# taz.de -- Haltung von Mastrindern in Deutschland: Das Leid der Bullen | |
> Mastbullen leben so beengt, dass sie ihre Nachbarn berühren, wenn sie | |
> sich hinlegen. Forscher fordern mehr Platz. Doch Bauern protestieren | |
> vehement. | |
Bild: Manche blicken fast schon hoffnungsvoll: Bullen in einem Stall bei Münch… | |
BERLIN taz | Sie sind wahre Kolosse: Bullen sind oft 2,50 Meter lang und | |
wiegen 700 Kilogramm. Trotzdem leben männliche Rinder auf nicht einmal 3 | |
Quadratmetern, [1][das entspricht der Fläche zweier Zimmertüren.] Es ist | |
üblich, dass mehrere Tiere gemeinsam in einer Stallbucht untergebracht | |
werden und sich nicht einmal gleichzeitig hinlegen können, ohne sich | |
gegenseitig zu berühren, wie Christoph Winckler, Veterinärmediziner an der | |
Universität für Bodenkultur in Wien, sagt. | |
Dennoch reagierte etwa der Deutsche Bauernverband mit einem regelrechten | |
Aufschrei, als das bundeseigene Thünen-Agrarforschungsinstitut und das vom | |
Staat finanzierte Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft | |
(KTBL) vor Kurzem eine neue Empfehlung zum Platzbedarf von Mastrindern | |
herausgab: [2][Ein Tier mit mehr als 600 Kilogramm Gewicht soll mindestens | |
6 Quadratmeter Platz haben.] Bereits bei weniger als 4,5 Quadratmetern | |
sehen die WissenschaftlerInnen Tierwohlprobleme. | |
Die Kontroverse könnte das Image der deutschen Rinderhaltung bei den | |
VerbraucherInnen beschädigen. „Aus unseren Studien wissen wir, dass die | |
Bevölkerung die Rinderhaltung im Vergleich zur Haltung von Schweinen und | |
Geflügel eher als tierfreundlich einschätzt“, schreibt Achim Spiller, | |
Professor für Agrarmarketing an der Universität Göttingen, der taz. „Aber | |
die Tierschutzprobleme in der Rindermast sind erheblich und werden von der | |
Bevölkerung bisher unterschätzt.“ | |
Nicht nur die Fleisch- sondern auch die Milchproduktion ist betroffen, denn | |
die meisten Mastbullen kommen auf Milchviehhöfen zur Welt, wo sie zwei | |
Wochen leben, bevor sie an spezialisierte Mastbetriebe verkauft werden. | |
[3][Fast 50 Prozent des in Deutschland produzierten Rindfleisches stammt | |
laut Thünen-Institut von Mastbullen.] Im Mai 2020 betrug ihre Zahl demnach | |
rund 900.000. | |
## Enge führe zu Stress | |
Zudem beeinflusst die Debatte wohl auch die Diskussion über neue Regeln für | |
die Rindermast. Die Borchert-Kommission des Bundesagrarministeriums will | |
bald Kriterien festlegen, die Bauern erfüllen müssen, wenn sie die | |
geplanten Subventionen für eine tierfreundlichere Haltung erhalten wollen. | |
Am Anfang der Mast – von 150 bis 400 Kilogramm Körpergewicht – sollten laut | |
KTBL und Thünen-Institut 4 Quadratmeter und bei 400 bis 600 Kilo 5 | |
Quadratmeter zur Verfügung stehen. Schon bei je nach Gewicht weniger als | |
2,5 bis 4,5 Quadratmetern sei das Wohlbefinden der Tiere beeinträchtigt, | |
weil sie sich nur eingeschränkt ausruhen und bewegen könnten, schreiben die | |
AutorInnen in ihrer Publikation „[4][Tierschutzindikatoren: Leitfaden für | |
die Praxis – Rind]“. | |
Zudem träten dann leichter Krankheiten wie Gelenkschäden, Lahmheit oder | |
Verletzungen der Schwanzspitzen auf. Enge verursache auch „Stress aufgrund | |
vermehrter sozialer Auseinandersetzungen“. | |
Dennoch werden die meisten Bullen auf viel kleinerem Raum gehalten. Laut | |
Bauernverband sind die nun von den WissenschaftlerInnen empfohlenen Werte | |
„weit ab von praxisüblicher Rindermast“. [5][„Aktuell haben die meisten | |
konventionellen Bullenmastbetriebe auf Vollspalten 2,7 Quadratmeter pro | |
Tier“, räumte der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband (WLV), eine | |
