# taz.de -- Debatten ums Öffnen: Ciao Kinder, wir geh'n Biergarten! | |
> Kinder und Jugendliche sind seit einem Jahr solidarisch, um andere zu | |
> schützen. Aber Hauptsache die Erwachsenen kriegen ihre Öffnungs-Debatten. | |
Bild: Eltern: inzwischen sehr nah am Wasser gebaut | |
Angeblich hat man in dieser Pandemie viel Zeit nachzudenken. Das stimmt | |
wohl. Außer man hat Kinder. Die meiste Zeit kann ich meine eigenen Gedanken | |
nicht hören. Eine Frage hat sich dennoch in meinem Kopf festgesetzt: Was | |
ist in diesem Land ein Kinderleben wert? Und damit meine ich nicht nur das | |
reine Am-Leben-sein. Sondern auch den Alltag der Kinder. Die Gesundheit. | |
[1][Die seelische Unversehrtheit.] | |
Seit Montag geht der Dreijährige wieder in die Kita. Anders als in Schulen | |
heißt das in Berlin: ohne Abstand, ohne Masken, ohne regelmäßiges Testen | |
der Kinder, mit ungeimpften Erzieher:innen, ohne Belegungsobergrenze, denn | |
es sind quasi alle Eltern systemrelevant. | |
Dass die Kitas vor allem offen bleiben, weil die Eltern sonst gar nicht | |
arbeiten könnten, ist klar. Wieso dabei Kitakinder aber nicht mal annähernd | |
so geschützt werden wie Schulkinder, konnte mir noch keiner erklären. Seit | |
Wochen wird hier offenbar auf Durchseuchung gesetzt, ohne das klar | |
auszusprechen. | |
Nun geht das Kind also in die Kita bei einer Inzidenz um die 170 ohne eine | |
Teststrategie. Weil er Kontakt zu Gleichaltrigen braucht. Weil unsere | |
Kräfte aufgebraucht sind. [2][Er war jetzt 4,5 Monate am Stück zu Hause.] | |
Insgesamt waren es im vergangenen Jahr acht Monate. Wir hatten es auch | |
schön, keine Frage – wir sind privilegiert. Wir haben sichere, flexible | |
Jobs, haben Platz, viel Grün in der Nähe. Nur deshalb konnten wir das so | |
lange machen. Wir haben alle Einschränkungen hingenommen. In dem Vertrauen, | |
dass das mit dem Ziel geschieht, aus der ganzen Sache gemeinsam | |
rauszukommen. | |
## Ich pfeife auf den Biergarten | |
Nun sehe ich aber auch, dass sich der politische Eiertanz, der hier seit | |
Wochen um die dritte Welle veranstaltet wird, nicht an mich richtet, nicht | |
um mich bemüht ist. Und schon gar nicht um meine Kinder. Vielleicht liegt | |
das daran, dass wir uns in einem Wahljahr befinden. Das macht es natürlich | |
nicht besser. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Gemeinsamkeit | |
grundsätzlich kein politischer Stil ist in diesem Land. Kaum eine | |
Politiker:in vermag, über die Grenzen des eigenen Ressorts, des Landes, | |
der Kommune, der Wähler:innen und Spender:innen zu denken. Nicht mal | |
jetzt. | |
Was ist also in diesem Land ein Kinderleben wert? Ich habe das Gefühl: | |
nicht viel. [3][Wenn dieser Tage etwa Olaf Scholz] – als Teil der | |
Regierung, als Sozialdemokrat, der vorgibt Kanzler werden zu wollen – | |
verkündet, man solle ein paar Wochen durchhalten, um im Sommer „mutig“ zu | |
öffnen, um im Biergarten zu sitzen und in Urlaub zu fahren. Ich pfeife auf | |
den Biergarten. Ich brauche keinen Urlaub. | |
Also – schon, ja, und wie! Doch was ich als Erstes brauche, ist Sicherheit | |
für die Kinder und die Eltern, die allen Kontakten der Kinder stets | |
mitausgesetzt sind. Schutz und Beständigkeit für jene Kinder und | |
Jugendliche, die seit über einem Jahr solidarisch alle Einschränkungen | |
hingenommen haben, damit andere geschützt werden konnten. | |
28 Apr 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Kinder-in-der-Pandemie/!5744954 | |
[2] /Kinderbetreuung-in-der-Pandemie/!5750558 | |
[3] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/corona-massnahmen-olaf-scholz-wi… | |
## AUTOREN | |
Saskia Hödl | |
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