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# taz.de -- Hamburgs Handel und Gastromie auf Zinne: Läden hinter Schloss und …
> Als Krisenmanager in Pandemiezeiten gewann Hamburgs Bürgermeister Peter
> Tschentscher Profil. Doch beim harten Kurs gegen Öffnungen kippt die
> Stimmung.
Bild: Bleiben vorläufig dicht: Ladengeschäfte am Schulterblatt
Hamburg taz | Die Stimmung kippt. Wer sich in den Diskussionsforen der
sozialen Medien umschaut, bemerkt es schnell: Landeschef Peter Tschentscher
(SPD), der erst als Krisenmanager in Pandemiezeiten Charisma und
Bürgermeisterformat gewann, bläst inzwischen eine steife Brise ins Gesicht.
Der Grund: Der Macher von gestern hat sich zum Bedenkenträger von heute
gewandelt.
Obwohl die Corona-Inzidenz im Sturzflug sinkt und inzwischen die 75er-Marke
unterschritten hat und ein Drittel aller Hamburger*innen zumindest die
erste Impfdosis gespritzt bekam, hat es der immer etwas steif wirkende
SPD-Politiker nicht so mit Lockerungs-Übungen.
„Um den bisherigen Erfolg bei der Eindämmung der Infektionsausbreitung
nicht zu gefährden, setzt der Senat seinen konsequenten Kurs zum Schutz von
Leben und Gesundheit auch in dieser Phase der Pandemie fort“, heißt es
hölzern in einer Senatsmitteilung.
[1][Die Ausgangssperre, die früher begann und länger währte] als in allen
anderen Bundesländern, ist zwar seit Donnerstagmorgen Geschichte, doch bei
Ladenöffnungen und Gastronomie-Revival tritt Tschentscher vehement auf die
Bremse. Irgendwann in der letzten Mai-Woche oder im Juni könnte da was
passieren, heißt es aus dem Rathaus, nicht ohne den Nachsatz: wenn alles
gut läuft. Frühestens kommenden Dienstag könnte es da konkreter werden –
vielleicht.
## Die Sozis klopfen sich gegenseitig auf die Schulter
Während die Nachbarländer längst in einen Lockerungswettlauf verfallen sind
und in Modellprojekten austesten, wie viel Kontakt ohne ansteigende
Coronazahlen möglich ist, bleibt Hamburgs öffentliches Leben weiterhin im
Friedhofsmodus. Tschentscher hat sich längst auf die Rolle des Mahners und
Warners festgelegt, gefällt sich als Hamburger Karl-Lauterbach-Pendant und
will sich vor allem niedrige Inzidenzzahlen in die Erfolgsbilanz seiner
Amtszeit schreiben lassen. Koste es, was es wolle.
[2][So klopften sich die Sozialdemokraten vergangenen Woche gegenseitig auf
die Schulter,] als sie das Ende der Ausgangssperre verkündeten, die
sozialdemokratisch streng interpretiert, so unglaublich erfolgreich gewesen
sei. Und da das Gegenteil immerhin nicht beweisbar ist, kann man das
allemal behaupten.
Ausgelaugt von AHA-Regeln und Ausgangssperre, getrieben von Existenzkrisen
und leeren Kassen, blasen Handel und Gastronomie seit Tagen zur Offensive
gegen die rot-grüne Closed-Shop-Politik. „Herr Bürgermeister, haben Sie uns
vergessen?“, fragten mehr als 50 stadtbekannte Kaufleute und Unternehmen
vor wenigen Tagen in einer Anzeigenkampagne.
„[3][Hamburger Handel – Aufstand gegen Bürgermeister Tschentscher“] tite…
daraufhin das Hamburger Abendblatt und übertrieb mit der Schlagzeile kaum.
Das Verständnis dafür, dass dem seit fünf Monaten geschlossene Einzelhandel
trotz weiter fallender Inzidenzwerte noch immer keine Öffnungsperspektive
gegeben wurde, geht bei den Kaufleuten gegen null. Denn Hamburg ist nach
Schleswig-Holstein das Bundesland mit der geringsten Inzidenz.
„Ich kapiere nicht, dass der Bürgermeister erst eine bundeseinheitliche
Lösung mitinitiiert, aber jetzt ausschert und sogar noch schärfere
Maßnahmen drauflegt“, versteht Marc Böhle, Inhaber eines großen Hamburger
Bettengeschäftes, die Welt und vor allem Peter Tschentscher nicht mehr.
## Tschentscher will einheitliche Lösung, aber ohne Hamburg
Und auch die Betreiber*innen von Restaurants und Kneipen bringen keine
Akzeptanz mehr dafür auf, dass Außengastromie mit Hygienekonzept trotz
erwiesen geringer Ansteckungsgefahr an der frischen Luft noch immer nicht
zugelassen wird.
„Schon tagelang unter 100. Und was passiert? Gastro und Handel werden
weiter geschlossen gehalten, obwohl das nicht mehr verhältnismäßig ist“,
lautet ein User*innen-Kommentar auf der offiziellen Corona-Website des
Senats – und es ist noch eine der am freundlichsten formulierten
Anmerkungen.
Dabei sind es, liest man die Texte genauer, nicht die Schwurbler*innen
und Corona-Leugner*innen, die sich über die Coronapolitik echauffieren,
sondern eher die, die Vorsicht und Abstand sehr lange für das Gebot der
Stunde hielten.
Während Gastronomie und Handel keine Durchhalteparolen mehr verkraften
können, tut Peter Tschentscher weiter so, als habe er die Botschaft seines
Vorgängers Olaf Scholz, man werde „geschlossen in den Bundestagswahlkampf
ziehen“, gründlich missverstanden. Der Mediziner warnt unverdrossen vor
vierter Welle und indischer Mutante.
Das Lockern überlässt Tschentscher den Ministerpräsidenten der
Nachbarländer, die das öffentliche Leben zwar nur vorsichtig und
schrittweise öffnen – es dabei aber eben doch öffnen. Doch offene Lokale
und Baumärkte knapp jenseits der Hamburger Landesgrenze führen genau zu
dem, was Tschentscher unbedingt vermeiden will, weil es die
Ansteckungszahlen nach oben treibt: mehr Mobilität.
So sitzt der Bürgermeister in der Zwickmühle. Wird der Druck zu groß,
dürfte die Bedenkenträgerei kommenden Dienstag ein Ende haben, wenn der
Senat erneut über Corona berät. Dann könnte – mit Maske und Abstand – au…
an Elbe und Alster ein wenig Sommerfeeling einkehren.
17 May 2021
## LINKS
[1] /Hamburg-beschliesst-harten-Lockdown/!5758783
[2] https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Hamburger-Senat-hebt-die-Ausgangsspe…
[3] https://www.abendblatt.de/wirtschaft/article232259271/Oeffnet-alle-Hamburge…
## AUTOREN
Marco Carini
## TAGS
Lockdown
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