# taz.de -- taz-Streitgespräch zur dena-Klimastudie: „Bei uns wird sich etwa… | |
> Dass die Industrie bei einer wichtigen Klimastudie mitreden darf, hat für | |
> Kritik gesorgt. Jetzt trafen sich die Beteiligten zur Aussprache. | |
Bild: Intensiver Austausch, aber keine Einigkeit: Andreas Kuhlmann, Kai Niebert… | |
Es war eine Veröffentlichung, die heftige Reaktionen hervorgerufen hat: | |
[1][In der vergangenen Woche hatte die Organisation Lobbycontrol | |
kritisiert], dass die sogenannte [2][„Leitstudie Aufbruch | |
Klimaneutralität“] der staatlichen Deutschen Energieagentur (Dena) zum | |
Großteil von Unternehmen finanziert wird und diese auch an Entscheidungen | |
beteiligt sind. Während Fridays for Future auf Twitter von „politischer | |
Korruption“ sprach, sieht Dena-Geschäftsführer Andreas Kuhlmann seine | |
Organisation zu Unrecht am Pranger. Auf Einladung der taz traf er am | |
Dienstag virtuell auf Lobbycontrol-Sprecherin Christina Deckwirth und Kai | |
Niebert, der für den Deutschen Naturschutzring im Beirat der Dena-Studie | |
sitzt, um über die Vorwürfe und mögliche Konsequenzen zu sprechen. Wir | |
dokumentieren hier Auszüge aus dem Gespräch. Einen Mitschnitt des Gesprächs | |
finden Sie [3][hier]. | |
taz: Frau Deckwirth, was genau stört Sie an der Dena-Leitstudie zur | |
Klimaneutralität? | |
Christina Deckwirth: Die Studie wird zu 80 Prozent über Partner finanziert, | |
und das sind ausschließlich Unternehmen und Unternehmensverbände. Und zwar | |
vor allem aus der Energiewirtschaft und aus anderen Branchen, die sehr | |
stark von der Energiewende und der Transformation der Wirtschaft in | |
Richtung Klimaneutralität betroffen sind. Je nach Größe zahlen sie zwischen | |
5.000 und 35.000 Euro. Das steht auf der Webseite, war aber lange Zeit | |
nicht transparent. Das widerspricht den Kriterien an wissenschaftliche | |
Forschung, wie sie etwa der Deutsche Hochschulverband formuliert. Das | |
zweite Problem ist Einseitigkeit. Zwar gibt es einen Beirat, in dem auch | |
zivilgesellschaftliche Akteure wie Umweltverbände sitzen. Aber der Beirat | |
ist nur beratend tätig, während die Unternehmen im Lenkungskreis sitzen und | |
ein Stimmrecht haben. Damit wird den Akteuren, die von der Forschung | |
betroffen sind, ein privilegierter Zugang gewährt auf die Forschung. | |
Herr Niebert, Sie sitzen für einen Umweltverband im Dena-Beirat. Wie groß | |
ist Ihr Einfluss? | |
Kai Niebert: Es ist richtig, dass es einen Lenkungskreis gibt, der lenkt. | |
Und der Beirat berät. Das ist eine klare Rollenteilung. Aber es gibt | |
durchaus Beispiele, wo man zeigen kann, dass der Beirat durchaus Einfluss | |
hat. Anfangs hat die Studie bis 2050 nur eine CO2-Reduktion von 80 bis 95 | |
Prozent zum Ziel gehabt. Da haben wir interveniert, jetzt sind es 100 | |
Prozent. | |
Herr Kuhlmann, können Sie die Kritik von Lobbycontrol nicht nachvollziehen: | |
Wer Geld bezahlt, darf Einfluss auf die Ergebnisse nehmen? | |
Andreas Kuhlmann: Wer sich engagiert, will Einfluss nehmen. Die Frage ist, | |
in welcher Form und wo. Und was lässt man zu. Jedes Unternehmen hat | |
unabhängig von der Größe eine Stimme im Lenkungskreis, und man braucht eine | |
Zweidrittelmehrheit, um dort etwas durchzusetzen. Neben dem Lenkungskreis | |
und dem Beirat gibt es das Konsortium, das sind Mitarbeiterinnen und | |
Mitarbeiter der Dena und die Gutachter. Die entscheiden am Ende. Und mit | |
den Projektpartnern machen wir Verträge, in denen die wissenschaftliche | |
Neutralität der Arbeit der Konsortialpartner sichergestellt wird. | |
Aber wir leben doch im Kapitalismus. Da bezahlt doch kein Unternehmen Geld, | |
ohne eine Gegenleistung zu erwarten. | |
Kuhlmann: Für die Unternehmen geht es zum einen um Erkenntnisgewinn. Mit so | |
vielen Akteuren über 18 Monate an einen solchen Projekt zu arbeiten, | |
rechtfertigt den Beitrag allemal. Aber natürlich haben die auch Interessen. | |
Und deswegen braucht es Organiationen wie die Dena, die sich dem | |
entgegenstellen und das moderieren. Die Kritik von Lobbycontrol beschädigt | |
unsere Rolle als Moderator zwischen den Welten, und das macht mich sehr | |
unglücklich. | |
Deckwirth: Wir wenden uns nicht dagegen, mit Unternehmen zu reden, und auch | |
nicht komplett gegen Auftragsforschung. Was wir kritisieren, ist das | |
Modell: Unternehmen finanzieren nicht nur, sondern sie entscheiden auch | |