Unterorganisation des Bauernverbands, kürzlich in seinem Presseorgan | |
Wochenblatt ein.] Auslauf ist sowieso nur in Biobetrieben vorgeschrieben. | |
Die RindermästerInnen sehen sich nun laut Bauernverband „massiv in ihrer | |
Existenz bedroht“. Denn weniger Tiere pro Bucht bedeuten weniger Einnahmen. | |
Eine „annähernd wirtschaftliche Bullenmast ist damit unmöglich“, | |
kritisierte der WLV. „Unsere Bullenmäster sind sauer und gelinde gesagt | |
enttäuscht über die Flächenangaben“, schrieb Bernhard Schlindwein, | |
Vizehauptgeschäftsführer des Verbands. „Wir fordern: Weg mit den konkreten | |
Flächenangaben!“ | |
## „Schlicht falsch“ | |
Der Bauernverband vertritt die Gegenposition der WissenschaftlerInnen: „Es | |
ist schlicht falsch, dass Tiere bei den herkömmlichen Platzvorgaben | |
leiden“, behauptet Henrik Wiedenroth, Rinderhaltungsreferent des | |
Bauernverbands, im Wochenblatt. Belege für seine Aussage nennt Wiedenroth | |
aber nicht. Die Thünen- und KTBL-WissenschaftlerInnen dagegen berufen sich | |
vor allem auf die in der Branche angesehene EU-Behörde für | |
Lebensmittelsicherheit (Efsa). | |
[6][Deren ExpertInnen werteten 2001 und 2012 die Fachliteratur aus und | |
kamen zu dem Schluss, dass ein über 600 Kilo schweres Rind mindestens 4,5 | |
Quadratmeter benötige.] Auch die Efsa-Angaben für die niedrigeren | |
Gewichtsklassen entsprechen den „Alarmwerten“ von Thünen und KTBL. | |
Unterhalb dieser Grenzen erwarten die ForscherInnen Probleme für das | |
Wohlergehen der Tiere. | |
Die „Zielwerte“, die die ForscherInnen für die Praxis als erstrebenswert | |
ansehen, haben sie festgelegt, nachdem sie laut eigenen Angaben 195 | |
ExpertInnen befragt haben. Darunter seien andere WissenschaftlerInnen, aber | |
auch VertreterInnen von Bauernverbänden gewesen. Die Zahlen liegen auch | |
noch unter den Vorgaben der EU-Öko-Verordnung oder des vom Deutschen | |
Tierschutzbund vergebenen Siegels „Mehr Tierschutz“. | |
Aber würden nicht viele BullenmästerInnen in Deutschland aufgeben und die | |
Fleischimporte steigen, wenn die Tiere mehr Platz bekommen? „Das Ziel der | |
Borchert-Kommission ist ja der Ausgleich der Mehrkosten einer | |
tierfreundlichen Haltung gegenüber dem EU-Standard. Insofern soll es ja | |
gerade nicht zu einer Aufgabe bei den Betrieben kommen“, antwortet | |
Professor Spiller, der auch Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats für | |
Agrarpolitik beim Bundeslandwirtschaftsministerium ist. | |
Es ist durchaus realistisch, dass die VerbraucherInnen bald eine Abgabe auf | |
Fleisch für mehr Tierwohl zahlen werden, die die Bauern bekommen. Denn | |
selbst der bei CDU/CSU gut vernetzte Bauernverband unterstützt diesen | |
Ansatz. | |
Eine Landwirtin empfahl deshalb in einem Internetforum den Mästern, nicht | |
auf Zuständen zu beharren, die die VerbraucherInnen schockieren. | |
Stattdessen sollten sie sagen, was eine tierfreundlichere Haltung kostet – | |
und auch selbst dafür kämpfen, dass sie finanziert wird. | |
6 Apr 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bau-wiki.de/tuer-und-torwiki/tueren/masse-und-abmessungen/tuer-… | |
[2] https://www.ktbl.de/fileadmin/user_upload/Allgemeines/Download/Tierwohl/KTB… | |
[3] https://www.thuenen.de/media/ti-themenfelder/Nutztierhaltung_und_Aquakultur… | |
[4] https://www.ktbl.de/fileadmin/user_upload/Allgemeines/Download/Tierwohl/Lei… | |
[5] https://www.wochenblatt.com/landwirtschaft/tier/kein-verstaendnis-fuer-flae… | |
[6] https://ec.europa.eu/food/sites/food/files/safety/docs/sci-com_scah_out54_e… | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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