# taz.de -- Diskussion über Ampelkoalition im Bund: Spiel mit Risiko | |
> Die Diskussion über mögliche Koalitionen ist eröffnet. Die SPD wittert | |
> Morgenluft, die FDP stellt klar, dass es mit ihr keinen Linksruck geben | |
> wird. | |
Bild: Es geht auch ohne schwarze Serviette | |
BERLIN/MAINZ taz | Strahlende Gesichter im Willy-Brandt-Haus nach einem | |
Wahltag, das gab es schon lange nicht mehr. Bester Laune präsentierten sich | |
die [1][SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans] gemeinsam | |
mit ihrem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz am Montagmittag in der Berliner | |
Parteizentrale. „Das ist wirklich ein ganz, ganz großer Tag für die | |
Sozialdemokratie“, schwärmte Esken. Der Wahlsonntag sei „für uns gemeinsam | |
ein richtig guter Tag“ gewesen, befand Walter-Borjans. Und Scholz | |
jubilierte, das Wahlergebnis verleihe der gesamten SPD Flügel. | |
Nach den beiden Landtagswahlen im Südwesten wittert die SPD auch auf | |
Bundesebene wieder Morgenluft. Olaf Scholz sieht bereits „die Möglichkeit, | |
eine sozialdemokratisch geführte Regierung zu bilden“. Sein demonstrativer | |
Optimismus verdankt sich vor allem dem [2][Wahlerfolg Malu Dreyers], die in | |
Rheinland-Pfalz trotz leichter Verluste für ihre Partei weiter gemeinsam | |
mit den Grünen und der FDP regieren kann. Doch selbst aus dem historisch | |
schlechten Abschneiden der SPD in Baden-Württemberg schöpft er noch | |
Hoffnung, schließlich sei auch im Ländle eine Ampelkoalition möglich. | |
„Sichtbar geworden ist, dass es Mehrheiten gibt ohne die Union“, sagte er. | |
Dafür gebe es mehrere Optionen. „Eine ist jetzt sehr stark geworden.“ | |
Auch Grünen-Chef Robert Habeck sieht die Ampel im Bund als eine „denkbare | |
Konstellation“ – neben anderen. „Alles ist möglich in diesem Jahr“, sa… | |
er am Montag in der Bundespressekonferenz. Trotz dieser vorsichtigen | |
Einschätzung kommt ihm die Debatte sehr gelegen. Denn damit bekommen die | |
Grünen die für sie unangenehme Schwarz-Grün-Diskussion vom Hals, ohne sich | |
zu einem rot-rot-grünen Bündnis als mögliche Alternative bekennen zu | |
müssen. Mit allen Mitteln wollen sie einen Lagerwahlkampf verhindern. | |
[3][Die Grünen] ziehen mit dem großmäuligen Versprechen in den Wahlkampf, | |
der Union das Kanzleramt streitig machen zu wollen. Dass sie trotz ihrer | |
starken Zugewinne sowohl in Baden-Württemberg als auch in Rheinland-Pfalz | |
aber tatsächlich CDU und CSU im Bund überholen, ist unwahrscheinlich. Die | |
Ampel bietet den Grünen nun die Chance, ihr Narrativ vom Kanzleramt | |
aufrechtzuerhalten. | |
Was passieren würde, wenn sowohl Schwarz-Grün als auch die Ampel im Bund | |
rechnerisch eine Mehrheit hätte? Dann, schwören gut vernetzte Grüne, würde | |
man sich selbstverständlich für die Ampel entscheiden. „Wir wären ja | |
verrückt, wenn wir uns nicht fürs Kanzleramt entscheiden würden.“ | |
## Unüberbrückbare Vorstellungen | |
Wobei die Euphorie über die Ampel verkennt, dass zwischen Grünen und FDP | |
Welten liegen, wenn man ihre Programme ernst nimmt – selbst in | |
Baden-Württemberg. Der dortige FDP-Spitzenkandidat [4][Hans-Ulrich Rülke | |
p]reist unablässig und ausgiebig den Verbrennungsmotor, während der Grüne | |
Winfried Kretschmann die Eindämmung der Klimakrise als zentrales Ziel | |
benennt. Im Bund wären die Unterschiede noch größer. | |
Nicht nur in ökologischen, sondern auch in sozialen, wirtschafts- und | |
steuerpolitischen Fragen sind Grüne und FDP Antipoden. Die einen wollen die | |
Vermögensteuer, den Abschied von Hartz IV oder härtere Auflagen für | |
Unternehmen, die anderen stemmen sich dagegen. Die Ampel ist in der Theorie | |
eine interessante Idee, in der Praxis krankt sie an vielen Widersprüchen. | |
Das ist auch das Problem für die SPD, die ohnehin mit dem einstigen | |
Agenda-2010-Propagandisten Scholz als Kanzlerkandidaten ein | |
sozialpolitisches Glaubwürdigkeitsproblem haben. | |
Aber auch für die FDP sind Spekulationen über eine Ampel nach der | |
Bundestagswahl nicht risikolos. Auf der einen Seite steigert es ihre | |
Relevanz, umworben zu werden. Auf der anderen Seite muss sie aufpassen, | |
dass sie bei ihrer Wähler:innenschaft nicht in Verdacht gerät, bloße | |
Mehrheitsbeschafferin für Rot-Grün zu sein – zumal die Grünen mit ihrem | |
Stigma als vermeintliche Verbotspartei eigentlich der Lieblingsgegner der | |
Liberalen sind. | |
Welche Gefahr der FDP droht, zeigen die bisherigen Ampelkoalitionen in den | |
1990er Jahren in Brandenburg und Bremen. FDP-Chef Christian Lindner | |
