# taz.de -- Fußballfans über Geisterspiele der Bundesliga: „Die Bühne fehl… | |
> Eine Task Force hat die Zukunft des Profifußballs diskutiert. Zwei Fans | |
> berichten von unerwarteten Gemeinsamkeiten und der Bedeutung der Kurve. | |
Bild: Und keiner sieht's: Maskottchen Paukle ist zieimlich einsam im Stadion de… | |
taz: Frau Hass, Herr Gaber, vergangenes Jahr, hieß es, Geisterspiele | |
könnten die Position der Fans stärken. Ihre Reformforderungen erhielten | |
großen Zuspruch. Ein Jahr später schauen Millionen Menschen zufrieden | |
Geisterfußball, und Ihre Forderungen sind in Gesprächen ziemlich | |
abgewatscht worden. Verlieren Sie gerade an Einfluss? | |
Manuel Gaber: Anfangs hat man noch sehr deutlich gespürt, dass die Fans im | |
Stadion fehlen. Mittlerweile wird das immer normaler. Als Fans merken wir | |
sehr stark, dass uns das Stadion als Bühne fehlt. Wir können noch so gute | |
Konzeptpapiere und Argumente haben, aber uns fehlt das Stadion, um Druck | |
aufzubauen. | |
Anna-Maria Hass: Ein symptomatisches Bild ist, finde ich, wie die Ränge | |
immer mehr zu Werbeflächen verkommen sind. Ende letzter Saison war wirklich | |
noch sichtbar, dass da Fans fehlen. | |
Das klingt nach Ernüchterung. | |
Anna-Maria Hass: Ich würde es nicht mit dem Wort Ernüchterung beschreiben. | |
Aber es gab eine große Chance für Vereine und Verbände, etwas zu verändern, | |
und alles, was bisher passiert ist, sind Lippenbekenntnisse. Keine der | |
agierenden Personen stellt das System infrage. Ich höre immer mehr | |
Menschen, die sich fragen, ob sie zurückkehren werden, wenn das wieder | |
möglich ist. Der Fußball erkennt diese Gefahr überhaupt nicht. | |
War die [1][DFL-Taskforce „Zukunft Profifußball“], an der Sie beide | |
teilgenommen haben, eine Alibiveranstaltung? | |
Anna-Maria Hass: Die TeilnehmerInnen haben das nicht so verstanden. Der | |
allergrößte Teil hatte den Anspruch, etwas zu verändern. Wir fanden sehr | |
positiv, dass es einen guten Austausch gab. Die intransparente Art und | |
Weise, wie der Endbericht zustande gekommen ist, hinterlässt bei uns aber | |
einen faden Beigeschmack, und wir sind mit dem Ergebnis nicht zufrieden. | |
Manuel Gaber: Wir Fans konnten große Schnittmengen mit Sponsoren | |
feststellen, und in der Taskforce gab es einen Konsens bei vielen Themen. | |
Zum Beispiel bei der Frage: Braucht der Fußball mehr Geld? Nein, braucht er | |
nicht, es geht um die Verteilung. Jetzt liegt es in der Hand der | |
DFL-Vereine, grundlegende Reformen voranzubringen, damit die Taskforce | |
nicht als Alibiveranstaltung in Erinnerung bleibt. | |
Gab es wirklich Sponsoren oder Klubvertreter, die Umverteilung wollten? | |
Manuel Gaber: Bei den Zielen, zum Beispiel, dass die Spannung in der Liga | |
wiederhergestellt werden muss, herrschte insgesamt großer Konsens. | |
Aber gerade die Frage nach Maßnahmen ist doch der zentrale Streitpunkt. | |
Anna-Maria Hass: Beim „wie“ gab es natürlich kontroverse Meinungen. Wir | |
haben aber auch Zuspruch für weitere Maßnahmen wahrgenommen, die dann nicht | |
im Endbericht erwähnt werden. Wir kritisieren vor allem, dass für uns nicht | |
nachvollziehbar ist, warum welche Maßnahmen im Endbericht gelandet sind | |
oder auch nicht. Mit Blick auf die Verteilung ist ein grundsätzliches | |
Problem im Fußball, dass viele Teams sich besser einschätzen, als das der | |
Tabellenplatz aktuell hergibt. Wer sich als europäisch spielendes Team | |
sieht, obwohl er davon gerade ziemlich weit weg ist, denkt, dass andere | |
