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# taz.de -- Aufstiegschance für Kiel: Sozialromantiker unter Druck
> Holstein Kiel ist nach dem Erfolg in Köln und einer famosen Saison fast
> zum Aufstieg verpflichtet. Sonst droht dem Klub der Ausverkauf seiner
> Helden.
Bild: Mit erhobenem Zeigefinger: Trainer Ole Werner schwört das Team auf das F…
Die Menschen im hohen Norden dieser Republik sind gemeinhin nicht als zu
Euphorie neigende Feierbiester bekannt. Den Abstandsregeln in Coronazeiten
begegnet der Schleswig-Holsteiner meist mit Gleichmut und bedient mit einer
in Frageform verpackten Prise Selbstironie jegliches Klischee: „1,50 Meter
– sollen wir jetzt alle kuscheln?“
An diesem Sonnabend werden in der Hauptstadt des Landes zwischen den Meeren
ethnologische Naturgesetze außer Kraft gesetzt. Nach dem unerwarteten
1:0-Triumph der lokalen Fußballhelden von Holstein Kiel am Mittwochabend im
Relegations-Hinspiel beim 1. FC Köln summt und trällert gefühlt eine ganze
Region voller Stolz und Inbrunst die von der Rockband „Denkedrans“
intonierte Stadionhymne: „Keine andere Liebe, keine andere Stadt, kein
anderer Verein, nur Holstein!“ Gelingt den Störchen im entscheidenden
Rückkampf gegen die Geißböcke (Anpfiff 18 Uhr) nach einem schon jetzt
sensationellen Zweitliga- und Pokalspieljahr das Wunder namens
Bundesliga-Aufstieg?
Die Protagonisten bemühen zur Prognose wichtiger Entscheidungen häufig den
Begriff des Momentums. Schon vor dem großen Finale am Samstag in Kiel war
davon zuletzt des Öfteren zu hören. [1][Zwei Matchbälle zum Direktaufstieg]
hatte das Team im Endspurt der regulären Saison liegen lassen. Schon ein
Sieg hätte gereicht. Doch trotz jeweiliger 1:0-Halbzeitführung wurde noch
mit 2:3 sowohl gegen den KSC als auch gegen Darmstadt verloren.
Allen äußeren Widerständen wie der insgesamt 28-tägigen Teamquarantäne im
Frühjahr und dem folgenden Mammutprogramm ohne Training mit neun Spielen
binnen 30 Tagen nach dem Re-Start am 24. April hatten sie lange Zeit
getrotzt. Nun schien ausgerechnet vor der alles entscheidenden Verlängerung
der Serie das Ende der körperlichen und mentalen Belastungsfähigkeit
erreicht zu sein. Der 1. FC Köln hingegen hatte auf der letzten Rille als
Erstliga-16. zumindest die Endspiele um den Klassenerhalt noch erreicht.
## Schlicht, aber willensstark
Eine aus psychologischer Sicht kaum zu korrigierende Weichenstellung pro
Rheinland? Mitnichten! Mit „Karo einfach“-Fußball, aber überragender
Willenskraft und einer Portion Spielglück triumphierten die Kieler auch
ohne die gesperrten, am Sonnabend aber wieder einsatzbereiten
Mittelfeldstrategen Jonas Meffert und Alexander Mühling knapp mit 1:0. Das
Momentum hat die Farben gewechselt.
Gerade einmal 20 Sekunden vor seinem goldenen Kopfball zum 1:0 war der
Kieler Defensiv-Allrounder Simon Lorenz am Mittwoch eingewechselt worden.
Andere Profis hätten noch Stunden später Luftsprünge vollführt, vom
„wichtigsten Treffer meiner Karriere“ gesprochen. Nicht so der 24-Jährige.
„In dieser Saisonphase ist es ganz viel Kopfsache“, so Lorenz nach dem
Abpfiff der ersten Relegationshälfte ebenso nüchtern wie ungewollt
doppeldeutig: „Es gibt gar keinen Grund, jetzt euphorisch zu sein oder zu
feiern.“ Ein Zitat aus dem Kieler Lehrheft der jüngeren Vergangenheit: Wer
zu früh jubelt, den bestraft die zweite Halbzeit!
Der Druck laste auf Köln, sagen die Kieler Verantwortlichen um Sportchef
Uwe Stöver gern. Doch was passiert, wenn sich der vergleichsweise
bescheiden wirtschaftende Traditionsklub von der Ostsee nicht als
sozialromantischer Leuchtturm in der Cash-Community der Bundesliga
positioniert? Mit einem um 2 Millionen Euro zum Vorjahr abgespeckten Etat
in Höhe von 11,3 Millionen Euro für die Lizenzmannschaft war der Klub im
Juli 2020 an den Start gegangenen.
Dafür flossen bis zu 5 Millionen Euro für das Erreichen des
Pokal-Halbfinals aus dem DFB-Vermarktungspool auf das Vereinskonto. Neben
den bundesweiten Sympathien [2][nach dem Pokal-Jahrhundert-Coup] gegen den
FC Bayern ein schickes Trostpflaster in Pandemiezeiten ohne
Zuschauereinnahmen. Doch ohne die Steigerung der TV-Einnahmen von 13
Millionen Euro in dieser Serie auf minimal 24,5 Millionen, maximal 29
Millionen Euro bei einem Aufstieg, droht dem Verein in der künftig
stärksten Zweiten Bundesliga aller Zeiten Ungemach.
Führungsspieler wie Torjäger Janni Serra (Bielefeld) und der südkoreanische
Nationalspieler Jae-Sung Lee (Ziel noch unbekannt) werden gehen. Andere
Leistungsträger könnten dem Lockruf des Geldes folgen. Mit Ole Werner
(Vertrag bis 2022), mit 33 Jahren jüngster Cheftrainer im deutschen
Profifußball, könnte man bei Nichtaufstieg selbst den Kopf des Erfolges an
potentere Konkurrenten verlieren.
2.334 Zuschauer sind nach einer Sondergenehmigung der Landesregierung im
Rahmen eines wissenschaftlich begleiteten Modellprojektes im Stadion
zugelassen. Wird ihre Unterstützung den Kieler Relegationsfluch (2015
Zweite Liga/2018 Erste Liga) vertreiben? Seit 2009 hat noch nie ein Klub
den Aufstieg verspielt, der das Hinspiel gewonnen hat.
29 May 2021
## LINKS
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[2] /Sensation-im-DFB-Pokal/!5739212
## AUTOREN
Andreas Geidel
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