# taz.de -- Zweitligist Kiel am letzten Spieltag: Holsteinischer Höhenflug | |
> Gegen Darmstadt gelingt den Kieler Fußballern der Aufstieg in die | |
> Bundesliga nicht. Nun müssen die „Störche“ gegen den 1. FC Köln in die | |
> Relegation. | |
Bild: Hatten den längsten Atem: Kieler Ultras am Sonntag vor dem Stadion | |
KIEL taz | Erst eine, dann zwei: Raketen fliegen hoch über den Köpfen von | |
mehr als tausend Fans. Ihr Heulen erschüttert der laute Knall eines | |
Riesenböllers. Ultras schwenken Bengalos und Rauchfackeln in Blau, Rot und | |
Weiß – die Farben von [1][Holstein Kiel]. Um sie herum stehen dicht | |
beieinander weitere Fans in blau-weiß-roten Schals und Trikots. | |
Hier draußen, vor dem Ost-Eingang des Stadions, wird also die Liebe zum | |
Verein skandiert. Drinnen spielen die geliebten „[2][Störche]“ gerade gegen | |
den SV Darmstadt. Jetzt gerade brandet der Jubel draußen aber nicht wegen | |
der Fußball-Zweitligabegegnung auf: Über Handy haben Fans mitbekommen, | |
dass, hunderte Kilometer entfernt, Düsseldorf gegen Fürth führt. | |
Das ist gut für Kiel, denn die Sportvereinigung Holstein von 1900 | |
konkurriert mit der Spielvereinigung Greuther Fürth um den direkten | |
Aufstieg in die erste Liga. | |
Was die Masse vor dem Stadion gerade noch nicht weiß: Darmstadt hat | |
zeitgleich das 2:1 gegen Kiel geschossen. Viele, die gerade gejubelt haben, | |
wissen gar nicht, warum. Einige glauben sogar, es habe ein Kieler Tor zu | |
feiern gegeben – bis sie bemerken, dass genau das Gegenteil der Fall ist. | |
Solange aber Fürth verliert, ist es fast egal, wie gut Kiel spielt. Alles | |
in Ordnung – für den Moment. | |
## Begeisterung nicht selbstverständlich | |
Es sind keine idealen Umstände vor dem Stadion. Nicht für den | |
Infektionsschutz und auch nicht um das Spiel zu verfolgen. Die Allermeisten | |
tun dies über Handy-Liveticker. Ein paar besonders gut Vorbereitete sitzen | |
vor der Autowaschanlage der Shell-Tankstelle direkt nebenan und sehen die | |
Fernsehübertragung auf ihrem Tablet, während sie in Ruhe ihr Bier trinken. | |
Es ist ein erstaunlicher Weg, den Holstein Kiel in den letzten zehn Jahren | |
genommen hat, um jetzt an diesem Punkt zu sein. Denn dass über tausend Fans | |
vor dem Stadion mitfiebern, ob Kiel der direkte [3][Aufstieg] oder | |
zumindest die Relegation gelingt, ist nicht selbstverständlich. Kiel ist | |
eine Handballstadt, fest im Griff des erfolgreichsten deutschen Vereins | |
THW. Holstein Kiel spielte bis vor gar nicht langer Zeit noch in der | |
Regionalliga Nord. | |
Genau da hat der Wandel begonnen: 2007 modernisierte der Verein seine | |
Strukturen. Kurze Zeit später, im August 2009, suchten die Verantwortlichen | |
einen neuen Geschäftsführer und fanden ihn ausgerechnet in Wolfgang | |
Schwenke, einem ehemaligen Kieler Handballprofi und -trainer. | |
Der studierte Betriebswirt stimmte zu – unter der Bedingung, dass er sich | |
nur ums Geschäftliche kümmern würde. Als Handballer traute er sich nicht | |
die Kompetenz zu, die sportlichen Fragen zu entscheiden, sagt er der taz. | |
Deshalb gebe es seitdem einen kaufmännischen und einen sportlichen Leiter | |
im Verein. | |
Die Aufteilung der Kompetenzen, zusammen noch mit dem Präsidenten, der für | |
die Infrastruktur zuständig sei, sorge für enges Zusammenarbeiten auch mit | |
dem Aufsichtsrat: „Wir nehmen uns auch alle immer gegenseitig mit in | |
unseren Arbeitsfeldern. Der Austausch untereinander ist sehr gut.“ Außerdem | |
gebe es so „kurze Entscheidungswege und nur der Aufsichtsrat ist über uns. | |
Deshalb gibt es kaum interne Unstimmigkeiten“, sagt Schwenke. Und: „Es | |
passt menschlich.“ | |
## Nachhaltig Investiert | |
Mit dem Aufbau eines Nachwuchsleistungszentrum und dem Ausbau des Stadions | |
investierten die bis auf Schwenke immer mal wechselnden Verantwortlichen | |
nachhaltig in den Verein. Dieser in der vierten Liga gelegte Grundstein | |
