Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Systemrelevantes Piksen
> Wie lässt sich einem Beamten erklären, was eine Satirikerin tut? Was ist
> das zu Coronazeiten für ein Beruf? Antworten gibt eine Hamburger Behörde.
Kürzlich rief ich bei einer Telefonnummer der Hamburger Schulbehörde an.
Ich wolle mein Kind in die schulische Notbetreuung schicken. Ich sei
systemrelevant.
„Was machen Sie denn beruflich?“, fragte der Mann am anderen Ende. „Ich b…
Schriftstellerin“, sagte ich. „Schriftstellerin“, wiederholte der Mann mit
gemütlichem Brummbass. „Genau genommen Satirikerin“, ergänzte ich. „Ich
schreibe satirische Geschichten, Reportagen und so weiter.“ – „Und so
weiter“, echote der Mann. Dann schwieg er einige Sekunden, als dächte er
sorgsam nach. „Das zählt leider nicht“, sagte er dann. „Ich schaue hier …
die Liste der systemrelevanten Berufe, und da steht das leider nicht.“
„Was ich mache, geht so in Richtung Justiz- und Maßregelvollzug“, sagte
ich, denn ich hatte im Internet nachgelesen, was alles als systemrelevant
zählt. „Ich maßregele die Mächtigen dieser Welt“, erklärte ich, „all …
Arschlöcher da oben! Ich kritisiere und verspotte Repräsentanten der Macht
auf den Feldern Wirtschaft, Kultur und Politik.“
„So, so“, murmelte der Behördenmann wenig beeindruckt.
„Jens Spahn“, schob ich eilig nach, denn ich wusste, dass alle Welt diesen
armen Mann zurzeit hasste, auch die Behörden. Die Wahrheit ist: Ich mache
mich über alles und jede(n) lustig, außer Jens Spahn, denn wenn ich in
diese traurigen, vom Leben und der Presse gezeichneten Kulleraugen schaue,
bekomme ich sofort weiche Knie. Aber Jens Spahn beeindruckte ihn leider
auch nicht.
„Satire ist wichtig“, versuchte ich es noch einmal allgemeiner: „Ich pikse
meine spitze Feder in die Wunden der Welt!“ Na gut, fügte ich etwas leiser,
fast reuevoll hinzu, Satire sei auch ein Tickchen systemstabilisierend,
weil man mit Witzen kollektiv über Mächtige lachen könne – das schaffe
heitere Entlastung, kanalisiere Wut, und am Ende habe niemand mehr genug
Wut für die soziale Revolution. Das eine wie das andere Argument konnte ihn
nicht überzeugen.
„Ja Himmel, ich kritisiere und prangere andere an und bald auch Sie, wenn
Sie mich nicht bitte, bitte als systemrelevant einstufen!“, rief ich schon
etwas gereizt. „Ich verspotte jeden! Übrigens auch mein Kind“, sagte ich
und unterlegte meine Stimme mit einem erschütternden Tremolo: „Ich halte
seine Dauerpräsenz und diese ganze Homeschooling-Kacke einfach nicht mehr
aus!“
Ungerührt diktierte er mir die Nummer einer Familienberatung. „Satire ist …
lustig“, krähte ich schon völlig verzweifelt: „Lachen ist gesund! Wer nic…
lacht, hat schon verloren! Fragen Sie … Dieter Nuhr!“
„Dieter Nuhr?“ Da wurde mein Widerpart plötzlich putzmunter. Ja, wenn ich
nur halb so gute Witze machte wie der begnadete Nuhr, dann sei das
natürlich was anderes. Dieter Nuhr sei systemrelevant, keine Frage! „Dieter
Nuhr“, giggelte er in sich hinein. Dann einigten wir uns auf eine vage
„Mitarbeit im Katastrophenschutz“, denn das betreibt Satire ja seit
Jahrtausenden bekanntlich auch.
7 Apr 2021
## AUTOREN
Ella Carina Werner
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Satire
Behörden
systemrelevant
Ostern
Die Wahrheit
Kolumne Die Wahrheit
Schwerpunkt Coronavirus
Mobbing
Alten- und Pflegeheime
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Ei, Ei, Ei, Apokalypse
Blutiger als die Passionsspiele: Krasse österliche Mutproben erobern rasant
die Jugendkultur. Eine Ostergeschichte der gefährlichen Art.
Die Wahrheit: Was wird aus Mimi?
Dank neuester Forschungsmethoden werden Millionen Labortiere bald nicht
mehr gebraucht. Doch wer denkt nun an die Leidtragenden?
Die Wahrheit: Lockdown in den Neunzigern
Stellen wir uns einen Moment vor, die Pandemie wäre vor einem
Vierteljahrhundert ausgebrochen – unter den Bedingungen der
Steinzeittechnik.
Die Wahrheit: Geiler als jetzt geht’s nicht
Jugendliche sind die Leidtragenden im Lockdown? Haben kein bisschen Fun in
diesen, schweren Zeiten? Das wollen wir doch mal sehen …
Die Wahrheit: Mobbing unter Bäumen
Die dunkle Seite des Waldes: Im dichten Unter- und Oberholz der Forste
geht’s auch nicht solidarischer zu als unter Menschen.
Die Wahrheit: Unkraut jäten im Neurosengarten
The show must go on: In Schleswig-Holstein gibt es seit einiger Zeit ein
Altersheim für verarmte Künstler. Ein Ortsbesuch.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.