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# taz.de -- Proteste in der Rigaer Straße 94: Berliner Chaostag
> Autonome setzen in Berlin Barrikaden in Brand. Sie wollten verhindern,
> dass Eigentümervertreter ins Haus kommen. Am Ende erreichen sie das per
> Gericht.
Bild: Brennende Barrikade und Polizei in der Rigaer Straße
Berlin taz | Etwa eine halbe Stunde schon brennt die Barrikade in
Berlin-Friedrichshain als sich drei Polizist*innen das erste Mal
vorwagen, um einen Blick hinter die Rauchwolken zu erhaschen. Sofort eilt
ihnen etwa ein Dutzend schwarz Vermummter, die hinter der Barrikade lauern,
entgegen und vertreibt sie durch einen massiven Steinhagel. Die
Polizist*innen müssen sich zurückziehen.
Am Mittwoch gegen 11 Uhr haben mehrere Dutzend Autonome Reifen, Sperrmüll
und Absperrgitter auf die Fahrbahn an der Kreuzung Rigaer Straße, Ecke
Liebigstraße gezogen und angezündet. In den sozialen Medien riefen sie eine
„autonome Zone“ aus und forderten Unterstützer*innen auf, in einen
etwa 130 Meter langen Straßenabschnitt zu kommen und das 1990 besetzte Haus
in der [1][Rigaer Straße 94] zu verteidigen. Etwa eine Stunde lang
schleppten sie immer mehr Materialien zu drei Barrikaden, deren Rauchwolken
weit über Berlin zu sehen waren. Polizist*innen hielten sie mit Stein-
und Böllerwürfen – auch vom Dach des Hauses – auf Abstand.
Mit der Aktion versuchten die Bewohner*innen und
Unterstützer*innen der Rigaer 94 der Polizei zuvorzukommen. Diese
wollte mit einer „roten Zone“ den Bereich rings um das Haus von Mittwoch 15
Uhr bis Freitagmitternacht zur Demoverbotszone erklären. Der Grund für
diese Allgemeinverfügung: Am Donnerstag [2][wollten Vertreter der
Eigentümer eine sogenannte Brandschutzbegehung des Hauses vornehmen], die
durch einen Polizeigroßeinsatz abgesichert werden sollte. Die
Hausbewohner*innen befürchteten, dass die Überprüfung des
Brandschutzes in einer Räumung münden könnte.
Bei vergangenen Räumungen alternativer Projekte in Berlin, etwa der
[3][Neuköllner Kiezkneipe Syndikat] im August vergangenen Jahres oder der
[4][Kreuzberger Kneipe Meuterei] im März waren die Einsatzbereiche ebenso
im Vorfeld weiträumig abgesperrt worden. Proteste, die die Einsätze hätten
behindern könnten, waren damit unmöglich. Dies hatte viel Kritik innerhalb
der linksradikalen Szene hervorgerufen. Die Aktion in der Rigaer Straße am
Mittwoch sollte offensichtlich die Strategie der Polizei und die eigene
Ohnmacht durchbrechen.
## Räumpanzer und Wasserwerfer
Nach etwa einer Stunde war es mit der „autonomen Zone“ jedoch vorbei.
Zunächst löschte ein Wasserwerfer den Brand auf der von Autonomen
„Dorfplatz“ genannten Kreuzung. Dann durchbrach ein Räumpanzer die
Barrikade. Die Angreifer*innen, teils mit Taucherbrillen ausgestattet,
flüchteten ins Haus, vor dem sich bald darauf die Polizei postierte.
Eine Sprecherin der Behörde erklärte, 200 Beamte seien im Einsatz, 60 seien
verletzt worden. Dabei war zunächst unklar, um was für Verletzungen es sich
handelte. Zum weiteren Vorgehen sagte die Sprecherin der taz: „Wir werden,
wenn die Schuttreste geräumt wurden, die Allgemeinverfügung umsetzen und
dann den Raum so freihalten, dass morgen im Rahmen des Amtshilfeersuchens
die Begehung des Hauses durch den Brandschutzgutachter gewährleistet werden
kann.“
Außerhalb des verbarrikadierten Bereichs versammelten sich im Verlauf des
Vormittags immer mehr Menschen. Eine benachbarte Grundschule forderte
Eltern auf, ihre Kinder abzuholen. In der Liebigstraße riefen einige
Unterstützer*innen Sprechchöre gegen die Polizei und für das autonome
Projekt. Als mit Leitern ausgerüstete Spezialeinheiten über ein Nachbarhaus
auf das Dach der Rigaer 94 vorstießen, vermuteten Beobachter*innen ein
Eindringen in das Haus und eine mögliche Räumung. Bis Redaktionsschluss kam
es aber nicht zu einem entsprechenden Versuch; Beamt*innen sicherten
jedoch das Dach.
## Ewiger Konflikt
Der Streit über mangelnden Brandschutz in dem teilbesetzen Haus, das nach
der Räumung der benachbarten Liebigstraße 34 im vergangenen Oktober das
letzte umkämpfte und regelmäßig militant agierende autonome Projekt der
Stadt ist, zieht sich bereits seit Jahren hin. Erst im Dezember hatte der
Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg auf Druck des Berliner Senats eine Begehung
durch einen Gutachter angeordnet.
