Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Giffeys Rücktritt und Berlin: Von schönen Worten und Werten
> Franziska Giffey tritt als Ministerin zurück, bleibt aber
> Spitzenkandidatin der SPD in Berlin. Ob das funktioniert, entscheiden die
> Wähler*innen.
Bild: Franziska Giffey erhält von Bundespräsident Steinmeier ihre Entlassungs…
Wortbrüchig zu sein, gehört in der Politik leider zum Geschäft. Bei
inhaltlichen Fragen lässt sich das meist auch gut begründen. Ziel A oder
Plan B, groß verkündet im Wahlkampf oder Parteiprogramm, sei „leider,
leider“ in der Umsetzung an Koalitionspartner C gescheitert, heißt es dann
gerne. Anders verhält es sich mit persönlichen Verfehlungen, also jenen,
die unmittelbar mit der eigenen Person zu tun haben. Das „unmittelbar“ ist
dabei zentral: Dank umfassender Ignoranz gelingt es so manchem
CSU-Bundesverkehrsminister, alle Vorwürfe wegen Verschwendung, Inkompetenz
etc. auszusitzen.
SPD-Bundesfamilienministerin Franziska Giffey indes hatte 2019 angekündigt,
zurückzutreten, wenn die Freie Universität ihr den verliehenen Doktortitel
aberkennen sollte. Nach mehreren Verfahren verdichteten sich in den letzten
Wochen die Hinweise, dass die FU genau zu diesem Schluss kommen wird: Am
Mittwoch gab Giffey ihr Amt als Ministerin daher auf. Es war die einzig
mögliche Entscheidung, lediglich der Zeitpunkt ist diskutabel: Hätte sie
durchhalten sollen, bis der Entzug des Titels offiziell würde? Oder hätte
sie diesen Schritt schon viel früher gehen sollen?
Denn Giffey ist seit Ende 2020 Spitzenkandidatin ihrer Partei für die
Berliner Abgeordnetenhauswahl am 26. September und letzte Hoffnung der
Sozialdemokraten, das Rote Rathaus in dieser Farbe zu halten. Und
Spitzenkandidatin bleibe sie auch, hat die SPD schnell betont. Schließlich
war angesichts der Schwere der Vorwürfe absehbar, dass die Affäre um den
Doktortitel im Wahlkampf eine große Rolle spielen würde: Laut der Plattform
Vroniplag, die die Vorwürfe gegen Giffeys Arbeit zuerst erhoben hatte,
finden sich auf gut einem Drittel der rund 200 Seiten dünnen Promotion
„wörtliche und sinngemäße Textübernahmen, die nicht als solche kenntlich
gemacht sind“.
Um diesen Betrug, wie das offenbare Plagiat von nicht wenigen politischen
Konkurrent*innen genannt wird, rasch vergessen zu machen, verzichtet
die Ex-ministerin auf Schuldeingeständnisse. Die Arbeit habe sie nach
bestem Wissen und Gewissen verfasst – an dieser Einschätzung halte sie
fest, heißt es in ihrer Erklärung vom Mittwoch. Und: „Ich bedauere, wenn
mir dabei Fehler unterlaufen sind.“ Immerhin weicht sie nicht ins „sein
sollten“ aus.
Doch von einer Entschuldigung – immerhin hat sie als Ministerin
Vorbildfunktion – ist keine Rede. Im Gegenteil: Sie ziehe „bereits heute“
die Konsequenz. „Damit stehe ich zu meinem Wort.“ So wird aus einer aus
eigener Schuld zurückgetretenen Politikerin eine Kämpferin für das
Aufrechte, Gute und die eigenen Versprechen. Das ist schon dreist. Und es
geht so weiter: „Die Berliner SPD und die Berlinerinnen und Berliner können
sich auf mich verlassen. Dazu stehe ich. Mein Wort gilt“, schreibt sie zu
ihren Ambitionen im Wahlkampf.
Ob sie damit durchkommt, hängt davon ab, wie weit die politische Konkurrenz
die Doktoraffäre auf die Agenda setzt. In den ersten Reaktionen von Grünen
und CDU fehlten Forderungen etwa nach einem Rückzug aus der Berliner
Politik. Das zeigt: Giffey gilt als zu stark, um sie allein wegen des
erschwindelten Titels anzugreifen.
Letztlich obliegt es den Wähler*innen, am 26. September zu entscheiden,
ob sie von einer Frau, die offenbar für einen Titel trickste, regiert
werden wollen. Sprich: ob ihnen andere Werte – und Worte – wichtiger sind.
22 May 2021
## AUTOREN
Bert Schulz
## TAGS
Wochenkommentar
SPD Berlin
Franziska Giffey
Abgeordnetenhauswahl 2021
Franziska Giffey
Christine Lambrecht
Franziska Giffey
Franziska Giffey
## ARTIKEL ZUM THEMA
FU entzieht Giffey den Doktortitel: Arroganz oder schon Kalkül?
Doktor weg. Deckel drauf. Weiter im Wahlkampf. So lauten die Reaktionen der
Berliner SPD nach dem Urteil der FU. Ob die Kandidatin damit durchkommt?
SPD-Spitzenkandidatin in Berlin: Giffey verliert Doktortitel
Die FU Berlin hat der SPD-Politikerin Franziska Giffey den akademischen
Grad aberkannt. Als Familienministerin war sie deshalb schon im Mai
zurückgetreten.
Lambrecht übernimmt für Giffey: Die Doppelministerin
Justizministerin Christine Lambrecht übernimmt zusätzlich das
Familienministerium von Franziska Giffey. Die hatte das Amt am Mittwoch
aufgegeben.
Nach Giffeys Rücktritt als Ministerin: Doktortitel ade, Wahlkampf olé
Trotz Rückzug als Ministerin will Giffey Regierungschefin in Berlin werden.
In ihrem SPD-Landesverband könnte es schon bald unruhig werden.
Debatte um SPD-Landesvorsitzende: Giffey bleibt Spitzenkandidatin
Die SPD müht sich, den Rücktritt der Bundesministerin wegen der
Doktoraffäre als Ausdruck größter politischer Integrität hinzustellen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.