# taz.de -- Haribo-Werk im Osten vor Aus: Goldbär in der Krise | |
> Der Weltmarktführer für Fruchtgummi hat sich verzettelt. Das Werk in | |
> Wilkau-Haßlau muss dran glauben. Eine bekannte West-Ost-Geschichte. | |
Bild: Als es noch Hoffnung gab: Proteste gegen die Schließung des Haribowerks … | |
ZWICKAU taz | Es gibt sie immer noch, diese Geschichten, die mit der | |
Verschleuderung der DDR-Wirtschaft nach der Wende ihren Anfang genommen | |
haben: Fest in der Region verankerte Unternehmen gingen an die westdeutsche | |
Konkurrenz, investiert wurde nur das Nötigste, und irgendwann ist es ganz | |
vorbei. Auch die WeSa hat es nun wohl endgültig getroffen. Die bereits im | |
vergangenen November angekündigte Schließung des Süßigkeiten-Werks in | |
Wilkau-Haßlau wird trotz aller Proteste der Belegschaft und aus der Politik | |
wohl vollzogen. Man habe keinen Käufer gefunden, hieß es Anfang der Woche. | |
„Wir haben die Entscheidung aus der Presse erfahren“, sagt Betriebsratschef | |
Maik Pörschmann. Es geht um 119 Beschäftigte, von denen nach | |
Unternehmensangaben 80 eine neue Arbeit gefunden haben sollen oder in den | |
Ruhestand gegangen seien. | |
Wem WeSa nichts sagt – Haribo dürften die meisten kennen: Dem | |
Weltmarktführer für Fruchtgummi und Lakritz gehört das Werk in der | |
Zwickauer Region seit kurz nach der Wende. Die WeSa- abgeleitet von | |
Westsachsen – produzierte seit 1898, zu DDR-Zeiten als VEB, in | |
Wilkau-Haßlau zunächst Lebkuchen und Schokolade, später Lakritz. | |
Haribo steckt schon des längeren in der Krise. Der | |
[1][Goldbärchenhersteller], der gut 7.000 Menschen in 25 Ländern | |
beschäftigt und laut Handelsblatt einen Umsatz von rund 3 Milliarden Euro | |
machen soll, hat sich verzettelt. Für Trends wie zuckerreduzierte, | |
vegetarische oder vegane Süßigkeiten hatte die Firmenleitung kein gutes | |
Händchen. | |
Der Weltmarktanteil schrumpfte von 2015 bis 2020 nach Branchenschätzungen | |
von 65 auf 58 Prozent. Genaue Zahlen hält Haribo wie viele | |
Familienunternehmen zurück. Nach unglücklichen Preisverhandlungen haben | |
Lidl und zeitweise auch Edeka die Haribo-Produkte 2020 ausgelistet. Dem | |
Krisenmanagement fiel nun auch das Werk in Wilkau-Haßlau zum Opfer. Bei der | |
Ankündigung der geplanten Schließung Ende 2020 begründete die | |
Geschäftsleitung, es seien zu hohe Investitionen nötig, um den Standort | |
zukunftsfähig zu machen. | |
## „Teil der Identität“ | |
Dass Haribo nun tatsächlich ernst macht, hat nach Ansicht von Bürgermeister | |
Stefan Feustel weitreichende Folgen. Es gibt wenig größere Betriebe in der | |
Gegend. „Das Haribo-Werk ist aus verschiedenen Gründen für Wilkau-Haßlau | |
bedeutsam“, so der CDU-Politiker. Immerhin brächen mit der Schließung 25 | |
Prozent der Gewerbesteuereinnahmen weg, das Werk sei der größte Arbeitgeber | |
der Gemeinde gewesen. „Außerdem gehört die WeSa einfach zu Wilkau-Haßlau�… | |
so Feustel. Sie sei damit auch Teil der Identität der Menschen. Er selbst | |
habe versucht Unternehmen zu finden, die das Werk weiter betreiben. | |
Die verbliebenen Mitarbeiter hatten große Hoffnung in die Übernahme durch | |
Katjes gesetzt. Das Interesse des Emmericher Unternehmens, das wie Haribo | |
in Familienhand ist, war offenbar dem sächsischen Wirtschaftsminister | |
Martin Dulig und dessen sozialdemokratischen Parteikollegen Norbert Walther | |
Borjans und Barbara Hendriks zu verdanken gewesen. Überhaupt hatte es | |
parteiübergreifendes Engagement gegeben, den Standort Wilkau-Haßlau zu | |
erhalten. Katjes bestätigte, das Werk besichtigt zu haben. Allerdings sei | |
dabei klar geworden, dass die bauliche Substanz nicht ausreiche, um die | |
Produktion dort mit Fruchtgummis fortzuführen. | |
„Es zeigt sich leider erneut, dass der Osten offenbar jahrelang nur die | |
verlängerte und preiswerte Werkbank von Westunternehmen war und beim | |
kleinsten wirtschaftlichen Gegenwind hier die Segel gestrichen werden, ohne | |
Rücksicht auf Verluste“, so Wirtschaftsminister Dulig. „Das ist | |
verantwortungslos.“ Ähnlich äußerte sich die Gewerkschaft | |
Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Der Chef der Linken-Fraktion im | |
Sächsischen Landtag, Rico Gebhardt, bezeichnete es als „eine Schande“, wie | |
Haribo mit seinen ostdeutschen Beschäftigten umgehe. | |
## Stelleninserate in der Kantine | |
Ein Haribo-Sprecher sagte der taz, es gebe bereits seit dem vergangenen | |
Jahr einen Interessenausgleich und einen Sozialplan. Damit seien die | |
Mitarbeitenden zunächst abgesichert. „Wie in diesen Verhandlungen zusammen | |
mit dem Betriebsrat vereinbart, wurden im Laufe des Januars die Kündigungen | |
ausgesprochen. Erste Fristen greifen damit frühestens zum 31. März 2021, so | |
dass Löhne bis zur Beendigung der Arbeitsverhältnisse weiter bezahlt | |
werden“, so der Sprecher. Weitere Arbeitsverhältnisse endeten erst im | |
Sommer. Außerdem würde Haribo aktuell „die Kolleginnen und Kollegen vor | |
Ort“ bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz unterstützen. Dazu sei man | |
in Gesprächen mit der zuständigen Agentur für Arbeit und Unternehmen der | |
Region. Gut ein Drittel der Belegschaft habe so bereits einen neuen | |
Arbeitsplatz gefunden. | |
NGG-Sekretär Thomas Lißner sagt dagegen, der Sozialplan sei keineswegs auf | |
Initiative von Haribo entstanden. Das Verhalten der Geschäftsleitung habe | |
ihn im Gegenteil nachhaltig erschüttert. „Der anfangs vorgelegte Sozialplan | |
war derart grottig, sowas habe ich wirklich noch nicht gesehen“, sagte er | |
der taz. Auch die angeblichen Jobvermittlungsversuche des Unternehmens | |
sieht er anders: „Haribo hat lediglich Stelleninserate in der Kantine | |
aufgehängt.“ | |
Immerhin sei es der NGG gelungen, den Sozialplan nachzubessern. Der | |
jüngsten Erfolgsmeldung von Haribo, 35 seiner ehemaligen Beschäftigen | |
[2][im benachbarten VW Werk] unterzubekommen, steht Lißner mehr als | |
skeptisch gegenüber. Die Verträge dort seien auf ein Jahr befristet. Eine | |
Weiterbeschäftigung halte er für unwahrscheinlich. (mit dpa) | |
5 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Jessica Ramczik | |
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