| # taz.de -- Doxing von Autorin Jasmina Kuhnke: Der Mob vor der Tür | |
| > Die Comedy-Autorin Jasmina Kuhnke wird von Rassist:innen bedroht und | |
| > muss sogar umziehen. Den Nährboden dafür bereiten auch Liberale. | |
| Bild: Jasmina Kuhnke ist bei Twitter als „Quattromilf“ antifaschistisch unt… | |
| Ein Pizzalieferdienst klingelt am Sonntag, den 14. Februar an Jasmina | |
| Kuhnkes Haustür. Doch Kuhnke hat keine Pizza bestellt. Dutzende Male wird | |
| es an diesem Tag noch an ihrer Tür klingeln. Kurz zuvor war Kuhnke von | |
| einem Netzwerk von Rassist:innen gedoxt worden. Das heißt: Ihre Adresse | |
| wurde gegen ihren Willen im Netz veröffentlicht, ein Video, in dem ihr Haus | |
| zu sehen ist, weiterverbreitet. Es wird dazu aufgerufen, „Jasmina zu | |
| massakrieren.“ Die bestellten Lieferdienste sind eine Machtgeste der | |
| Rassist:innen, um zu zeigen: Wir wissen, wo du wohnst. Wer hinter diesen | |
| Drohungen steckt, ist bislang nicht bekannt. | |
| Kuhnke arbeitet als Comedy-Autorin. Öffentlich bekannt ist sie vor allem | |
| durch Twitter. Dort schreibt sie als „Quattromilf“ täglich über Rassismus, | |
| Antifaschismus und Feminismus. Gerne auch mal provokativ, wie sie selbst | |
| sagt. 86.000 Accounts folgen ihr auf Twitter. | |
| Bedrohungen und Beleidigungen gegen sie und ihre Familie kennt sie seit | |
| Jahren. Durch die Veröffentlichung ihrer Adresse habe sich die Lage | |
| verschärft. Am Tag des Doxings wendet sich Kuhnkes Familie an die Polizei – | |
| doch ohne Erfolg. Ihr wird vom LKA gesagt, dass es sich um keine | |
| Gefährdungssituation handele, erzählt sie der taz. „Wir hatten die | |
| Hoffnung, dass wir von der Polizei geschützt werden. Doch als bis zum Abend | |
| des Folgetags nichts passierte, haben wir unser Zuhause verlassen“, sagt | |
| Kuhnke. Die Familie zieht in ein Hotel, später zu Freund:innen, | |
| mittlerweile hat sie ein neues Zuhause. | |
| Immer wieder müssen Menschen in Deutschland umziehen, weil sie bedroht | |
| werden. Es trifft Politiker:innen, Journalist:innen oder | |
| Aktivist:innen. In der Regel sind es Menschen, die sich öffentlich | |
| feministisch, antirassistisch und antifaschistisch äußern. | |
| ## Gesetze allein reichen nicht | |
| Doxing ist ein beliebtes Mittel zur Einschüchterung, das in bestimmten | |
| Szenen schon seit Jahren genutzt wird. [1][Seit Ende 2018 wird es auch in | |
| der Öffentlichkeit diskutiert]. Damals wurden Adressen, Telefonnummern und | |
| Chatverläufe von 1.000 Politiker:innen und Prominenten veröffentlicht. | |
| Daraufhin wurde das Strafgesetzbuch verschärft. Seit 3. April dieses Jahres | |
| gibt es ein neues Gesetzespaket zur Bekämpfung von Hass im Netz. Wer | |
| öffentlich andere beleidigt, kann dafür bis zu zwei Jahre Haft bekommen. | |
| Soziale Netzwerke müssen strafbare Postings nicht mehr nur löschen, sondern | |
| dem Bundeskriminalamt melden. Auch wurde es Betroffenen erleichtert, eine | |
| Auskunftssperre im Melderegister zu beantragen. | |
| Doch Gesetze allein werden nicht ausreichen. Denn der Schutz der | |
| Betroffenen beginnt früher, etwa bei der Polizei. Jasmina Kuhnke erzählt, | |
| dass die Polizei ihr geraten habe, sie solle sich von Twitter abmelden. | |
| „Das ist eine Täter-Opfer-Umkehr. Sie sagen damit: Wenn du still bist, | |
| passiert dir nichts. Doch das ist nicht die Lebensrealität von | |
| Diskriminierten.“ Wünsche wie Personenschutz oder eine regelmäßige Streife | |
| vor ihrem Haus seien nicht erfüllt worden. | |
