus den USA | |
herüberschwappt, wird gemunkelt, während das Krankenhauspersonal ratlos | |
gegenüber der plötzlichen Erkrankung von Henrys Partner und schließlich ihm | |
selbst ist. | |
Mit Zeitsprüngen von jeweils zwei bis drei Jahren zeichnet „It’s a Sin“ … | |
fünf Episoden die Entwicklung der Aids-Krise, die bisweilen empörend | |
[2][ignoranten Reaktionen der Politik und Medizin] und die zunächst teils | |
leugnende, später engagierte Antwort der queeren Community einer ganzen | |
Dekade nach. | |
Nicht nur, dass es Davies trotz des hohen Tempos gelingt, facettenreiche | |
Figuren zu entwerfen, über deren Schicksal die Zuschauenden besorgt sind. | |
Es ist eine Glanzleistung seriellen Erzählens. Dass er darüber hinaus wagt, | |
die Krankheit in aller Grausamkeit zu bebildern, erfordert einen gewissen | |
Mut und eine genaue Kenntnis der Zeit: Darüber, wie Erkrankte zunächst | |
ähnlich wie Gefangene in den Krankenhäusern weggesperrt wurden, wie | |
Familien und Freund*innen sich abwandten, wie manche allein dahinsiechten | |
und allmählich ihren Verstand verloren. | |
All das verwoben mit erdrückenden Gefühlen von Scham, Schuld und Strafe, | |
[3][die seit jeher mit HIV-Infektionen verbunden sind]. Autobiographisch | |
inspiriert, ist „It’s a Sin“ eine überwältigende Geschichte über ein b… | |
heute nachhallendes Trauma der LGBTQ-Community, die eine zeitlose Angst vor | |
einem frühen Ende einfängt. Als ein junger Sterbender beseelt von der | |
Schönheit seiner Erfahrungen berichtet, begegnet ihm seine Mutter mit | |
Unverständnis – und man spürt, das darin eine tiefe Wahrheit begründet ist. | |
Nicht etwa, weil sie mit dem „schwulen Lebensstil“ nichts anfangen könnte. | |
Sondern weil sie selbst ein Leben der Vielen gelebt hat, ohne eigene | |
Aspirationen verfolgt zu haben. Damit ist Davies meisterhaft gelungen, aus | |
einer Geschichte über Leid letztlich ein leidenschaftliches Plädoyer für | |
ein wahrhaftig gelebtes Leben zu machen. | |
21 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://thetab.com/uk/2021/02/18/the-pink-palace-from-its-a-sin-was-a-real-… | |
[2] /Diskriminierung-von-Homosexuellen/!5749829 | |
[3] /HIV-Experte-ueber-Infektionsschutzgesetz/!5683570 | |
## AUTOREN | |
Arabella Wintermayr | |
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