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# taz.de -- Staatsverbrechen in Gambia: „Das war mein Job“
> Unter der Militärdiktatur in Gambia beging eine Todesschwadron Morde.
> Jetzt wurde ein ehemaliges Mitglied in Deutschland verhaftet.
Bild: 21. Januar 2017: Nach fast 23 Jahren an der Macht flieht Diktator Jammeh …
Berlin taz | Deyda Hydara war 58 Jahre alt, als er mit drei Kopfschüssen
getötet wurde. Der berühmteste unabhängige Journalist in Gambia fuhr abends
am 16. Dezember 2004 in der Hauptstadt Banjul zwei Kolleginnen seiner
Zeitung The Point nach Hause, als Bewaffnete aus einem Taxi ohne
Nummernschild heraus auf ihn schossen. Hydara war sofort tot.
Der Mord an Hydara sorgte im Land und weltweit für Empörung. Offiziell
aufgeklärt wurde er nie. Jetzt sitzt in Deutschland ein Gambier als
mutmaßlicher Mittäter dieses und anderer Morde in Haft. Wie die
Bundesanwaltschaft in Karlsruhe [1][mitteilt], wurde Bai Lowe „in den
frühen Morgenstunden“ des 16. März mit Haftbefehl in Hannover festgenommen
und sollte noch am gleichen Tag dem Haftrichter vorgeführt werden.
Bai Lowe „gehörte zwischen Dezember 2003 und Dezember 2006 als Fahrer einem
sogenannten Patrol Team der gambischen Streitkräfte, auch bekannt als
‚Junglers‘, an“, erklärt der Generalbundesanwalt. „Diese Einheit wurde…
dem damaligen gambischen Staatspräsidenten unter anderem für die Ausführung
illegaler Tötungsbefehle eingesetzt.“
Hydara wird in der Mitteilung nicht namentlich genannt, aber sein Mord wird
eindeutig geschildert. Darüberhinaus legen die deutschen Ermittler Lowes
Todesschwadron die Tötung eines Rechtsanwalts im Jahr 2003 und die
Erschießung eines mutmaßlichen Oppositionellen 2006 zur Last. In allen drei
Fällen habe der Beschuldigte die übrigen Mittäter zum Tatort gefahren,
heißt es.
## Ein staatlicher Auftragsmord, sagen Gambias Journalisten
Gambias Journalisten waren sich von Anfang an sicher, dass der Mord an
Hydara ein staatlicher Auftragsmord war. „Er wurde wenige Meter von einer
Polizeikaserne entfernt getötet, aber die Polizei brauchte mehrere Stunden,
um zum Tatort zu kommen“, berichtete der ehemalige Vizechef der gambischen
Pressegewerkschaft, Alieu Badara Sowe, 2007 in einem Interview.
In Gambia gab es keine unabhängigen Ermittlungen. Am 10. Juni 2014 gab der
Gerichtshof der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas), das
höchste Gericht der westafrikanischen Region, wegen „Fehlens effektiver
Ermittlungen“ und „Tolerierung eines Klimas von Straflosigkeit“ [2][einer
Klage von Hydaras Familie gegen Gambias Staat statt] und gewährte den
Hinterbliebenen Entschädigung – folgenlos.
Der Fahrer Bai Lowe selbst hatte da bereits ausgepackt. Der gambische
Offizier war nach Deutschland geflohen und hatte 2013 dem Exilsender
„Freedom Radio“ in einem Interview alles erzählt: Wie seine Einheit auf
Befehl losgezogen war, um „Tötungsmissionen, Folter an politischen Gegnern,
Brandbomben auf Medienhäuser“ auszuführen.
Wie man Oppositionelle tötete und die Leichen verschwinden ließ, und wie 40
Migranten aus Ghana, die für Rebellen gehalten wurden, erschossen und
vergraben wurden. Wie Jammeh seine eigenen Geschwister von der
Sondereinheit töten ließ und im Jahr 2004 eine Todesliste mit zwanzig Namen
erstellte. Wie Kapitän Tumbul Tamba seinem Team am 16. Dezember 2004
mitteilte, jetzt sei Hydara dran.
