# taz.de -- Protest gegen Naturzerstörung in Polen: Streit über Oder-Ausbau | |
> Umweltverbände, Forscher und Politiker aus Polen und Deutschland wollen | |
> den Grenzfluss vor Eingriffen schützen. Der Hochwasserschutz sei ein | |
> Vorwand. | |
Bild: Oderwasser strömt durch das neue Einlaufbauwerk für einen Flutungspolder | |
BERLIN taz | Schutz gegen Hochwasser ist ein unstrittiges Ziel – außer er | |
dient als Deckmantel für Wirtschaftsinteressen, zweckentfremdete Gelder, | |
Naturzerstörung und führt so zu mehr Hochwasser. Diese Vorwürfe schmettern | |
Umweltverbände, Politiker und Wissenschaftler den Regierungen | |
Deutschlands und Polens, der EU und der Weltbank entgegen. In einer am | |
Montag veröffentlichten Stellungnahme fordern sie, Projekte zum Ausbau der | |
Oder einzustellen. | |
Zu den Unterzeichnenden zählen neben dem Deutschen Naturschutzring, Nabu, | |
BUND, WWF, DUH und anderen auch Experten etwa vom Leibniz-Institut für | |
Gewässerökologie (IGB) und Politiker des Brandenburger Landtags, des | |
Bundestags und des EU-Parlaments, primär von den Grünen und Linken. Hinzu | |
kommen die jeweiligen Pendants aus Polen. | |
Die deutsche und vor allem die polnische Regierung planen seit Jahren | |
Arbeiten an der Oder, 2015 schlossen sie dazu einen Vertrag. Polen treibt | |
den Ausbau seit einiger Zeit voran und will die Buhnen erneuern – Dämme aus | |
Steinen oder auch Beton, die vom Ufer in den Fluss ragen und diesen so | |
schmaler und schneller machen. [1][Ziel ist eine durchgängige Tiefe von | |
mindestens 1,80 Meter], damit Eisbrecher hindurch kommen, um im Winter | |
Hochwasserschutz zu gewährleisten. | |
Doch die Kritiker dieser offiziellen Begründung halten sie für | |
vorgeschoben und nennen drei Hauptargumente. Erstens würden die Maßnahmen | |
gar nicht gegen Hochwasser helfen, teils sogar das Gegenteil verursachen. | |
Das legen unter anderem [2][Berechnungen der Bundesanstalt für Wasserbau] | |
und [3][auch das IGB] nahe. Und noch nie, [4][das hat der Bundestag | |
bestätigt], habe es wegen Niedrigwassers ernste Probleme mit | |
Eisbrecher-Einsätzen gegeben. Zweitens würde der Ausbau „zu inakzeptablen | |
Schäden an den Ökosystemen führen“, „die Austrocknung der Auen zu einer | |
enormen Freisetzung von CO2 führen“ und gegen geltendes EU-Umweltrecht | |
verstoßen. Und drittens handele es sich bei der Nutzung bewilligter Gelder | |
um eine Zweckentfremdung aus primär wirtschaftlichen Interessen der | |
Binnenschifffahrt und einiger weniger Unternehmen. | |
Lange wurde an der Oder, die über fast 200 Kilometer die Grenze zwischen | |
Deutschland und Polen markiert, nicht viel verändert. Der Fluss ist für | |
größere Schiffe zu flach, gilt als einer der letzten weitgehend frei | |
fließenden Europas und durchquert einzigartige Landschaften. Darunter | |
befindet sich der deutsche Nationalpark Unteres Odertal mit Feuchtgebieten | |
und Flussauen. Um sie vor dem Ausbau zu schützen, wurden in Polen wie | |
[5][Deutschland kürzlich Petitionen eingereicht]. Das Brandenburger | |
Umweltministerium legte Widerspruch gegen die polnische Umweltprüfung ein: | |
Sie habe nur kurzfristige Folgen betrachtet. Dass dies Erfolg hat, gilt als | |
unwahrscheinlich. | |
## Appell an die EU-Kommission | |
Die nun vorgelegte Erklärung richtet sich an die Regierungen Deutschlands | |
und Polens sowie die internationalen Geldgeber. „Die Europäische Kommission | |
sollte kein Projekt finanzieren, das nicht den rechtlichen | |
Rahmenbedingungen der EU entspricht und nicht mit dem Europäischen Green | |
Deal und der EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 vereinbar ist“, findet | |
Mitunterzeichnerin Ska Keller, Co-Vorsitzende der Grünen/EFA Fraktion im | |
Europäischen Parlament. Weltbank, Entwicklungsbank des Europarates und | |
EU-Kommission müssten daher kritisch prüfen, wofür ihre Mittel tatsächlich | |
eingesetzt werden. | |
„Die Bundesregierung muss endlich auf die einseitigen Ausbaubestrebungen | |
Polens reagieren“, fordert die Brandenburger Landtagsabgeordnete Sahra | |
Damus. Die Grünen-Politikerin hat die Erklärung mit verfasst und vertritt | |
den Wahlkreis Frankfurt (Oder). „Polen plant weit mehr, als im Abkommen von | |
2015 steht“, sagt sie, „leider hat die damalige Brandenburger | |
Landesregierung das selbst mit befördert.“ Damit spielt Damus auf den | |
Umstand an, dass auch der Ausbau der Klützer Querfahrt [6][in dem Papier | |
geregelt] ist. Es handelt sich um einen kurzen Seitenarm auf polnischem | |
Gebiet. Seine Vertiefung würde der deutschen Papierfabrik Leipa in Schwedt | |
freie Schiffsfahrt zur Ostsee ermöglichen. | |
Zum Hochwasserschutz als Vorwand für Wirtschaftsinteressen lägen dem | |
Bundesumweltministerium (BMU) keine Erkenntnisse vor, sagte ein Sprecher | |
der taz. Die Länder seien für Umwelt-, Natur- und Hochwasserschutz | |
zuständig. Man habe das Umweltministerium Brandenburgs beim Widerspruch | |
gegenüber Polen unterstützt. Ob man eine Klage vor polnischen Gerichten | |
unterstütze, könne man noch nicht sagen. Zudem sehe das BMU „keine | |
erfolgversprechende Möglichkeit, auf EU-Ebene gegen dieses Vorhaben | |
vorzugehen“. Es würden aber in Absprache mit Polen Pläne erarbeitet, um | |
mögliche grenzüberschreitende Auswirkungen zu überwachen, „damit | |
rechtzeitig darauf reagiert werden kann.“ | |
22 Mar 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Geplante-Odervertiefung-im-Nationalpark/!5725327 | |
[2] https://www.wsa-oder-havel.wsv.de/Webs/WSA/Oder-Havel/DE/Wasserstrassen/Bau… | |
[3] https://www.igb-berlin.de/sites/default/files/media-files/download-files/ig… | |
[4] https://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/194/1919427.pdf | |
[5] https://www.bund-brandenburg.de/service/presse/pressemitteilungen/news/flus… | |
[6] https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?start=%2F%2F*%5B@attr_id%3D%27bgbl… | |
## AUTOREN | |
Andrew Müller | |
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