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# taz.de -- Fernsehen im Irak: Wenn Reality-TV zu real ist
> Shows mit versteckter Kamera im Irak und in Tunesien schockierten mit
> extremen Streichen. Promis dachten, sie würden vom IS entführt.
Bild: Fastenbrechen in Mossul, Irak im April
Kairo taz | Eine Frau wird im Irak von einem IS-Kommando entführt – glaubt
sie. Es ist die bekannte irakische Schauspielerin Nessma. Ihr werden die
Augen verbunden. Sie schreit in Panik. Besonders makaber: Ihr Bruder war im
Krieg mit dem IS vor ein paar Jahren ums Leben gekommen. Nessma ruft nach
ihrem Bruder, von dem sie glaubt, dass sie ihn nun sehen wird. Sie ist
offensichtlich in Todesangst. Um sie herum sind Schüsse und Explosionen zu
hören. Als man ihr einen Sprengstoffgürtel umlegt, bricht sie endgültig
schluchzend zusammen. Das ist der Moment, in der ihr die Augenbinde
weggenommen und ihr erklärt wird, dass alles nur ein Fernsehstreich war.
Denn bei dem Ganzen handelt sich um eine Show ähnlich der „Versteckten
Kamera“. Die Frau sitzt am Boden und hört nicht mehr auf zu schreien.
Das war eine Episode der Show „Tanb Raslan“ („Raslans Knall“), die vor
Kurzem im irakischen Fernsehen lief. Sie ist Teil der alljährlichen
Ramadan-Unterhaltung. Denn abends, nachdem das Fasten gebrochen ist,
regiert überall in der arabischen Welt das Fernsehen. Die Menschen wollen
mit speziell für den islamischen Fastenmonat produzierten Seifenopern und
Shows unterhalten werden. Programme mit versteckter Kamera gehören dabei
seit Jahren zum festen Repertoire der arabischen Ramadan-Unterhaltung. Oft
werden bekannte arabische Stars an der Nase herumgeführt. Doch dabei gibt
es in den letzten Jahren eine regelrechte Aufrüstung. Was die Menschen vor
der versteckten Kamera aushalten müssen, wird immer wilder, geschmackloser
und ist für die Opfer der Streiche nicht selten traumatisch.
Die Sendung „Tanb Raslan“ hat dabei vermeintliche Operationen des
sogenannten Islamischen Staates zum Thema, bei denen prominente irakische
Stars vor versteckter Kamera entführt werden. In einer anderen Episode
fleht der bekannte irakische Fußballer Alaa Mhawi, ebenfalls mit
verbundenen Augen, um sein Leben.
## Behördlich verboten
Das ging selbst dem an derbe Scherze gewöhnten irakischen Publikum zu weit.
Nicht wenige Iraker sind bis heute vom IS und dessen Machenschaften im Land
traumatisiert. Viele haben unter dem IS-Kalifat gelebt, andere haben im
Krieg dagegen enge Familienangehörige verloren. „Was ist lustig an dieser
Show?“, schreibt ein Twitter-User. „Wir wollen nicht an das erinnert
werden, was das IS-Kalifat uns angetan hat.“ [1][Der irakische Journalist
Ahmad Albasheer] zerreißt in seiner Show im arabischen Programm der
Deutschen Welle die TV-Streiche. Vor allem als Nessma schreit, dass sie nun
zu ihrem vom IS ermordeten Bruder kommen werde, hätte das ganze abgebrochen
werden müssen, sagt er. „Sie schreit sich das Herz heraus. Sie kollabiert
vor der Kamera. Jede Medienbehörde, jede respektable Regierung, sollte
diese Art von Shows verbieten, deren einziger Inhalt es ist, das Leid
anderer zur Schau zu stellen“, fordert er.
Die Show „Tanb Raslan“ wurde inzwischen durch die irakischen Behörden
offiziell verboten. Ethische Grundregeln des Rundfunks und Fernsehens seien
verletzt worden, heißt es in der Begründung.
Die Geschmacklosigkeiten begannen vor zehn Jahren mit einer der in der
arabischen Welt meist gesehenen Ramadan-Shows des Ägypters Ramez Galal. In
einer viel beachteten, aber auch heftig kritisierten Folge machte man die
Promis glauben, sie säßen in einem sinkenden Schiff. Als sie schließlich im
Meer schwammen, wurde das Wasser blutrot und vermeintliche Körperteile
schwammen herum. Dann wurde ihre verzweifelte Angst gefilmt, von einem Hai
angegriffen zu werden.
Auf der Suche nach immer mehr Ramadan-Einschaltquoten machen auch die
Produzenten der „Angelina 19 Show“ in Tunesien dieses Jahr vor nichts halt.
Eine englisch sprechende Frau, die der amerikanischen Schauspielerin
Angelina Jolie ähnlich sieht, tritt in der Show als UN-Sonderbotschafterin
auf, die Tausende Dosen Covidimpfstoff nach Tunesien gebracht hat. Die
Promis werden zum Impftermin geladen. Ein vermeintlicher Arzt beginnt zu
impfen, als einer der angeheuerten Schauspieler nach der Spritze angeblich
kollabiert und herausgetragen werden muss. Worauf beim Opfer dieser
versteckten Kamera, das als nächstes dran ist, die vollkommene Panik
ausbricht.
## Macher sieht sich im Recht
In einem Land, in dem der Gesundheitssektor wegen der Pandemie am Anschlag
arbeitet und die Skepsis gegenüber Impfungen hoch ist, liefert diese
Ramadan-Show eine verheerende Botschaft. Noch im Februar hatten bei
Umfragen über 40 Prozent der Befragten angegeben, sich nicht impfen lassen
zu wollen. Nur 0,6 Prozent der tunesischen Bevölkerung ist seitdem
vollständig geimpft.
Die Show macht inzwischen sogar international Furore. Die WHO, die
Weltgesundheitsorganisation, hat in einem offenen Brief die tunesische
Regierung aufgefordert, die Show zu verbieten, da sie das öffentliche
Vertrauen in die Covidimpfungen unterwandert. Walid Zribi, der Macher der
Show, hatte sogar das WHO-Logo benutzt.
Zribi findet alle Versuche, die Show zu stoppen, beschämend. Er beruft sich
auf seine künstlerische Freiheit. Aber auch im eigenen Land bleibt die
Kritik gegen ihn nicht aus. „Während Tunesien eine noch nie dagewesene
Gesundheitskrise erlebt, weil es nicht genug Sauerstoffgeräte gibt,
versucht jemand mit der Angst der Menschen zu punkten, um seine
Einschaltquote zu erhöhen“, echauffiert sich der tunesische Arzt und
Experte für öffentliche Gesundheit, Mohamed Ghedira im Onlinemagazin
Al-Monitor. Diese Show hätte mit der ersten Episode abgesetzt werden
müssen, verlangt er.
Reichlich spät. Denn in ein paar Tagen wird es mit den Auswüchsen im Kampf
um höhere Ramadan-Einschaltquoten ohnehin vorbei sein – am Mittwoch endet
der Fastenmonat mit dem Zuckerfest.
11 May 2021
## LINKS
[1] /Irakischer-Comedian-ueber-seine-Show/!5264976
## AUTOREN
Karim El-Gawhary
## TAGS
Reality-Show
Irak
Tunesien
Ramadan
Schwerpunkt Pressefreiheit
Schwerpunkt Coronavirus
Tunesien
Zehn Jahre Arabischer Frühling
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