## Anhörungen durch Wahrheitskommission
„Mein Job war, die Mitglieder des Mordteams zu fahren, um den Mord an
Hydara auszuführen,“ erzählte Lowe in dem Interview. Man sei in zwei Taxis
gefahren, die dem Präsidenten gehörten. „Mein Kollege Sanna Manjag
eröffnete das Feuer auf Hydara aus nächster Nähe. Die Kugel des anderen
Soldaten, Malick Jatta, der mit mir im Auto saß, töteten Hydara. Zwei
Ladies waren in Hydaras Auto. Wir gaben Gas und fuhren weg.“
Yahya Jammeh regiert Gambia nicht mehr. Eine westafrikanische
Militärintervention unter Führung Senegals stürzte den Diktator Anfang
2017, nachdem er 2016 eine Wahlniederlage nicht anerkannt hatte. Er lebt
heute unbehelligt in Äquatorialguinea, eine noch intakte finstere Diktatur
mehrere tausend Kilometer entfernt. Und unter Gambias neuem Präsidenten
[3][Adama Barrow] hat die Aufarbeitung der Verbrechen der Jammeh-Ära
eingesetzt. Eine [4][Wahrheitskommission] führt seit Anfang 2019
umfangreiche öffentliche Anhörungen durch und soll im Juli ihren
Abschlussbericht vorlegen.
[5][Am 22. Juli 2019 war der Mord an Hydara Thema bei der Kommission].
Malick Jatta, von Bai Lowe als Mörder des Journalisten benannt, packte aus
über Struktur und Arbeitsweise der „Junglers“, die zunächst als
Grenzschützer gebildet worden waren, aber dann den Staat nach innen
verteidigen sollten. Jatta wurde 1996 Soldat, erhielt eine
Kommandoausbildung von libyschen Trainern und wurde 2001 ans „State House“
abkommandiert, von wo aus das „Patrol Team“ für Sondereinsätze abgestellt
wurde – darunter den gegen Hydara.
Wie immer sei man am 16. Dezember 2004 für eine Routinepatrouille
einberufen worden und dann habe Kommandant Tumbul Tamba gesagt: „Heute
holen wir uns Magic Pen“. Man sei nach Banjul gefahren, dort habe man sich
auf mehrere Taxis verteilt, eines von Bai Lowe gefahren. Vor der
Polizeigarage habe man ein kleines Auto gesehen. Tamba habe gebrüllt:
„Leute, der Fahrer ist der Idiot“ – und, als niemand reagierte: „Schie�…
ihr sollt schießen!“
Also habe er geschossen, zwei andere auch. Auf wen, habe er nicht gewusst.
Am nächsten Tag habe Tamba Briefumschläge voller Geldscheine verteilt mit
den Worten „Eine Anerkennung vom Big Man“, also vom Präsidenten. Erst in
seiner Freizeit habe Jatta erfahren, wen er umgebracht hatte.
Gambias Wahrheitskommission soll zum Ende ihres Mandats empfehlen, ob es
Strafverfahren geben soll – oder ob der Staat einfach die Opfer der
Diktatur entschädigt. In Deutschland dürfte es auf jeden Fall einen Prozess
geben. Bai Lowe wäre wohl Angeklagter und Kronzeuge zugleich.
16 Mar 2021
## LINKS
[1] https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/14981/4864873
[2] https://www.justiceinitiative.org/uploads/3d0cc704-e081-464c-906a-91302865b…
[3] /Gambias-neuer-Praesident/!5373176
[4] http://www.trrc.gm/
[5] https://docs.wixstatic.com/ugd/54059b_86483a0abe1a4849bc5926be1e9cb29e.pdf
## AUTOREN
Dominic Johnson
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