erinnerte am Wahlabend an diese Desaster: „Bei allen historischen | |
Ampelkonstellationen hat die FDP danach verloren und den Landtag | |
verlassen.“ Mit der Wahl in Rheinland-Pfalz sei nun zum ersten Mal in der | |
Geschichte der Liberalen eine Ampelkoalition bestätigt worden, betonte er. | |
Allerdings büßte die FDP auch hier Stimmen ein und schaffte mit 5,5 Prozent | |
nur knapp den Wiedereinzug in den Landtag. | |
So wollte Lindner in der Bundespressekonferenz am Montag auch keine allzu | |
großen Hoffnungen auf eine Ampel im Bund machen. „Der Kurs der | |
Eigenständigkeit der FDP hat sich bewährt“, sagte er da. Die Worte | |
„Eigenständigkeit“, „Unabhängigkeit“ und „auf Inhalte setzen“ nah… | |
in den Mund. Die FDP will keine zu frühen Farbenspiele – das ist seine | |
Message. | |
Lindner weiß genau: Die Diskussion um die Ampel nutzt der FDP, aber kann | |
ihr eben auch schaden. Also sendet er ambivalente Botschaften: Einerseits | |
lässt er ein Hintertürchen offen für Gespräche und Inhalte. Anderseits | |
verkündet er, SPD und Grüne hätten „eine Nähe zur Linken“ und fänden �… | |
Spurenelemente der FDP-Politik gut“. Lindner will keinen Zweifel daran | |
lassen, dass seine Präferenz weiter klar bei der Union liegt – trotz deren | |
„Ambitionslosigkeit“. | |
Doch in der FDP gibt es eine Rollenverteilung. Für das Blinzeln in Richtung | |
Ampel ist bei ihr Generalsekretär Volker Wissing zuständig, derzeit noch | |
stellvertretender Ministerpräsident und Wirtschaftsminister im Ampelland | |
Rheinland-Pfalz. „Wir sehen unseren eigenständigen Kurs bestätigt, haben | |
eines der besten Ergebnisse der letzten Jahrzehnte in Baden-Württemberg | |
erreicht und zum ersten Mal eine Ampelkoalition erfolgreich verteidigt“, | |
sagte Wissing der taz. „Die Ampel haben wir uns in Rheinland-Pfalz | |
erarbeitet durch diszipliniertes und konstruktives Regieren.“ | |
Tatsächlich hat die ungewohnte Koalition nach einigen Anlaufschwierigkeiten | |
ganz ordentlich geklappt. Wie diese Ampel blinkt, war bei der großen | |
TV-Debatte zwei Tage vor der Wahl zu sehen. Die SPDlerin Dreyer, die Grüne | |
Anne Spiegel und [5][FDP-Frontfrau Daniela Schmitt] wirkten wie eine | |
Einheit. Sie spielten sich die Bälle zu. | |
„Malu“ hatte ihr Markenzeichen, den knallroten Hosenanzug, gegen einen | |
blauen Zweiteiler getauscht. Auch ihre Regierungskolleginnen traten blau in | |
blau auf. Auch sonst demonstrierten sie Geschlossenheit: Die geplante | |
Rheinbrücke im Mittelrheintal, lange von den Grünen bekämpft? „Die Brücke | |
wird gebaut“, versicherten unisono Dreyer und Schmitt, ohne dass Spiegel | |
widersprach. | |
Dafür vermied Schmitt jede Festlegung gegen das Versprechen von Grünen und | |
SPD, in der nächsten Legislatur in Sachen Klimaschutz einen Zahn zuzulegen. | |
Schmitt wird wohl als Nachfolgerin Wissings neue Wirtschaftsministerin. In | |
fünf Jahren habe die Koalition bewiesen, „ökologische und ökonomische Ziele | |
müssen kein Gegensatz sein“, sagte sie und nannte als Beispiel, dass sowohl | |
neue Radwege als auch neue Straßen gebaut worden seien. | |
Auch im Bund hält Volker Wissing eine Zusammenarbeit mit SPD und Grünen | |
grundsätzlich für denkbar – wenn auch nur unter klaren Bedingungen: „Aber | |
wenn sie eine Vermögensteuer einführen möchten und eine Bürgerversicherung | |
– das wird mit der FDP nicht gehen.“ Für seine Partei seien „Inhalte | |
entscheidend, keine Farbenspiele“. | |
Wissing versucht, die FDP als ausgleichenden Pol zwischen Union und | |
Rot-Grün zu positionieren: „Es gibt in der Wählerschaft eine Skepsis | |
gegenüber linken Parteien, weil sie zu Kollektivierung neigen, aber der | |
Konservatismus der CDU ist unsere Sache auch nicht“, erklärt er. | |
Die Christdemokrat:innen seien immer ein „Schutzwall gegen einen zu | |
starken Linksruck“ und eine „Überlast der Kollektivierungssehnsüchte link… | |
Parteien“ – das sei den Liberalen sympathisch. „Aber gleichzeitig ist | |
dieser Tanker CDU für Liberale auch anstrengend.“ Die Union sei „sehr | |
behäbig und hat das Land in eine gewisse Rückständigkeit geführt“. Es | |
fehlten Wandel, Reformen und Modernisierung, „weil wir seit 16 Jahren eine | |
konservative Regierungschefin haben“, so Wissing. Gleichzeitig warnt | |
Wissing aber vor falschen Erwartungen: „Wer allerdings glaubt, die Ampel | |
sei nun automatisch auch im Bund möglich, dem sagen wir ganz deutlich: Mit | |
der FDP wird es keinen Linksruck geben.“ | |
15 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
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