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# taz.de -- Neue Serie „Fatma“ auf Netflix: Fromme Morde
> Eine als Reinigungskraft tätige Frau in Istanbul scheint für ihre Umwelt
> unsichtbar. Das nutzt „Fatma“ für einen Rachefeldzug gegen die
> Männerwelt.
Bild: Burcu Biricik ist „Fatma“ – und lässt sich nichts mehr gefallen
Verzweifelt sucht Fatma Yılmaz ihren Mann Zafer, der seit seiner Entlassung
aus dem Gefängnis verschwunden ist. Übrig gelassen hat er ihr einen Berg
Schulden bei miesen Typen und die Missgunst ihres sozialen Umfelds. Um über
die Runden zu kommen, putzt sie für einen Hungerlohn in einem
Einkaufszentrum oder in den Wohnungen wohlhabender Stadtteile Istanbuls.
Ihr eigener Status in einem konservativen, einfachen Vorort entspricht
einer anderen Lebensrealität.
„Fatma“, glaubhaft dargestellt von Burcu Biricik und namensgebende
Protagonistin der sechsteiligen Netflix-Serie aus der Türkei, ist eine
fromme Mittdreißigerin. Den patriarchalen Bedingungen der Gesellschaft
ausgeliefert, ist sie schier unsichtbar für ihre Umwelt und ohne ihren
Ehemann somit fast machtlos. Auch hat sie ihren autistischen Sohn durch
einen Verkehrsunfall verloren.
Dass ihr Mann Zafer sie hat sitzen lassen, will sie nicht wahrhaben und
erkundigt sich auch bei Bayram, Zafers Chef und mehr Mafioso als
Geschäftsmann, immer wieder nach ihm. Auf der Suche nach Zafer begibt sie
sich zu einem seiner Gläubiger, der sie bedroht. Fatma handelt im Affekt
und drückt ab, doch ihr Geständnis nehmen die männlichen Ermittler der
Polizei nicht ernst.
Schnell wird klar, dass Fatmas Unscheinbarkeit sie unverdächtig macht. Als
ein Mitwisser sie deshalb als Auftragsmörderin benutzen und erpressen will,
stößt sie ihn vor einen Zug. Auch ihr Vermieter nutzt die Situation der
verlassenen Fatma aus, ist sexuell übergriffig und droht sie aus dem
Häuschen zu werfen, woraufhin sie ihn in einer Baustelle entsorgt. Als
Nächstes ermordet sie einen frauenfeindlichen Mafiaboss und erschießt einen
Handlanger von Bayram.
## „Ich habe keine Angst“
Zwar plant sie die Morde nicht, begeht jedoch eine Kurzschlussreaktion nach
der anderen. Dass man(n) sie schlicht nicht ernst nimmt und deshalb nicht
verdächtigt, macht sich Fatma geschickt zum Vorteil und wird dadurch
zunehmend selbstsicherer.
„Ich habe keine Angst. Ich werde nicht mehr schweigen“, lässt sie ihren
durchgebrannten Mann wissen, als sie ihn aufspürt und ihm mit der Tatwaffe
die Morde anhängt. Dass auch Putzmittel als Waffe dienen können, zeigt
Fatma, als sie damit kurzerhand eine mächtige Anwaltskanzlei in Brand
setzt, die sie für den Schaden am Auto haftbar macht, das ihren Sohn
tötete.
Nach und nach wird enthüllt, durch welche Traumata und Ohnmacht sich Fatmas
Wut entlädt und wie Erinnerungen sie unfreiwillig die Taten begehen lassen.
Angedeutet wird dabei, dass Fatma bereits als Kind sexualisierte Gewalt
erfahren hat, was zur Entzweiung mit ihrer Schwester Emine führte, die als
unabhängige und selbstsichere Frau das Gegenteil von Fatma verkörpern soll.
## Fortsetzung kann folgen
Welche Handlungsspielräume bleiben als Frau in einer misogynen
Gesellschaft? Die Serie „Fatma“ von Filmemacher Özgür Önurme kritisiert …
erster Linie patriarchale Mechanismen und schneidet auch andere kritische
Themen der türkischen Gesellschaft an, bleibt dabei aber etwas
oberflächlich. [1][Wer die erfolgreichen Serien „Bir Başkadır“] oder
„Şahsiyet“ mochte, wird thematische Parallelen wahrnehmen.
Die Mordserie, die Fatma begeht, befreit sie letztendlich nicht [2][von der
Ungerechtigkeit, die sie erfährt.] Die Realität bleibt, wie sie ist, mit
omnipräsentem Sexismus und mit der Gewalt, der sie als Frau und als
Individuum niedriger sozialer Klasse ausgesetzt ist. Aktuell ist das Thema
nicht zuletzt auch durch den kürzlich angekündigten Ausstieg der Türkei aus
der Istanbul-Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen.
Am Ende gerät Fatma doch noch unter Verdacht. Und wenn ihr ein glückliches
Ende in der erste Staffel verwehrt bleibt, dann bleibt so immerhin die
Möglichkeit für eine Fortsetzung offen.
2 May 2021
## LINKS
[1] /Netflix-Serie-Acht-Menschen-in-Istanbul/!5729586
[2] /Immer-mehr-Femizide-in-der-Tuerkei/!5703468
## AUTOREN
Tarık Kemper
## TAGS
Netflix
Gewalt gegen Frauen
Türkei
Schwerpunkt Türkei
Feminismus
GNS
Moderne Kunst
Türkei
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