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# taz.de -- Verhetzung und Strafrecht: Streit um Schutz für Muslime
> Die neue Strafnorm gegen „verhetzende Beleidigung“ soll nach dem Willen
> der CDU/CSU nur Gruppen mit NS-Verfolgungsschicksal schützen.
Bild: Auch Muslime sind gefährdet: Anschlagsopfer in Hanau
Freiburg taz | – Die Große Koalition wird eine neue Strafnorm gegen
„verhetzende Beleidigung“ schaffen. Die CDU/CSU will dabei aber
ausgerechnet Muslimen den Schutz verweigern.
Konkret geht es um verhetzende Emails oder Briefe, die an Einzelpersonen,
Initiativen oder Verbände geschrieben werden. Da wird die erneute Vergasung
von Juden propagiert, den Muslimen der Tod gewünscht und Homosexuelle
werden als „Perverse“ geschmäht. Alles strafbar? Von wegen.
So können individuell zugesandte Nachrichten nicht als „Volksverhetzung“
bestraft werden. Denn eine Volksverhetzung liegt laut Strafgesetzbuch nur
vor, wenn die Aussage „der Öffentlichkeit zugänglich“ gemacht wurde oder
wenn sie geeignet ist, „den öffentlichen Frieden zu stören“.
Auch eine „Beleidigung“ ist in der Regel nicht gegeben, weil hier gegen
Gruppen gehetzt wird und nicht gegen konkrete Personen. Eine
Kollektivbeleidigung ist laut Bundesverfassungsgericht bisher nur strafbar,
wenn der Adressatenkreis überschaubar ist.
## Die Strafbarkeitslücke
Schon im Frühjahr 2020 hat [1][Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte
der Bundesregierung,] auf diese Strafbarkeitslücke zwischen Beleidigung und
Volksverhetzung hingewiesen. Es gelang ihm, Thorsten Frei, Fraktions-Vize
der CDU/CSU, und Eva-Högl, damaliges Pendant bei der SPD, zu überzeugen.
Seitdem verhandeln die Regierungskoalitionen über einen neuen
Strafparagrafen.
Offiziell wurde das Vorhaben erstmals im November 2020. Damals beschloss
der [2][Antifa-Kabinettsausschuss der Bundesregierung] eine Liste mit 89
Maßnahmen gegen Rechtsextremismus und Rassismus. Mit dabei: „Erarbeitung
von Regelungsvorschlägen zur Strafbarkeit von verhetzenden Beleidigungen“.
Diskutiert wird nun ein neuer Paragraph 192a im Strafgesetzbuch. Danach
würde sich strafbar machen, wer die Menschenwürde anderer angreift, indem
er bestimmte Gruppen verächtlich macht oder verleumdet. Die Koalition hat
sich aber noch nicht auf einen gemeinsamen Entwurf geeinigt.
## CDU will Schutz begrenzen
Hauptstreitpunkt ist die Frage, welche Gruppen und welche Personen hier vor
Angriffen geschützt werden sollen. CDU-Mann Frei will den Anwendungsbereich
der Norm eng halten. „Nicht jede Kollektivbeleidigung soll strafbar sein“,
sagte er zur taz. Die Union will den Schutz der Norm daher auf die
Mitglieder von Gruppen begrenzen, die im Nationalsozialismus verfolgt
wurden.
Das hält die SPD jedoch für falsch. „Dann wären ja Muslime nicht erfasst�…
warnt Johannes Fechner, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion.
[3][Nach den Morden von Hanau] und der Anschlagsserie des NSU, die jeweils
auf Muslime abzielten, sei es nicht vertretbar, ausgerechnet Muslime beim
Schutz der neuen Norm auszunehmen.
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat im Januar geprüft, ob die
Beschränkung der Strafnorm auf Gruppen mit NS-Verfolgungs-Geschichte
rechtlich möglich wäre und hat dies bejaht. Der Gesetzgeber habe einen
weiten Gestaltungsspielraum. Die Annahme sei „nicht willkürlich“, dass
Gruppen, die im Nationalsozialismus verfolgt wurden, auch heute noch
besonders schutzwürdig sind, so das Kurz-Gutachten, das der taz vorliegt.
## Zentralrat will keine Exklusivität
Politisch ist der bisher kaum bekannte Vorschlag der CDU/CSU aber
konfliktträchtig. „Es ist brandgefährlich, die Strafbarkeit auf nur einige
betroffene Gruppen zu beschränken und dadurch den Eindruck zu erwecken, der
Staat würde zwischen Betroffenen der ersten und zweiten Klasse
unterscheiden“, kritisiert Deniz Nergiz, Geschäftsführerin des
Bundeszuwanderungs- und Integrationsrats (BZI).
Auch der Zentralrat der Juden will keinen Exklusivschutz für Jüdinnen und
Juden. „Es ist selbstredend, dass ein solcher Straftatbestand nicht eine
bestimmte Gruppe, sondern alle Opfer schützen soll.“
Thorsten Frei geht davon aus, dass eine Einigung noch in dieser Wahlperiode
möglich ist. „Die CDU/CSU ist an der Realisierung der neuen Strafnorm genau
so interessiert wie die SPD.“
2 Apr 2021
## LINKS
[1] https://www.bmi.bund.de/DE/ministerium/beauftragte/beauftragter-antisemitis…
[2] /Kampf-gegen-Rechtsextremismus/!5669084
[3] /Schwerpunkt-Rechter-Anschlag-in-Hanau/!t5563930
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Volksverhetzung
Muslime in Deutschland
Strafrecht
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Rechter Anschlag in Hanau
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Landtagswahlen
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