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# taz.de -- Protestbewegung in Algerien: Der „Hirak“ formiert sich neu
> Nach einem Jahr Zwangspause meldet sich Algeriens Protestbewegung zurück.
> Tausende gingen am Montag gegen das Militär auf die Straße.
Bild: Zum zweiten Jahrestag wieder auf der Straße: Protestierende am Montag in…
Tunis taz | Algeriens Protestbewegung ist wieder da. Nach mehr als elf
Monaten pandemiebedingter Zwangspause hat sich die algerische
Demokratiebewegung am Montag mit eindrucksvollen und wie gewohnt
friedlichen Massendemonstrationen gegen das Regime zurückgemeldet.
Allen voran in Tizi Ouzou, Béjaia und Bouira sowie in Bordj Bou Arreridj in
der Region Kabylei, einer Hochburg der Opposition, zogen zehntausende
Regierungsgegner:innen durch die Straßen und forderten lautstark
einen „zivilen Staat, keinen militärischen“.
Auch in der Hauptstadt Algier und mehreren Städten in West- und Ostalgerien
versammelten sich erstmals seit März 2020 jeweils mehrere Tausend Menschen.
Trotz Demonstrationsverboten und eines Großaufgebots der Polizei machten
sie ihrer Wut über das autoritäre Regime Luft.
Damit hat die im Land meist „Hirak“ (Arabisch für „Bewegung“) genannte
Protestbewegung Antworten auf viele offene Fragen geliefert. Seit Monaten
war unklar, ob sie in der Lage sein würde, erneut nennenswert auf Algeriens
Straßen zu mobilisieren. Seit Montag ist nun klar: Die Bewegung hat die
schmerzhafte Zwangspause überstanden und dürfte in den kommenden Tagen und
Wochen mit weiteren Massenprotesten für Schlagzeilen sorgen. Schon für
Dienstag wird mit neuen Protesten gerechnet.
## Neuer Impuls
Angefangen hatte der friedliche Volksaufstand vor genau zwei Jahren am 22.
Februar 2019. Die umstrittene Kandidatur des damals seit zwanzig Jahren
regierenden [1][greisen Ex-Staatschefs Abdelaziz Bouteflika] für die im
April 2019 geplante Präsidentschaftswahl hatte das Fass zum Überlaufen
gebracht und die Menschen auf die Straße getrieben.
Innerhalb weniger Tage mauserten sich die ersten Spontanproteste gegen
Bouteflika zu einer landesweiten Massenbewegung, die fortan mit fast
täglichen Demonstrationen das Regime unter Druck setzte. Sechs Wochen
später zog die Armee die Reißleine, [2][zwang Bouteflika zum Rücktritt] und
übernahm hinter den Kulissen die Macht.
Doch der Hirak gab sich mit den unter der Ägide des Militärs durchgesetzten
kosmetischen Personalwechseln an der Staatsspitze nicht zufrieden und
demonstrierte weiter – [3][bis zum Ausbruch der Covid-19-Krise]. Um der
Pandemie nicht zusätzlich Vorschub zu leisten, stellte der Hirak im März
2020 nach 13 Monaten ununterbrochener Massenmobilisierung seine
allwöchentlichen Proteste ein, eine Entscheidung, die das Regime
unmittelbar auszunutzen versuchte.
Seither hagelt es förmlich Repressalien. Hunderte Aktivist:innen,
Demonstrant:innen, Oppositionelle und Journalist:innen wurden
verhaftet, interniert, vor Gericht gezerrt und unter meist fadenscheinigen
Anschuldigungen zu teils hohen Haftstrafen verurteilt.
Dem Hirak waren seit Ausbruch der Pandemie die Hände gebunden, hatte die
Bewegung doch durch ihre selbst auferlegte Protestpause ihr
wirkungsvollstes Druckmittel auf Eis gelegt. Mehrere Versuche, die Bewegung
wiederzubeleben, waren in den letzten Monaten fehlgeschlagen. Der Hirak
brauchte einen neuen Impuls. Der zweite Jahrestag der ersten landesweiten
Massenproteste gegen Bouteflika am Montag war ein solcher Anstoß.
## Verschlechterte soziale Lage
Wie es nun weitergeht, ist unklar. Präsident Abdelmajid Tebboune hat
angesichts der erneuten Proteste am Sonntag die Nationalversammlung
aufgelöst und die Regierung umgebildet. Premierminister Abdelaziz Djerad
bleibt nach Angaben des Präsidialamtes jedoch im Amt. Zuvor hatte Tebboune
eine Neuwahl des Parlaments angekündigt. Gerechnet wird mit einem
Wahltermin im Juni.
Zudem hat die Regierung in den vergangenen Tagen Dutzende politische
Gefangene freigelassen, unter anderem den seit fast einem Jahr inhaftierten
prominenten [4][Journalisten Khaled Drareni]. Offenbar versucht die
Staatsführung damit, die Gemüter zu beruhigen.
Sollte der Hirak in den nächsten Wochen jedoch auch nur annähernd so stark
auftreten wie 2019, wird das Regime deutlich mehr anbieten müssen, um die
Büchse der Pandora im Land wieder zu schließen.
Der Hirak könne sogar noch stärker werden als zuvor, meint der
[5][Politikwissenschaftler Rachid Ouaissa] von der Universität Marburg.
„Die Proteste 2019 waren vor allem von der Mittelschicht getragen. Das
könnte sich nun ändern, denn seither hat sich die soziale Lage in Algerien
massiv verschlechtert und selbst Teile der Mittelschicht rutschen
angesichts der heftigen Preissteigerungen für Lebensmittel in die Armut
ab“, so Ouaissa in einer von algerischen Aktivisten in Berlin organisierten
Podiumsdiskussion am Sonntag. Ein Ende der Proteste dürfte damit in weiter
Ferne liegen.
23 Feb 2021
## LINKS
[1] /Proteste-im-Irak/!5632399
[2] /20-jaehrige-Amtszeit-in-Algerien-endet/!5585397
[3] /Arabische-Proteste-machen-Corona-Pause/!5674391
[4] /Pressefreiheit-in-Algerien/!5714476
[5] /Politologe-zu-Protesten-in-Algerien/!5576615
## AUTOREN
Sofian Philip Naceur
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