| # taz.de -- Olaf Scholz über die Kanzlerschaft: „Die Stunde der SPD beginnt�… | |
| > Bundesfinanzminister Olaf Scholz will Kanzler werden. Sein zentrales | |
| > Projekt: ein Mindestlohn von 12 Euro. Aus den Schulden wolle er | |
| > herauswachsen. | |
| Bild: Mit Olaf Scholz soll es vorwärtsgehen für die SPD | |
| taz am wochenende: Herr Scholz, die Grünen wollen in Baden-Württemberg | |
| weiter mit der CDU regieren. Ist das ein Zeichen gegen die Ampel in Berlin? | |
| Olaf Scholz: Nein. In Stuttgart hätte es die Möglichkeit gegeben, eine | |
| fortschrittlichere Regierung zu bilden, doch die Grünen haben sich anders | |
| entschieden. Das ist ihr gutes Recht. Auswirkungen auf den Bund kann ich da | |
| nicht erkennen – genauso wenig im Übrigen, wenn sich Herr Kretschmann | |
| anders entschieden hätte. | |
| Kretschmann hat „Sie kennen mich“ plakatieren lassen. Sie haben Ihrer | |
| Konkurrenz gegenüber – ob Laschet oder Söder, Habeck oder Baerbock – den | |
| Bonus, Vizekanzler zu sein. Werden Sie auch auf „Sie kennen mich“ setzen? | |
| Diese Formulierung mag auch auf mich zutreffen, sie ist aber vergeben. Frau | |
| Merkel hat sie verwandt und Herr Kretschmann hat sie sich geborgt. Ich bin | |
| kein Fan von Kopien. Die Bürgerinnen und Bürger wissen sehr genau, welcher | |
| Kandidat über die nötige Regierungserfahrung verfügt und einen klaren Plan | |
| hat, damit Deutschland um 2050 klimaneutral wirtschaften und technologisch | |
| weiterhin in der Spitzengruppe sein kann. | |
| Und wie lautet der SPD-Slogan? | |
| Den Slogan werden wir nicht schon jetzt in der taz verkünden. Mir geht es | |
| um drei zentrale Projekte: Respekt, Europa und Zukunft, also die | |
| ökologische Umgestaltung der Wirtschaft. | |
| Herr Scholz, werden Sie Kanzler? | |
| Ja. | |
| Die SPD glaubt seit mehr als zehn Jahren, dass ihre Stunde schlägt, wenn | |
| Merkel abtritt und die Union sich in Machtkämpfen aufreibt. Aber von dieser | |
| Krise der Union profitieren Grüne und FDP. | |
| Zunächst einmal stimmt es, dass sich die Union gerade in Machtkämpfen | |
| aufreibt und in Umfragen unter 30 Prozent liegt. Wer hätte das vor sechs | |
| Monaten für möglich gehalten? Bei der Bundestagswahl in sechs Monaten wird | |
| die Pandemie hoffentlich überwunden sein. Die Wählerinnen und Wähler werden | |
| dann fragen: Wie soll es jetzt weitergehen? Die SPD hat einen sehr guten | |
| Plan für die Zeit danach und einen überzeugenden Kandidaten. | |
| Die Stunde der SPD kommt also noch? | |
| Sie beginnt gerade. | |
| Wer ist Ihr unangenehmerer Gegner – Laschet oder Söder? | |
| Das ist mir herzlich egal. | |
| Armin Laschet hat einen Brückenlockdown vorgeschlagen. Ist das überzeugend? | |
| Bis jetzt hat noch niemand so recht herausgefunden, was genau Herr Laschet | |
| vorschlägt. Auch ich nicht. | |
| Brauchen wir noch einen harten Lockdown? | |
| Manchmal wundere ich mich etwas. Denn wir haben weitreichende | |
| Beschränkungen beschlossen für die Regionen, in denen die Inzidenz über 100 | |
| steigt. Wichtig und richtig ist, die Notbremse überall dort zu ziehen, wo | |
| die Werte zu hoch sind. Warum in NRW etwa keine Ausgangsbeschränkungen | |
| verhängt werden, erschließt sich mir nicht. Ich warne aber auch vor einer | |
| Katastrophenrhetorik, die ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit verstärkt. In | |