Vereine bei Umverteilung einem diesen Platz streitig machen könnten. Es | |
fehlen Leute,die auf das Gesamtkonstrukt schauen. | |
Manuel Gaber: Auch deshalb finde ich es cool, dass das bei uns Fans anders | |
funktioniert. Fans kriegen es eher hin, das große Ganze zu sehen – auch | |
Bayern- und BVB-Fans, die sich aktuell beispielsweise für eine Umverteilung | |
der Uefa-Gelder aussprechen. | |
Herr Gaber, Sie sind beim SC Freiburg aktiv, Frau Hass, Sie beim FC St. | |
Pauli. Es ist vielleicht kein Zufall, dass es gerade diese beiden Vereine | |
sind. Gibt es nicht doch Differenzen? Oder anders: Gibt es RB-Fans, die | |
mitmachen? | |
Anna-Maria Hass: Fans von RB sind kein Teil unseres Netzwerks „Zukunft | |
Profifußball“. Bei den anderen großen Vereinen gibt es aber mehr kritische | |
Stimmen, als man sich ausmalen mag. Es ist keine Bewegung der kleinen | |
Klubs. | |
In Umfragen, bei denen Fans zu Umverteilung befragt werden, sind | |
FC-Bayern-Fans deutlich weniger geneigt umzuverteilen als DarmstädterInnen. | |
Anna-Maria Hass: Die Umfragen, die ich kenne, sind da gar nicht so | |
eindeutig. Es kommt immer darauf an, wie man fragt. Häufig heißt es, dem | |
eigenen Klub solle etwas weggenommen werden. Das ist dann alles, was | |
hängenbleibt, und dazu sagt man erst mal Nein. | |
Sie wollen Umverteilung, die Taskforce empfahl systemerhaltende Maßnahmen | |
und etwas mehr Nachhaltigkeit. Wie machen Sie jetzt weiter? | |
Anna-Maria Hass: Natürlich müssen die positiven Ergebnisse der Taskforce | |
zum Beispiel im Bereich Nachhaltigkeit jetzt umgesetzt werden. Diesen | |
Prozess möchten wir begleiten, aber das reicht uns nicht. Am Ende | |
entscheiden in der DFL die 36 Vereine, entsprechend suchen wir auch | |
weiterhin das Gespräch mit Vereinen und Mitgliedern, um grundlegendere | |
Reformen auf den Weg zu bringen. | |
Bekommen Sie dabei auch Kritik aus der Fanszene – etwa dass Sie sich vor | |
den Karren der DFL spannen lassen, dass sie naiv sind? | |
Manuel Gaber: Es gibt natürlich gerade im Ultrà-Bereich viele Gruppen, die | |
sagen: Es ist komplett hoffnungslos. Mit denen müsst ihr nicht reden. Die | |
Stellungnahme von ProFans ging auch in die Richtung, dass die Taskforce nur | |
ein Laberladen sei. Wichtig ist, dass man sich als Fans nicht in einem | |
Kampf nach dem richtigen Weg verliert. Ich habe volles Verständnis für | |
Menschen, die sagen: Dieser Dialog mit den Verbänden war in der | |
Vergangenheit nie erfolgreich, warum soll er jetzt erfolgreich sein? Ich | |
habe aber für mich entschieden, dass die Krise und die Zusammensetzung der | |
Taskforce, dieses neue Format, eine unfassbare Chance war. Ich fand | |
wichtig, dass wir dort für unsere Positionen gekämpft haben, auch wenn ich | |
vom Ergebnis enttäuscht bin. | |
Und wenn Sie weiter von Ergebnissen enttäuscht bleiben? Wird es Leute | |
geben, die anders protestieren wollen? | |
Anna-Maria Hass: Wir können als Fanlandschaft sehr davon profitieren, dass | |
es verschiedene Wege und Protestformen gibt. Sobald wir wieder ins Stadion | |
können, werden wir unsere Enttäuschung über die ausbleibenden Reformen auch | |
dort zum Ausdruck bringen. | |
Manuel Gaber: Es gibt Leute, die sehen radikale Protestaktionen in den | |
Stadien als einzige Möglichkeit, weil sie von den Gesprächen in der | |
Vergangenheit enttäuscht sind. Und es gibt Leute, die versuchen – noch – | |
das Ganze in diplomatischen Gesprächen zu verbessern. Aber auch ich freue | |
mich, wenn die Verantwortlichen wieder den Druck aus der Kurve spüren. | |
