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# taz.de -- Zukunft Berlin und Brandenburg: Vom Siedlungsstern zum Netz
> Berlin und Brandenburg wachsen. Bislang gilt, dass dieses Wachstum
> entlang der Siedlungsachsen ins Umland stattfinden soll. Doch wird das
> reichen?
Bild: Solcher Siedlungsbrei ist im Umland zwischen den Bahnradialen nicht erwü…
Berlin taz | Normalerweise finden Gemeinden aus der Brandenburger
Peripherie nicht so gut Gehör. Vielleicht hat Marco Beckendorf auch deshalb
seine Stimme erhoben. „Ich bin Bürgermeister von [1][Wiesenburg/Mark], wir
haben seit der Wende 20 Prozent unserer Einwohner verloren“, stellt er
seine Gemeinde im Fläming an der Grenze zu Sachsen-Anhalt vor. Was zunächst
nach einem Hilferuf aus der berlinfernen Provinz klingt, nimmt freilich
eine überraschende Wendung: „Die Nachfrage nach Bauland ist bei uns
erheblich gestiegen“, freut sich Beckendorf. „Ich denke, dass wir in
Zukunft für Orte wie Wiesenburg oder auch Bad Belzig stabile
Einwohnerzahlen bekommen.“
Beckendorfs Wortmeldung ist eine von vielen beim [2][Themengespräch
„Siedlungsentwicklung und Mobilität“], das die [3][Stiftung Zukunft Berlin]
vergangenen Donnerstag veranstaltet hat. Bürgermeisterinnen und
Bürgermeister waren dabei, die Gemeinsame Landesplanung Berlin-Brandenburg,
regionale Planungsgemeinschaften, Verwaltungsfachleute. Vor dem Treffen hat
die Stiftung Zukunft Berlin ein Thesenpapier an die Staatskanzlei in
Potsdam und die Berliner Senatskanzlei übergeben. Die Botschaft ist klar:
Jetzt, wo so vieles in Bewegung gerät, überlassen wir das Feld nicht nur
der Politik und der Verwaltung, sondern mischen uns auch als Betroffene vor
Ort ein.
Was da so alles in Bewegung gerät, zeigt nicht nur das Beispiel Wiesenburg.
Auch andernorts ist der Wachstumsdruck längst über den Speckgürtel
hinausgegangen und hat die so genannten Städte der zweiten Reihe erreicht,
Eberswalde etwa, Fürstenwalde oder Luckenwalde. „Die Zahl der Pendler ist
seit 2000 um 60 Prozent gestiegen“, sagt Ex-DGB-Chefin Susanne
Stumpenhusen. „Im Umland berichten die Städte und Gemeinden schon von
Wachstumsschmerzen.“ Man brauche deshalb integrierte Regionalentwicklungs-
und Verkehrskonzepte auch für die strukturschwachen Regionen, forderte
Stumpenhusen, die die Arbeitsgruppe „Zukunftsforum Berlin-Brandenburg“ der
Stiftung leitet.
Bislang regelt der [4][Landesentwicklungsplan Hauptstadtregion (LEP HR)]
die Siedlungsentwicklung in beiden Ländern. Der Plan legt fest, dass sich
das Wachstum im Umland, aber auch darüber hinaus, entlang der gewachsenen
Siedlungsachsen konzentrieren soll. Siedlungsstern heißt das Bild, das
dieser Planung zugrunde liegt. Die Finger des Sterns entsprechen den
Wachstumskorridoren, die sich schon mit der Gründung Groß-Berlins 1920
entlang der S-Bahn-Trassen abgezeichnet hatten: nach Bernau, Werneuchen,
Strausberg, Erkner, Königs Wusterhausen, Blankenfelde, Ludwigsfelde,
Potsdam, Falkensee, Hennigsdorf, Oranienburg, Wandlitz. Die Flächen
zwischen den Achsen sollen von Bebauung frei bleiben, so dass die Grünkeile
bis in die Stadt hereinreichen. Das Ziel: Der Großraum Berlins soll so von
einem Siedlungsbrei, wie er andere Metropolen umgibt, verschont werden.
Doch ist das überhaupt noch zeitgemäß angesichts der neuen Stadtflucht, die
die Coronapandemie ausgelöst haben könnte? Der Ökonom Malte Behrmann
jedenfalls spricht davon, dass sich der Bedarf nach einer Zweitwohnung auch
außerhalb des Umlandes „massiv verstärkt“ habe. Eine „Zeitenwende“ ne…
gar der ehemalige Leiter der Potsdamer Staatskanzlei, Thomas Kralinski, die
Entwicklung.
Allerdings gibt es für diese Zeitenwende noch keine belastbaren Zahlen.
Darauf weist Maren Kern vom Verband Berlin-Brandenburgischer
Wohnungsunternehmen hin. So zeige die Leerstandsstatistik noch immer eine
Zweiteilung der Region. Während der Leerstand in Berlin und im Umland
drastisch zurückgehe, steige er in zehn der 18 Brandenburger Landkreise und
kreisfreien Städte sogar an. Kern weist allerdings darauf hin, dass die
Zahlen aus dem Jahre 2019 stammen, also noch aus der Zeit vor der Pandemie.