sorgte 2013 für den Aufstieg in die 3. Liga, 2017 schaffte Holstein es in | |
die 2. Liga – und klopft nun zum zweiten Mal an die Tür der Bundesliga. In | |
der Vorwoche allerdings hatte man die Chance auf den Aufstieg nicht | |
genutzt. | |
Bereits in der ersten Zweitligasaison stand die Mannschaft auf dem | |
Relegationsplatz, verlor aber gegen Wolfsburg. Eine Zahl verdeutlicht den | |
Aufstieg des Vereins in der Stadt: „Als ich angefangen habe, hatten wir 200 | |
Dauerkarten“, erzählt Schwenke. „Jetzt sind es 7.000.“ | |
Knapp 1.500 von deren Inhabern sind zur entscheidenden Begegnung gegen | |
Darmstadt gekommen. Andere Fans sind in Stadionnähe und verfolgen das Spiel | |
in geöffneter Außengastronomie; darunter eine sechsköpfige Gruppe, die mit | |
dem Holstein-Spieler Joshua Mees bekannt und extra aus dem Saarland | |
angereist ist. | |
Vor dem „Chill Out Club Palenke“ sitzen die Sechs auf Bänken, springen | |
kollektiv auf, als in der 18. Minute der Führungstreffer für Kiel fällt. Es | |
sieht gut aus, denn Fürth kassiert noch in der ersten Halbzeit eine rote | |
Karte. | |
## „Es ist brutal“ | |
Nach der Pause kommt Kiels Einbruch. Zwischenzeitlich liegt Holstein 1:3 | |
hinten, am Ende steht es 2:3. Christian, Luca und Meike aus Heide wussten | |
bereits vor Anpfiff, dass die Mannschaft „auf dem Zahnfleisch geht“: Nach | |
zwei coronabedingten Pausen musste Kiel etliche Spiele nachholen – | |
innerhalb von vier Wochen waren neun Pflichtspiele zu absolvieren, alle | |
drei oder vier Tage eines. | |
Auch Düsseldorf spielt an dem Tag nicht für Kiel. Und trotz Unterzahl | |
gewinnt Fürth. Als die Franken in Führung gehen, verlassen viele Fans die | |
Ansammlung vor dem Kieler Stadion. Nach 60 Minuten Feiern scheint die Luft | |
raus. Die Ultras sind noch laut, aber wohl eher aus Frustration. | |
„Es ist brutal“, sagt Kiels Torhüter Thomas Dähne nachher. Und Trainer Ole | |
Werner: „Bei uns ist es heute sehr, sehr still.“ Bei aller | |
Niedergeschlagenheit kann Kiel noch aufsteigen. Am Mittwoch und Samstag | |
müssen die „Störche“ in der Relegation gegen den Bundesliga-Sechzehnten 1. | |
FC Köln bestehen. | |
Sollte es noch klappen, will Schwenke das „Abenteuer“ Aufstieg | |
„wirtschaftlich gesund“ angehen: „Wir sind mit viel Demut in die 2. Liga | |
gegangen. Mit genauso viel Demut werden wir auch an die Bundesliga | |
herangehen.“ | |
24 May 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Heimsieg-fuer-die-Stoerche/!5766085 | |
[2] https://www.holstein-kiel.de/ | |
[3] /Fussball-unter-Pandemiebedingungen/!5762004 | |
## AUTOREN | |
Hagen Gersie | |
## TAGS | |
Fußball | |
Holstein Kiel | |
2. Bundesliga | |
Kiel | |
Relegation | |
Holstein Kiel | |
Borussia Dortmund | |
Fußball | |
Holstein Kiel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kiel verpasst Bundesliga-Aufstieg: Holstein geht die Puste aus | |
Die Relegation zur Fußball-Bundesliga verliert Holstein Kiel nach einem 1:5 | |
gegen Köln. Nach Quarantäne und 11 Spielen in 34 Tagen ging nichts mehr. | |
Aufstiegschance für Kiel: Sozialromantiker unter Druck | |
Holstein Kiel ist nach dem Erfolg in Köln und einer famosen Saison fast zum | |
Aufstieg verpflichtet. Sonst droht dem Klub der Ausverkauf seiner Helden. | |
Marco Reus vor DFB-Pokalfinale: Wider den Wankelmut | |
Marco Reus von Borussia Dortmund spielt so stark wie lange nicht mehr. Im | |
DFB-Pokalfinale gegen RB Leipzig will er endlich ein großes Spiel prägen. | |
Heimsieg für die „Störche“: Holstein Kiel fertigt St. Pauli ab | |
Trotz vieler Pflichtspiele in dichter Folge haben die Störche den fünften | |
Heimerfolg in Serie eingefahren und sind dem Aufstieg ein Stück näher. | |
Fußball unter Pandemiebedingungen: Holstein Kiel eingelockt | |
Der Fußball-Zweitligist aus Kiel steckt in der zweiten Quarantäne innerhalb | |
von sechs Wochen. Das setzt den Verein unter enormen Zeitdruck. |