| ## Aufräumen in den eigenen Reihen | |
| Auch andere Betroffene fühlen sich von der Polizei allein gelassen. So | |
| erzählte die [2][Comedian İdil Baydar 2020 der taz,] dass sie das Gefühl | |
| habe, der Polizei sei ihre Bedrohungslage egal gewesen. Ähnliches berichten | |
| [3][die NSU-Opfer-Anwältin Seda Başay-Yıldız und andere, die rechtsextreme | |
| Drohbriefe bekommen h]aben. Sie sehen sich mit einer Polizei konfrontiert, | |
| die von digitaler rechter Gewalt überfordert ist. | |
| Die deutschen Sicherheitsbehörden müssen also umfassend sensibilisiert | |
| werden. Die NSU-2.0-Drohserie und die rechtsextremen Chatgruppen innerhalb | |
| der Polizei haben zudem gezeigt, dass die Behörden dringend in den eigenen | |
| Reihen aufräumen müssen. | |
| Kuhnke ist es wichtig zu betonen, dass die Bedrohungen gegen sie nicht nur | |
| von Rechtsextremen ausgehen, sondern auch aus der gesellschaftlichen Mitte | |
| kommen. Gemeinsam mit der Amadeo-Antonio-Stiftung hat sie nach der | |
| Veröffentlichung ihrer Adresse den „Sheroes-Fund“ ins Leben gerufen. | |
| Innerhalb kürzester Zeit kam so das nötige Geld zusammen, damit Kuhnke die | |
| aktuellen Kosten für Sicherheitsmaßnahmen, Rechtsanwält:innen und ihren | |
| Umzug bezahlen konnte. „Daraufhin war ich jedoch einem erneuten Shitstorm | |
| ausgesetzt, diesmal von liberaler Seite. Mir wurde vorgeworfen ich wollte | |
| mich doch nur persönlich bereichern.“ Kuhnkes Kosten sind mittlerweile | |
| gedeckt, der Fund bleibt trotzdem bestehen, damit anderen betroffenen | |
| Personen geholfen werden kann. | |
| ## Nährboden für den Hass | |
| Dass Kuhnke nicht nur von Rechten, sondern auch von Liberalen angegriffen | |
| wird, ist nicht neu. Im Januar erschien ein Text im Tagesspiegel, in dem | |
| ihr – nicht namentlich, aber doch eindeutig adressiert – vorgeworfen wurde, | |
| ihr Antirassismus sei ihr Geschäftsmodell. Bekannte Rechte teilten und | |
| likten den Text auf Twitter. Danach hätten die Drohungen gegen sie noch | |
| einmal zugenommen, sagt Kuhnke. | |
| Fälle wie diese zeigen, welche schwerwiegenden Folgen es haben kann, eine | |
| angeblich von [4][links ausgehende Cancel Culture] herbeizureden, oder | |
| links und rechts gleichzusetzen. Seit Jahren werden immer wieder | |
| seitenlange Texte in den größten Zeitungen des Landes veröffentlicht, in | |
| denen eine Bedrohungslage von links mit einer von rechts gleichgesetzt | |
| wird. Es gibt allerdings keinen einzigen öffentlich bekannten Fall einer | |
| Person, die wegen einer linken Bedrohung ihr Zuhause verlassen musste. | |
| Die angebliche Bedrohung unser Meinungsfreiheit durch Kritik an | |
| antisemitischen, sexistischen und rassistischen Praktiken scheint für | |
| einige Liberale gefährlicher zu sein als die lebensbedrohliche Situation, | |
| der politisch Engagierte von rechts ausgesetzt sind. Dieser | |
| gesellschaftliche Diskurs ist ein Nährboden für den Hass, den | |
| Diskriminierte im Netz erfahren. | |
| Auch Kuhnke sagt: „Rassist:innen töten. Da können wir keine | |
| Hufeisen-Theorien gebrauchen. Wir müssen jetzt zusammenhalten.“ | |
| 12 Apr 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Nach-der-Veroeffentlichung-privater-Daten/!5559761 | |
| [2] /Comedian-dil-Baydar-ueber-Morddrohungen/!5694869 | |
| [3] https://www.fr.de/politik/nsu-20-frankfurt-polizei-drohmail-beuth-innenmini… | |
| [4] /Offener-Brief-gegen-Cancel-Culture/!5694595 | |
| ## AUTOREN | |
| Carolina Schwarz | |
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