| der Bekämpfung dieser Pandemie befinden wir uns im Endspurt. Das rettende | |
| Ziel – die Impfung von ausreichend Bürgerinnen und Bürgern – ist in Sicht. | |
| Im Sommer sind wir wohl durchs Ziel. Jetzt müssen wir aber noch einmal alle | |
| Kräfte mobilisieren. | |
| Zwei Drittel der Deutschen bewerten das Krisenmanagement der Regierung | |
| negativ. Warum ist die Stimmung gekippt? | |
| Die Hilfspolitik der Regierung erhält gute Noten: In den vergangenen 13 | |
| Monaten haben wir die deutsche Wirtschaft mit Milliardensummen gestützt, | |
| Beschäftigung gesichert und das Gesundheitssystem ertüchtigt. Allein das | |
| jüngste Programm, die Überbrückungshilfe III, umfasst bis zu 50 Milliarden | |
| Euro. Durch die Kurzarbeitsregelung ist die Krise auf dem Arbeitsmarkt | |
| längst nicht so tief geworden wie befürchtet … | |
| Und warum ist die Stimmung gekippt? | |
| Weil einiges auch nicht gut gelaufen ist. Die Bestellung der Impfstoffe ist | |
| dafür das beste Beispiel. Das haben wir Anfang des Jahres deutlich | |
| angesprochen … | |
| … und Gesundheitsminister Spahn attackiert … | |
| … was nicht alle Medien [1][goutiert] haben. Ich bin aber froh, dass wir | |
| diese Missstände offen diskutiert haben. Denn sonst würden bis heute | |
| unzählige Gerüchte über Fehler der Impfstoffbeschaffung kursieren. Jetzt | |
| gilt es nach vorne zu schauen. Vertrauen entsteht durch Taten, nicht durch | |
| flotte Slogans, die ein PR-Berater erfindet. | |
| Hat das Misstrauen nicht mit dem Krisenmanagement selbst zu tun? Große | |
| Unternehmen wie Lufthansa und Festangestellte kommen gut weg, aber viele | |
| Soloselbstständige nicht. | |
| Ich verstehe den Vorwurf, teile ihn aber nicht. Bei der Lufthansa habe ich | |
| darauf gedrängt, Kredithilfen nur gegen Beteiligung des Staates an dem | |
| Unternehmen zu gewähren. Und für Soloselbstständige haben wir Zuschüsse | |
| durch die Neustarthilfe geschaffen und einen einfacheren Zugang zur | |
| Grundsicherung für Lebensunterhalt und Miete. In der Tat hat die Krise aber | |
| Schwächen unserer sozialen Sicherung verdeutlicht. Wir brauchen ein für | |
| alle passendes Bürgergeld. Ich bin überzeugt, dass Soloselbstständige eine | |
| bessere soziale Absicherung brauchen. | |
| Selbstständige sollen in die Arbeitslosenversicherung einzahlen müssen? | |
| Nein, aber das sollte freiwillig möglich sein. | |
| Der Bund hat wegen Corona 400 Milliarden Euro Schulden aufgenommen. Wie | |
| soll das zurückgezahlt werden? | |
| Vorweg: Das ist eine Menge Geld. Hätten wir das aber nicht getan, wäre uns | |
| die Krise auf Dauer viel teurer gekommen. Und wir können aus diesen | |
| Schulden buchstäblich herauswachsen, so wie das nach der Finanzkrise der | |
| Fall war. Bis Ende dieses Jahrzehnts werden wir die finanzielle Stabilität | |
| zurückgewinnen, die wir vor Corona hatten. | |
| Also wird Deutschland in zehn Jahren wieder die Maastricht-Kriterien | |
| erfüllen? | |
| Das ist möglich, und zwar ohne Kürzungen, wenn wir es richtig machen. | |
| Die Schuldenbremse verlangt, dass die Coronakredite getilgt werden. | |
| Wachstum allein reicht nicht. | |
| Wir rechnen damit, dass wir ab 2026 rund 18 Milliarden Euro pro Jahr tilgen | |
| müssen. Deshalb trete ich dafür ein, auf der Einnahmeseite etwas zu tun. | |