mit. Was wir gehört haben, ist, dass gerade aus der Gasindustrie aggressiv | |
Einfluss genommen wird. Das spiegelt sich in den Szenarien wider, die | |
durchgefallen sind und nicht veröffentlicht worden sind. Im Wärmebereich | |
setzen andere Studien viel stärker auf Wärmepumpen. In den Szenarien in der | |
ena-Studie wurde noch von anderen Heizungsmodellen ausgegangen, von denen | |
die Gasindustrie profitiert. Das ist schädlich für glaubwürdige | |
Klimaforschung. | |
Kuhlmann: Wir machen nicht Forschung wie an der Hochschule. Die Leitstudie | |
Klimaneutralität ist ein Multi-Stakeholder-Projekt mit den Perspektiven der | |
Beteiligten. Und es ist nur eine Perspektive von vielen. Wir haben jetzt | |
auch noch keine Ergebnisse vorgelegt, sondern Quantifizierungen, mit denen | |
wir in eine zweite Phase gehen. Und die Frage, mit welchen Methoden wir im | |
Gebäudebereich klimaneutral werden, ist nicht einfach. Allein mit | |
Wärmepumpen wird das nicht gehen. | |
Die Klimabewegung Fridays for Future hat als Reaktion auf die | |
Lobbycontrol Kritik [4][von „Regierungskorruption“ gesprochen]. Finden Sie | |
diese Äußerung angemessen, Frau Deckwirth? | |
Deckwirth: Wir haben eine andere Wortwahl genutzt, und das sehr bewusst. | |
Aber das Ganze findet natürlich in einem Kontext statt, wo Lobbyismus | |
gerade sehr scharf kritisiert wird. Insofern kann man auch verstehen, dass | |
da gerade sehr viel Sensibilität bei diesem Thema herrscht. | |
Kuhlmann: Was die Fridays da gemacht haben, das ist politischer Rufmord. | |
Und da geht es mir nicht um mich, ich habe eine Verantwortung für 330 | |
Leute. Und 80 Prozent von denen laufen auf den Demos von Fridays mit. Wenn | |
die so etwas lesen müssen, das tut mir im Herzen weh. Ich hoffe, dass es | |
gelingt, auch dazu noch ein Gespräch zu organisieren. | |
Herr Niebert, was für Möglichkeiten sehen Sie als Verteter eines | |
Umweltverbands, der mit der Dena zusammenarbeitet, Vertrauen | |
wiederherzustellen? | |
Niebert: Industriefinanzierte Studien sind nicht per se problematisch. | |
Jeder Forschende trifft eine Entscheidung, indem er theoretische | |
Rahmendbedingungen heranzieht. Wichtig sind die Begründungen. Und hier muss | |
die Transparenz gestärkt werden: Wann wurde wie welche Entscheidung in den | |
entwickelten Szenarien getroffen. Und warum nicht Fridays for Future in den | |
Beirat einladen? Warum nicht Sitze vom Beirat im Lenkungskreis schaffen? | |
Das sind alles Maßnahmen, die denkbar sind, um zu zeigen: Wir haben | |
verstanden. | |
Was halten Sie davon, Herr Kuhlmann? | |
Kuhlmann: Sehr gern. Die Fridays müssen sich nur melden. Alle diese Ideen | |
sind Optionen. Es ist wichtig, dass man sich selbst immer wieder überprüft. | |
Bei uns wird sich etwas verändern, das ist vielleicht ein Verdienst von | |
Lobbycontrol. Aber im Kern möchte ich die Reputation meiner | |
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schützen. Wir wollen Energiewende und | |
Klimaschutz. Und wir werden alles dafür tun. | |
Reicht Ihnen das, Frau Deckwirth? | |
Deckwirth: Wir haben bei der Dena sofort eine Gesprächsbereitschaft | |
wahrgenommen. Und ich fand es sehr gut, dass es jetzt schon erste | |
Transparenzschritte gab. Wir sagen trotzdem: Das ist nur ein erster | |
Schritt. Wir wünschen uns, dass das Sponsoringmodell noch weiter infrage | |
gestellt wird. Transparenz ist wichtig, aber die Kritik am einseitigen | |
Zugang bleibt bestehen. | |
Sind Unternehmen für Sie Partner oder Gegner auf dem Weg in eine | |
klimaneutrale Welt, Herr Niebert? | |
Niebert: Auch in der Industrie wird nicht mehr grundsätzlich gezweifelt, ob | |
wir klimaneutral werden, sondern es geht um die Geschwindigkeit. Da müssen | |
wir hart in der Sache sein und dürfen das Ziel nicht aus den Augen | |
verlieren. Dann können wir auch als NGO mit Unternehmen reden, aber unter | |
der Maßgabe: Es geht nicht um das Ob, sondern um das Wie. | |
1 Apr 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Kritik-an-Klimastudie/!5757341 | |
[2] https://www.dena.de/dena-leitstudie-aufbruch-klimaneutralitaet/ | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=IkmCtAsShkA | |
[4] https://twitter.com/FridayForFuture/status/1375080238699397120?s=20 | |
## AUTOREN | |
Malte Kreutzfeldt | |
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