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# taz.de -- Linke Kneipe in Kreuzberg: Räumung ohne Meuterei
> Die Meuterei in Kreuzberg ist ohne großen Widerstand geräumt worden.
> Militante Aktionen gab es dagegen in der Nacht.
Bild: Bye bye Meuterei
Berlin taz | Die Spieler*innen, die auf ein von linker Subkultur befreites
Berlin setzen, sind ihrem Bingo wieder ein Stück näher gekommen. Am
Donnerstagmorgen hat die Polizei die Kreuzberger [1][Kneipe Meuterei]
geräumt, die für die linksradikale Szene der Stadt elf Jahre lang günstiges
Bier und Plenumsräume bot. Auch die Domestizierung des einst widerständigen
und rauen Kreuzbergs schreitet damit weiter voran.
Das Szenario „Polizeigroßaufgebot räumt alternative Kiezkneipe“ erinnerte
an das erzwungene Ende des Syndikats im August vergangenen Jahres – ebenso
wie ein altes Graffito am Neuköllner Herrfurthplatz. Hier formierte sich
morgens um 6 Uhr eine erste Demo. Das Syndikat-Kollektiv, kneipenlos, aber
politisch umso aktiver, hatte zur Solidarität mit der Meuterei gerufen und
viele waren gefolgt.
Auf dem Weg nach Kreuzberg schlossen sich den anfangs 200 Teilnehmenden
noch einmal mindestens ebenso viele an. Einige Anwohnende am Kottbusser
Damm dürften durch ein erfrischendes „Die Kneipen denen, die drin saufen“
aus dem Schlaf gerissen worden sein. Auf einem Häuserdach brannten
Unterstützer*innen Pyrotechnik ab und entrollten Transparente:
„Meuterei verteidigen, besetzen, enteignen“.
Mit Überquerung des Kanals enterte der Demozug das Hochsicherheitsgebiet,
das die Polizei hier seit Mittwochnachmittag errichtet hatte. 1.000
Polizist*innen sollten effektive Störungen der Räumungsaktion schon im
Keim ersticken. Dafür hatten sie in der Reichenberger und Lausitzer Straße
eine abgegitterte Versammlungsverbotszone errichtet. Spezialkräfte
verteilten sich auf den umliegenden Dächern. Fast schon resigniert endete
die Demonstration an der Polizeiabsperrung. Etwa 50 Teilnehmer*innen
einer Fahrraddemo, die am Schöneberger Jugendzentrum Potse startete,
schlossen sich ihnen kurze Zeit später an.
## Aufruf zu dezentralen Aktionen
Das vorher ausgerufene Widerstandskonzept des Tages lautete: [2][die
Polizei beschäftigen]. Aufgerufen wurde zu verteilten Kundgebungen und
Demonstrationen sowie zu dezentralen Aktionen. Womöglich gehören 13 durch
Brandstiftung beschädigte oder zerstörte Autos in der Nacht zu den
Ergebnissen dieser Taktik. Ebenso sollen an mehreren Objekten von
Immobilienfirmen Scheiben zerstört worden sein. Bei den Versammlungen rings
um die Meuterei beklagte die Polizei dagegen lediglich „illegale
Pyrotechnik“.
Als pünktlich um 8 Uhr morgens die Gerichtsvollzieherin im
Sicherheitsbereich anrückte, saßen zwei Mitglieder des Meuterei-Kollektivs
am Tresen ihrer Kneipe und prosteten sich zu. Das online verbreitete Bild
gehört zu den wenigen schönen eines insgesamt eher tristen Tages. Dutzende
Polizist*innen, die in dem Hinterhof der Meuterei verschwanden, brauchten
schlussendlich keine 20 Minuten, um auf der Vorderseite der Kneipe wieder
herauszuspazieren. Die beiden angetroffenen Frauen führten sie ebenfalls
hier heraus. Nach Feststellung ihrer Personalien durften sie gehen.
Beobachtet wurde das Schauspiel aus dem abgegatterten Gehwegbereich der
gegenüberliegenden Straßenseite von einem Großauflauf an
Journalist*innen und Linke-Politiker*innen. Angesichts der
Partei-Prominenz fühlte man sich fast an einen Parteitag erinnert. Pascal
Meiser, Bundestagsabgeordneter aus dem Bezirk, sprach gegenüber der taz von
einer „Niederlage für die Stadt und für alle Linken“. Mit der Meuterei
verliere Kreuzberg „ein weiteres Stück unangepasstes, alternatives, nicht
kommerzielles Kiezleben“. Meiser forderte einen besseren gesetzlichen
Schutz für Gewerbetreibende auf Bundesebene, etwa Mindestvertragslaufzeiten
oder gedeckelte Mieten.
## Linke in Erklärungszwang
Während sich die Grünen bedeckt hielten und die SPD eh keine Sympathie für
die linke Szene pflegt, ist [3][für Die Linke die nächste Räumung nach
Syndikat und Liebig34 durchaus problematisch]. „Es ist schwer vermittelbar,
dass nicht der Senat, sondern die Gerichte entscheiden“, sagte Meiser. Die
beiden abgeführten Meuterei-Mitglieder jedenfalls verweigerten sich einem
Gespräch mit Linken-Politiker*innen, die sie in der polizeilichen Maßnahme
besuchten.
In einem Statement der Kneipe hieß es, die Räumung sei „ein weiteres
Beispiel dafür, wie der rot-rot-grüne Senat die Profit-Interessen von
Investor:innen durchprügelt“. In ihrem Fall profitiert der
Immobilienspekulant Goran Nenadic, der das Gebäude nach dem Kauf 2011
aufteilte, die Wohnungen sanieren ließ und verkaufte. Vor zwei Jahren
verweigerte er der Meuterei eine Verlängerung des Mietvertrags. Weil das
Kollektiv nicht freiwillig auszog, holte sich der Eigentümer einen
gerichtlichen Räumungstitel.
Laut Polizeiangaben gestattete der Eigentümer Journalist*innen die
Begehung der geräumten Kneipe. Begierig filmte etwa die Junge Freiheit die
Räume ab, in denen Rechte bislang Hausverbot hatten. Der Verlust der
Meuterei ist, spätestens in diesem Moment, auch ein Verlust politischer
Kultur.
25 Mar 2021
## LINKS
[1] /Kneipenkollektiv-droht-Rauswurf/!5572337
[2] /Meuterei-vor-der-Raeumung/!5756948
[3] /Raeumung-einer-Kiezkneipe-in-Berlin/!5757112
## AUTOREN
Erik Peter
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