| Ein Beispiel dafür ist die Finanztransaktionssteuer – dafür fehlt bisher | |
| leider eine Mehrheit im Bundestag. Beim effektiveren Kampf gegen | |
| Steuervermeidung kann man noch viel mehr tun. Und wir sollten | |
| umweltschädliche Subventionen abbauen. Damit die 16 Länder mehr investieren | |
| können, wäre eine Vermögenssteuer sinnvoll. | |
| Welches Volumen soll die Vermögenssteuer haben? | |
| Es wäre klug, sich an der Schweiz zu orientieren. Dort wird von einem | |
| Vermögen von 1 Million Franken an etwa 1 Prozent pro Jahr fällig. Der Blick | |
| ins Ausland ist ohnehin interessant: Im konservativen Großbritannien gibt | |
| es seit Jahrzehnten eine Vermögenssteuer für Unternehmen. | |
| Der Bund muss nicht nur die Coronaschulden tilgen – auch der Klimaschutz | |
| wird teuer. | |
| Meine mittelfristige Finanzplanung sieht vor, dass wir jedes Jahr | |
| mindestens 50 Milliarden Euro für Investitionen bereitstellen können – eine | |
| Rekordsumme. Die Unternehmen werden ebenfalls viel Geld investieren. Es | |
| gibt jedoch eine ganze Reihe von planungsrechtlichen Hindernissen. Wenn | |
| wir den Stromausbau so hinbekommen wollen, wie Fridays for Future und ich | |
| es für richtig halten, müssen wir das Planungsrecht so ändern, dass der Bau | |
| einer Stromtrasse nicht mehr zwanzig Jahre dauert, sondern nur drei. | |
| Bald könnte sich eine weitere Geldquelle für den Bund auftun: | |
| US-Finanzministerin Yellen will eine globale Mindeststeuer. | |
| Ich freue mich über die Unterstützung aus Washington für ein Projekt, für | |
| das ich mich seit Beginn meiner Amtszeit sehr engagiere. Ich habe | |
| international stark dafür geworben, eine gemeinsame Verständigung über zwei | |
| Punkte hinzubekommen: eine fairere Besteuerung der digitalen Wirtschaft und | |
| eine Mindestbesteuerung der Unternehmen. Mit der Trump-Administration war | |
| das nicht möglich. Mit der Biden-Regierung gibt es nun Rückenwind. Das ist | |
| gut. | |
| Die USA wollen bei der globalen Unternehmenssteuer einen Mindestsatz von 21 | |
| Prozent. Sie auch? | |
| Ich bin für einen Steuersatz, der hoch ist. | |
| Die SPD regiert seit 1998 fast ununterbrochen. Trotzdem können viele von | |
| ihrem Lohn nicht leben, selbst wenn sie Vollzeit arbeiten. Wie wollen Sie | |
| das ändern? | |
| Wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn von mindestens 12 Euro. Es geht | |
| auch um mehr Tariflöhne und bessere Bezahlung. All das wird aber erhebliche | |
| Veränderungen bedeuten: Es wird dann etwas teurer, im Restaurant zu essen | |
| und die Preise im Lebensmittelgeschäft werden steigen. Auch | |
| Dienstleistungen, die manche als „Homecare“ für sich in Anspruch nehmen, | |
| werden sich verteuern. Das muss es uns aber wert sein. | |
| Wann würde dieser Mindestlohn eingeführt? | |
| Im ersten Jahr meiner Kanzlerschaft. | |
| Glauben Sie wirklich, die FDP wird in einer Ampel Ja zu 12 Euro Mindestlohn | |
| und einer Vermögenssteuer sagen? | |
| Wahlen sind Plebiszite. Ein starkes Mandat für die SPD macht verschiedene | |
| Koalitionen möglich. Vor allem müssen wir endlich wieder die Regierung | |
| führen, statt häufig mit einem Kanzleramt zu ringen, das viele unserer | |
| Vorhaben falsch und wichtige Dinge oft erst mit Jahren Verspätung richtig | |
| findet. | |
| 10 Apr 2021 | |
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