Gleichwohl plädiert Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert für eine
vorausschauende Planung. „Wir müssen vor allem die Zugverbindungen neu
denken“, fordert er. „Während in München auf manchen Strecken schon das
dritte Gleis geplant wird, tun wir uns schwer, überhaupt ein zweites Gleis
zu planen.“ Schubert verweist auf die vollen Züge von Neuruppin nach
Berlin. Auch das zweite Gleis von Lübbenau nach Cottbus lässt noch viele
Jahre auf sich warten, so dass die Anbindung der Lausitz an die Hauptstadt
nach wie vor ein Nadelöhr ist.
Ein gefundenes Fressen ist das natürlich für den ADAC. „Das Planen neuer
Schienenwege dauert in Deutschland im Schnitt 20 Jahre“, betont Volker
Krane, Vorstand Verkehr beim ADAC Berlin-Brandenburg. „Das ist eine
unzumutbar lange Zeit.“ Weil das ein Problem des bundesdeutschen Rechts
sei, könnten daran auch die beiden Länder Berlin und Brandenburg wenig
ändern. Krane plädiert daher für eine „vernetzte Mobilität“, bei dem au…
das Auto eine Rolle spielt. Außerdem sollen die Kapazitäten der Park and
Ride-Angeboten verdoppelt werden.
Allerdings mehren sich auch die Stimmen derer, die der Meinung sind, dass
der Siedlungsstern den Wachstumsdruck nicht alleine aufnehmen könne. „Wenn
das Homeoffice nach der Pandemie bleibt und man jenseits des Umlandes in
Brandenburg für eine Berliner Firma arbeiten kann“, so der ehemalige
Senatssprecher Richard Meng, „dann reicht die Diskussion um den
Siedlungsstern nicht mehr.“ Der an der Humboldt-Universität lehrende
Ethnologe Wolfgang Kaschuba argumentiert: „Der Siedlungsstern birgt auch
die Frage, ob die Konzentration der Entwicklung auf Berlin noch zeitgemäß
ist.“ Kaschuba plädiert deshalb für eine „Ausweitung des Sterns zum Netz�…
Auch der Stadtplaner Harald Bodenschaftz plädiert für ein Umdenken. „Stern
und Netz müssen kein Widerspruch sein“, sagt er. „Der Stern kann an
bestimmten Punkten auch korrigiert werden.“
Den Landesentwicklungsplan hat am Donnerstag dennoch keiner infrage
gestellt. Dabei war die Kritik vor der Wahl in Brandenburg im September
2019 groß gewesen. Der damalige CDU-Spitzenkandidat Ingo Senftleben hatte
den LEP im Falle einer Regierungsübernahme kassieren wollen. Die Kritik
damals lautete, dass die berlinfernen Regionen wegen der Konzentration auf
die Siedlungsachsen im Umland die Verlierer der Planung seien.
Mit der Bildung der Kenia-Koalition hat auch die CDU die Planung
akzeptiert. Vielleicht auch deshalb, weil Beispiele wie Wiesenburg zeigen,
dass auch die Peripherie auf einem guten Weg ist. Die Impulse dazu stammen
oft von Berliner Initiativen. In Wiesenburg ist es das [5][„KoDorf“], das
neues Leben in die Gemeinde bringt, eine Initiative für neues Leben und
Arbeiten auf dem Land, bei der Coworking und Coliving verbunden werden.
Wiesenburgs Bürgermeister findet das auch nachhaltig. „Gerade in den
kleinen Städten gibt es viele Brachen im Zentrum. Um alte Sägewerke oder
Brauereien umzunutzen, muss es aber auch die entsprechenden
Förderinstrumente geben.“
Und eine neue Idee der Mobilität. Wenn in Wiesenburg neues Leben einkehrt
und die Lausitz nach dem Strukturwandel brummt, braucht es auch
Bahnverbindungen. Derzeit dauert die Fahrt vom Fläming nach Cottbus
dreieinhalb Stunden – sie führt über Berlin. Im Siegerentwurf des
[6][städtebaulichen Ideenwettbewerbs Berlin Brandenburg 2070], den Harald
Bodenschatz mitinitiiert hat, wird deshalb ein dritter Eisenbahnring
gefordert. Das wäre eine nachhaltige Wachstumsplanung. Nicht Stern oder
Netz, sondern eine schienengebundene Verbindung der Netzknoten ohne den
Umweg über Berlin.
29 Mar 2021
## LINKS
[1] https://www.wiesenburgmark.de/
[2] https://www.youtube.com/watch?v=RVC4Gc-VOlg
[3] https://www.stiftungzukunftberlin.eu/
[4] https://gl.berlin-brandenburg.de/landesplanung/landesentwicklungsplaene/lep…
[5] https://www.kodorf-wiesenburg.de/
[6] https://unvollendete-metropole.de/wettbewerb-berlin-brandenburg-2070/
## AUTOREN
Uwe Rada
## TAGS
Stadtplanung
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Lesestück Interview
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