# taz.de -- Stillen in der Öffentlichkeit: Panda, Brüste, Baby und ich | |
> Fast überall gibt es mittlerweile Coronatestzentren. Nur Orte, um sein | |
> Kind zu stillen, bleiben immer noch rar. | |
Bild: Bequem geht anders – Sitzmöglichkeit, die nicht zum Verweilen einladen… | |
Da sitze ich nun neben [1][Bao Bao, dem großen Panda], auf einer roten | |
Kunstlederrolle und das Baby trinkt an der Brust. Meine Nase juckt unter | |
der Maske. Ich mustere die Nachbildung eines Korallenriffs in der Mitte des | |
Raumes. Dahinter [2][der ausgestopfte Knut]. Es hat gefühlt 35 Grad im | |
Berliner Naturkundemuseum. Die Babytrage noch halb umgeschnallt, halte ich | |
ungelenk ein großes Spucktuch vor mich, damit die Tröten hier nicht so | |
durch den Raum strahlen. Sonst kreischt gleich wieder jemand: „Bedecken Sie | |
sich!“ Interessanterweise meist Frauen. Ich schwitze. Das Baby sieht mich | |
an, als wollte es fragen, was der Mist hier eigentlich soll. | |
Beim ersten Kind hat es mich noch überrascht, wenn ich beim Stillen | |
beschimpft wurde. Jetzt bin ich gewappnet. Wer will als Erstes eine | |
Abreibung? Aber es bleibt ruhig. Wäre auch absurd zwischen eingelegten | |
Rochen und präparierten Bären wegen einer stillenden Frau die Fassung zu | |
verlieren. Niemand. Nicht mal ein Wanderrucksackträger, der mir | |
unaufgefordert erzählt, wie lange seine Frau Birte gestillt hat und wie | |
wundervoll der gebärende Körper nicht ist. | |
Als mein Freund vorhin fragte, ob er schauen soll, wo der nächste | |
Wickelraum ist, bevor er mit dem Großen vorausgeht, hatte ich schon genug: | |
„Ich stille hier! Ich geh nicht in irgendeinen Abstellraum!“ Dabei hat er | |
es nur gut gemeint. Das „Stillzimmer“ hier kenn ich vom ersten Kind. Eine | |
Mischung aus Erste-Hilfe- und Pausenraum. Es riecht wie das Biologiekammerl | |
damals in der Schule, wo präparierte Frösche und vergilbte Schaukarten | |
eingerollt auf ihre 15 Minuten Ruhm warteten. | |
## Geplant von einem Mann | |
Wasser trinken wäre toll. Doch die Tasche steht unerreichbar auf dem Boden. | |
Es gibt kaum Sitzgelegenheiten, die Leute sollen wohl nicht lange bleiben. | |
Kann ich verstehen – damals, ohne Kinder, hielt mein Freund so lange | |
Monologe [3][vor dem Archeopteryx], dass ich überlegte in das Maul des | |
T-Rex zu klettern und mich tot zu stellen. Nicht auszudenken, hätte er bei | |
seinen Ausführungen sitzen können. Inzwischen hat er keine Chance mehr, | |
irgendwas zu erklären, denn der 3-Jährige rauscht mit einem Affenzahn hier | |
durch. Das schmerzt ihn, merke ich, aber er rennt tapfer hinter dem Kind | |
her. | |
Wer dieses Korallenriff sauber halten muss, ist eine arme Sau, denke ich, | |
als das Baby für alle hörbar in die Windel donnert. Hätte ich nur mal den | |
Wickelraum genommen. Diese Kunstlederrolle macht mich immer wütender. Eine | |
Bank, auf der man nichts ablegen, kein Kind wickeln kann? Hat sicher ein | |
Mann geplant. | |
Es ist übrigens bemerkenswert – ich dachte, dass es in Berlin nicht | |
schlimmer werden kann für stillende, wickelnde Menschen. Aber jetzt, wo | |
testlos alles geschlossen ist, wo draußen Absperrbänder flattern und es | |
plötzlich mehr Coronatestzentren gibt als öffentliche Wickelräume, weiß ich | |
auch: man muss dankbar sein für jede trockene Kunstlederrolle. | |
25 May 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.museumfuernaturkunde.berlin/de/museum/ausstellungen/panda | |
[2] https://www.museumfuernaturkunde.berlin/de/museum/ausstellungen/highlights-… | |
[3] https://www.museumfuernaturkunde.berlin/de/ueber/neuigkeiten/archaeopteryx-… | |
## AUTOREN | |
Saskia Hödl | |
## TAGS | |
Kolumne Kinderspiel | |
Stillen | |
Mutterschaft | |
Kolumne Kinderspiel | |
Kolumne Kinderspiel | |
Kolumne Kinderspiel | |
Stillen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Elternschaft und Emotionen: Das größte Paradox | |
Elternsein ist vollkommenes Chaos und Langweile gleichermaßen. Und dann | |
wird einem oft noch klar, wie entbehrlich man ist. | |
Fehlende Soldarität unter Müttern: Alles Jammerlappen außer Mutti | |
Immer wieder stellen Eltern die Existenz struktureller Missstände in Frage, | |
weil sie sie persönlich nicht kennen. Warum fällt es so schwer, solidarisch | |
zu sein? | |
Debatten ums Öffnen: Ciao Kinder, wir geh'n Biergarten! | |
Kinder und Jugendliche sind seit einem Jahr solidarisch, um andere zu | |
schützen. Aber Hauptsache die Erwachsenen kriegen ihre Öffnungs-Debatten. | |
Stillen auf dem Catwalk: Babys als neue Trend-Accessoires | |
Das US-Topmodel Mara Martin stillte ihr Baby auf dem Laufsteg. Das löste | |
einen Begeisterungssturm aus. Dabei steckt dahinter ein bedenklicher Trend. |