Die DFL möchte jetzt auch Frauenfußball fördern. Sie beide sind in erster | |
Linie Männerfußball-Fans. Brauchen Ihre Gruppen mehr Synergien und | |
Kompetenz beim Thema? | |
Manuel Gaber: Wir waren erst einmal überrascht, weil es eine Taskforce für | |
Männerfußball war. Es gab kaum Leute mit Frauenfußball-Expertise darin. Wir | |
sind auch deshalb bewusst in den Austausch mit Spielerinnen, TrainerInnen | |
und Fans gegangen und haben nach deren Positionen gefragt und uns dann | |
bemüht, diese Positionen zu vertreten. Weil es wichtig ist, dass nicht vom | |
Männerfußball über den Frauenfußball gesprochen wird, sondern dass man den | |
Frauenfußball darin unterstützt, seine Ziele zu erreichen. | |
Anna-Maria Hass: Wir haben sehr deutlich gesagt: Nicht über den Kopf von | |
Aktiven hinweg. Das ist auch in den Endbericht gekommen. Es geht darum, | |
Besonderheiten des Frauenfußballs zu behalten. | |
Ist es angedacht, dass Sie im Dialog mit den Fußballerinnen bleiben? | |
Manuel Gaber: Vor Ort gibt es bereits immer mehr Austausch. Wie in | |
Dortmund, wo darüber abgestimmt wurde, ob das Frauenteam in der untersten | |
Liga anfängt oder die Lizenz eines höherklassigen Klubs übernimmt. Für | |
kleine Vereine wie den SC Sand gibt es eine reelle Gefahr, dass sie von | |
Männergroßklubs verdrängt werden. Da müssen wir ein Auge drauf haben. | |
Sie haben anfangs gesagt, Ihnen fehle die Bühne in den Stadien, auch der | |
soziale Ort. Was bedeutet das langfristig für Fankultur? | |
Anna-Maria Hass: Bei St. Pauli haben die Gruppen ihre Treffen ins Digitale | |
verlegt. Das klappt bisher zumindest einigermaßen. Ein Problem wird aber | |
sein, Nachwuchs zu rekrutieren. Es fehlt eine komplette Saison. Gerade die | |
Ultrà-Kultur lebt auch davon, dass junge Leute mit neuen Ideen dazukommen | |
und sich auch mal die Hörner abstoßen. | |
Manuel Gaber: Leute merken seit Monaten, dass man an Wochenenden auch | |
andere Sachen machen kann. Wenn es keine großen Reformen gibt, bleiben die | |
Aktiven nicht von einem Tag auf den anderen weg. Aber es kann bedeuten, | |
dass ich mir dreimal überlege, ob ich nächsten Samstag wirklich um fünf Uhr | |
aufstehen will, um von Freiburg nach Paderborn zu fahren. Dann gehe ich | |
vielleicht jedes zweite Wochenende im Schwarzwald wandern. | |
Wenn ich Sie richtig verstehe, werden Sie das ja nicht tun. Was lieben Sie | |
trotz allem so an Fußball, dass Sie bleiben? | |
Anna-Maria Hass: Bei mir ist es der FC St. Pauli als Verein und das, was | |
die Menschen hier ausmacht. Auch wenn bei uns nicht immer alles rund läuft, | |
weiß ich, dass es hier ganz viele Leute gibt, die sich für Verbesserungen | |
einsetzen. Es ist das soziale Erlebnis, das ich stark vermisse, und das ich | |
so nur aus dem Stadion kenne. Davon habe ich mich noch nicht verabschiedet. | |
Ich stelle mir diese Frage immer wieder: Was muss der Fußball eigentlich | |
machen, damit ich sage, dass es vorbei ist? | |
Manuel Gaber: Für mich ist [2][die Emotionalität beim Spieltag wichtig], | |
die völlig losgelöst vom Alltag ist. Die Woche kann scheiße gewesen sein, | |
aber wenn ein Tor fällt, liegt man wildfremden Menschen in den Armen. | |
Gerade in der Gesellschaft heute ist das Stadion ein Ort, an dem man immer | |
noch mit unglaublich vielen Menschen zusammenkommt, mit denen man nie | |
zusammengekommen wäre. Ich bin sehr froh über diese Berührungspunkte, weil | |
man sonst sehr isoliert in seiner Bubble lebt. | |
20 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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