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# taz.de -- Gerichtsurteil zu Polizei-Datensammlung: Staatsschutz rechtswidrig …
> Wegen des Klebens eines Stickers landete ein 31-Jähriger in einer
> Datensammlung der Göttinger Polizei. Das war laut Verwaltungsgericht
> unrechtmäßig.
Bild: Für die Göttinger Polizei ein Grund zur Überwachung: Antifa-Aufkleber
Göttingen taz | Die Polizeidirektion (PD) Göttingen hat erneut einen
Rechtsstreit um die Rechtmäßigkeit von Datensammlungen über mutmaßliche
Angehörige der linken Szene durch den Staatsschutz verloren. Das Göttinger
Verwaltungsgericht entschied, dass eine Speicherung in einer neu angelegten
Datensammlung unter dem Namen „PMK-links“ rechtswidrig war. „PMK“ steht…
politisch motivierte Kriminalität.
Geklagt hatte ein heute 31-jähriger Göttinger, der in die Datensammlung
aufgenommen wurde, weil er im Mai 2017 mit Spucke einen Aufkleber an einen
Laternenmast geklebt haben soll. Die Polizeidirektion hatte den Mann auf
ein Auskunftsersuchen mit Schreiben vom 1. November 2018 darüber
informiert, dass seine personenbezogenen Daten in jener Datensammlung
„PMK-links“ gespeichert seien, die der „Recherche und Analyse von
Informationen zur Aufklärung sowie zur Verhütung in Straftaten“ diene.
Anlass für die Speicherung des Betroffenen war aber keine Straftat, sondern
eine Ordnungswidrigkeit – nämlich eben jenes Anbringen des Aufklebers.
Das Verwaltungsgericht urteilte nun, dass die Datenspeicherung in der
„PMK-links“ rechtswidrig war. Eine Ordnungswidrigkeit begründe eben keine
Eintragung in diese Datei. Es gebe auch keine Hinweise darauf, dass der
Kläger in Zukunft politisch links motivierte Straftaten begehen werde.
Der Staatsschutz hatte die „PMK-links“ vermutlich ab 2017 neu aufgebaut,
nachdem sich die Göttinger Polizei bereits wegen [1][früherer
Datensammlungen gerichtlich bescheinigen lassen musste, rechtswidrig
gehandelt zu haben]. Damals war aufgeflogen, dass das
Staatsschutz-Kommissariat in fünf Aktenordnern Informationen über mehrere
Hundert Personen gesammelt hatte, die von den Beamten als Linke eingestuft
wurden. Neben Namen und Fotos umfassten die Daten auch Wohnanschrift,
Religionszugehörigkeit, Familienstand, Social-Media-Profile. Die Ordner
waren mit „Limo“ beschriftet, ein Polizeibegriff für „Straftäter, polit…
links motiviert“.
24 Betroffene klagten seinerzeit gegen die Datensammlung – und bekamen
weitgehend Recht. In dem Verfahren hatte auch der [2][kürzlich entlassene
Göttinger Polizeichef Uwe Lührig] eingeräumt, dass die Datensammlung
unzulässig gewesen war. Wenn auch nur aus formalen Gründen: Die Polizei
habe es versäumt, vorher die Genehmigung des niedersächsischen
Datenschutzbeauftragten einzuholen. In einem solchen Antrag müssten Inhalt,
Grund und Zweck der Datensammlung sowie die Dauer der Aufbewahrung
festgelegt sein. Diese datenschutzrechtlich vorgeschriebene
Dateibeschreibung habe gefehlt.
„Bei der Göttinger Polizeidirektion hat trotz des Skandals aus dem Jahr
2017 kein Umdenken stattgefunden“, sagte der Göttinger Rechtsanwalt Sven
Adam. Er vertritt den Kläger im Fall der „PMK-links“. „Die absurde und
rechtswidrige Datensammlung sogar aufgrund von Bagatell-delikten hat mit
Datenschutz und dem Handeln einer an Recht und Gesetz gebundenen Behörde
nichts mehr zu tun.“
Dabei hat das Ausspähen der linken und alternativen Szene in Göttingen eine
noch viel längere Tradition. Schon 1978 schleuste das niedersächsische
Landeskriminalamt (LKA) zwei Agenten in den Göttinger Arbeitskreis gegen
Atomenergie ein. „Wicky“ und „Rudi“, so die Tarnnamen der Spitzel, flog…
durch Hinweise ehemaliger Schulfreunde auf.
1982 veröffentlichte die Alternative Grüne Initiativen-Liste (AGIL)
Mitschnitte aus dem Polizeifunk: So wurde bekannt, dass in Göttingen
geheime Polizeieinheiten operierten – ohne öffentliche Kontrolle und auch
ohne ausreichende rechtliche Grundlage. Sie nannten sich „Aufklärungs- und
Festnahmekommandos“. Rund 50 Beamte gehörten ihnen an. Ihr Auftrag:
ständiges Beschatten, Provozieren und wenn möglich Festnehmen einzelner
Linker oder kleiner Gruppen.
Im Funk unterhielten sich die Beamten zum Beispiel so: „X und Anhang gehen
hier durch die Stadt. Wir wollen die ein bisschen beschatten. Aber so, dass
wir denen auf den Hacken herumfahren … Der X wird schon nervös.“ – „Ja,
wollt ihr sie jetzt mal anhalten? Einsacken …?“ – „Na, dann wollen wir …
mal einsammeln … Wir stoppen sie … Kommt ran.“
Daten der Überwachten wurden an einen Computer in Hannover übermittelt, auf
dem sich das Spuren- und Dokumentationssystem (Spudok) befand. Die Liste
enthielt Hunderte Namen, darunter auch die des späteren
Bundesumweltministers Jürgen Trittin und einer querschnittsgelähmten
Ehrenbürgerin der Stadt.
Im Vorfeld des Castor-Transports im November 2004 verfolgten LKA-Beamte den
Göttinger Physikstudenten und AKW-Gegner Daniel H. zwei Wochen lang auf
Schritt und Tritt. Sie hörten mehr als 80 Telefongespräche von ihm und
seinen Mitbewohnern ab, machten Videoaufnahmen, überwachten Kneipen- und
private Kontakte und verfolgten H. einmal sogar bis auf die Uni-Toilette.
26 May 2021
## LINKS
[1] /Goettingens-Polizei-ist-zu-neugierig/!5211828
[2] /Goettingens-Polizeichef-gefeuert/!5750476
## AUTOREN
Reimar Paul
## TAGS
Polizei Niedersachsen
Göttingen
Schwerpunkt Überwachung
Staatsschutz
Linke Szene
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Göttingen
Schwerpunkt Antifa
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