Einem geplanten Termin im März – mit Hunderten auch auswärtigen
Polizist*innen und Vertretern der verhassten Eigentümergesellschaft
Lafone Investments Limited – [5][kam der Bezirk allerdings zuvor]. Eine
eigene Brandschutzprüfung durch einen Sachverständigen der Bauaufsicht im
Einvernehmen mit den Bewohner*innen führte dazu, dass der zwei Tage
später anberaumte Großeinsatz abgesagt wurde. Dem zuständigen Baustadtrat
Florian Schmidt (Grüne) wurde daraufhin etwa von Innensenator Andreas
Geisel (SPD) ein Paktieren mit Linksextremisten vorgeworfen. Er selbst
betonte, eine Eskalation vermeiden zu wollen.
Die Prüfung des Bezirkes war zu dem Ergebnis gekommen, dass die
vorgefundenen Mängel beseitigt werden können; eine vom Eigentümer
angestrebte Nutzungsuntersagung von Seitenflügel und Hinterhaus sei nicht
nötig. In den vergangenen Monaten machten sich die Bewohner*innen
daran, die Mängel zu beheben und ließen dies bei zwei Nachkontrollen
überprüfen. Ein Urteil des Verwaltungsgerichts und die Anweisung der
Bezirksaufsicht zwangen Schmidt und den Bezirk jedoch dazu, eine weitere
Begehung eines Brandschutzexperten im Beisein von Vertreter*innen der
Eigentümer anzuordnen – mit dem Recht das ganze Haus inklusive aller
Wohnungen zu untersuchen.
## Eigentümer dürfen nicht ins Haus
Am Mittwochnachmittag dann aber die überraschende Wende: Die
Bewohner*innen erreichten mit einem Einspruch vor dem
Oberverwaltungsgericht (OVG), dass die Eigentümervertreter bei der Begehung
am Donnerstag nicht in das Haus dürfen, sondern nur ein Gutachter und der
Bezirk, sicherlich mit Polizeibegleitung.
[6][Grundsätzlich wurde der Antrag gegen die Begehung zurückgewiesen, aber
in einem Punkt änderte das OVG den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom
Vortag]. Demnach werde die aufschiebende Wirkung wieder hergestellt,
„soweit die Antragsteller dazu verpflichtet worden sind, das Betreten des
Gebäudekomplexes Rigaer Straße 94 durch einen Vertreter oder eine
Vertreterin der Eigentümer zu dulden. Das Gericht stützt sich dabei auf die
grundgesetzlich verankerte Unverletzlichkeit der Wohnung. Die Befürchtung,
dass die Eigentümer im Zuge der Begehung vollendete Tatsachen schaffen und
eine Räumung vorbereiten könnten, ist damit minimiert.
Jahrelang hatte sich die Riager 94 juristisch erfolgreich gegen die
Eigentümer gewehrt. Der nordenglischen Briefkastenfirma, hinter der sich
der Besitzer versteckt, war es weder gelungen nachzuweisen, dass ihr
Geschäftsführer ordnungsgemäß ernannt noch ihr Anwalt rechtmäßig bestellt
ist. Ein Durchbruch gelang erst im Februar: [7][Zwei Urteile hatten der
Lafone gestattet], mit Polizeibegleitung in das Haus zu gehen. Zuletzt
waren der Hausverwalter und ein Anwalt im Juni im Rahmen der Vollstreckung
von Durchsuchungsbeschlüssen im Haus. Als sie am nächsten Tag wiederkommen
wollten, wurden sie vor der Tür von Bewohner*innen attackiert.
## Wahlkampfthema Rigaer Straße
Wie schon vor fünf Jahren, dürfte die Rigaer Straße 94 nun wohl wieder zum
Wahlkampfthema der Berliner Abgeordnetenhauswahl werden. Damals unterstütze
die Polizei die Eigentümer bei der Räumung der Autonomenkneipe
Kadterschmiede im Seitenflügel des Gebäudes, obwohl es keinen Räumungstitel
gab. Für den damaligen Innensenator Frank Henkel (CDU) endete die Aktion in
einem Desaster und der Abwahl seiner Partei aus der Landesregierung. Der
heutige Fraktionschef Burkhard Dregger sagte am Mittwoch: „Viel zu lange
haben Teile der Koalition ihre schützende Hand über die Gewaltchaoten in
der Rigaer Straße gehalten.“
In der SPD gibt es ebenfalls wenig Sympathien für das Projekt, aber eine
Räumung ohne Titel hat Innensenator Geisel ausgeschlossen. Nach der
Gewaltaktion sagte Geisel: „Wer Autoreifen anzündet, kämpft nicht für linke
Freiräume, sondern drangsaliert den eigenen Kiez.“ Er fügte hinzu: „Es gi…
keine Lex Rigaer Straße. Straftaten werden konsequent verfolgt,
Gerichtsentscheidungen durchgesetzt.“ Aufgrund des bevorstehenden Einsatzes
hat Geisel seine Teilnahme an der am Mittwoch beginnenden
Innenministerkonferenz abgesagt.
16 Jun 2021
## LINKS
[1] /Rigaer94/!t5320642
[2] /Rigaer-Strasse-94-vor-Grosseinsatz/!5775024
[3] /Raeumung-der-Kneipe-Syndikat-in-Berlin/!5705833
[4] /Linke-Kneipe-in-Kreuzberg/!5761358
[5] /Brandschutz-in-der-Rigaer-Strasse-94/!5756460
[6] https://twitter.com/retep_kire/status/1405181462920445960?s=20
[7] /Gerichtsentscheidungen-zur-Rigaer-94/!5751766
## AUTOREN
Erik Peter
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