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# taz.de -- Algerien als Partner Deutschlands: Entwicklungshilfe gegen Migration
> Algerien gilt jetzt als privilegierter Partner Deutschlands – trotz der
> Menschenrechtslage. Ein „verheerendes Signal“, kritisiert die Opposition.
Bild: Soli-Protest in Algier für den Journalisten Khaled Drareni, September 20…
Tunis taz | Die Bundesregierung richtet ihre entwicklungspolitische
Kooperation im globalen Süden neu aus und betrachtet neuerdings auch
Algerien als privilegierten Empfänger deutscher Entwicklungshilfe. Die
Aufwertung des autoritär regierten Staates zum „bilateralen Partner“ durch
das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(BMZ) sorgt jedoch schon vor dem Anlaufen neuer Projekte für Kritik.
Das BMZ will Entwicklungshilfen künftig stärker als bislang von der
Einhaltung der Menschenrechte abhängig machen, doch die Menschenrechtslage
in Algerien hat sich zuletzt massiv verschlechtert. Nachdem das Land 2019
noch Schauplatz einer [1][Massenrevolte gegen das Bouteflika-Regime] war,
ist die Protestbewegung Hirak seit Beginn der Coronakrise einer
regelrechten Repressionswelle ausgesetzt.
Seit die Bewegung im März ihre [2][Proteste nach 13 Monaten
ununterbrochener Mobilisierung vorerst auf Eis legte], gehen die Behörden
gegen den Hirak vor. Hunderte Oppositionelle, Hirak-Aktivist*innen und
Journalist*innen sind aus politischen Gründen verhaftet, angeklagt und zu
teils hohen Haftstrafen verurteilt worden.
Erst vergangenen Donnerstag hatte das EU-Parlament mit einer erdrückenden
Mehrheit eine Resolution zur Menschenrechtslage in Algerien verabschiedet
und Algier aufgefordert, sein Vorgehen gegen den Hirak einzustellen und
inhaftierte Journalist*innen wie den [3][Reporter Khaled Drareni]
unverzüglich freizulassen.
## BMZ verfolgt Reformkonzept
„Algerien als bilateralen Partner der deutschen Entwicklungszusammenarbeit
aufzuwerten ist ein verheerendes Signal“, meint der
Grünen-Bundestagsabgeordnete und Fraktionssprecher für Entwicklungspolitik,
Uwe Kekeritz, der taz. „Ein Regime, das die Wünsche und Bedürfnisse der
eigenen Bevölkerung mit Füßen tritt, taugt nicht zur partnerschaftlichen
Zusammenarbeit.“
Hintergrund der Kritik ist die Neuausrichtung der deutschen
Entwicklungspolitik. Im Zuge des Reformkonzeptes BMZ 2030 will Berlin
künftig von Partnerländern „noch stärker als bisher messbare Fortschritte
bei guter Regierungsführung, der Einhaltung der Menschenrechte und im Kampf
gegen Korruption“ einfordern. Die Bundesregierung fordere von Algerien die
Einhaltung der Menschenrechte „auch im Rahmen des Dialogs zur
entwicklungspolitischen Zusammenarbeit“, erklärt eine BMZ-Sprecherin.
Statt die Kooperation an solche Kriterien zu koppeln, verfolge Deutschland
aber vielmehr geopolitische Interessen, sagt Kekeritz. „Eine Vertreterin
der Bundesregierung räumte auf Nachfrage freimütig ein, dass es bei der
Partnerschaft mit Algerien auch um die Wahrung deutscher Interessen geht“,
so der Grünen-Politiker.
Vor allem gehe es dabei offenbar darum, Migration zu verhindern. „Die neue
Länderliste der deutschen Entwicklungszusammenarbeit umfasst nahezu alle
wichtigen Transitstaaten des afrikanischen Kontinents“, sagt Kekeritz.
Statt der Bekämpfung von Armut und Ungleichheit rückt so die Verteidigung
der Festung Europa in den Fokus.“
## Abschiebungen nach Niger
Algerien ist in der Tat ein wichtiges Transit- und Herkunftsland für
Geflüchtete. Dabei sind Einwanderer*innen in Algerien systematischen
Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Fast wöchentlich führt Algier
[4][völkerrechtswidrige Massenabschiebungen nach Niger] durch. Allein seit
Ende September wurden mehr als 8.000 Menschen ausgewiesen.
Für die Bundesregierung und andere EU-Staaten ist Entwicklungspolitik heute
zu einem elementaren Baustein ihrer Grenzkontrollpolitik in Afrika
geworden. Offiziell wollen sie damit in Transit- und Herkunftsländern
sogenannte „Migrationsursachen“ bekämpfen, tatsächlich geht es aber darum,
den Einfluss auf die algerische Führung in Migrationsfragen auszubauen.
Denn dass durch als Entwicklungshilfe getarnte Almosen für arme Länder der
Migrationsdruck reduziert wird, gilt schon seit Jahren als Mythos, da auf
diese Weise kaum strukturelle wirtschaftliche Reformen angestoßen oder
handelspolitische Ungleichheiten ausgeglichen werden.
Das BMZ fördere derweil keine migrationspolitischen Projekte in Algerien,
sondern konzentriere sich im Land auf Umweltprojekte, so die
BMZ-Sprecherin gegenüber der taz. Durch Projekte in der Abfallwirtschaft
und die Förderung grüner Start-ups solle die Umweltverschmutzung reduziert
und sollten Ressourcen geschont werden.
Das klingt zwar gut, steht aber im Widerspruch zu Algeriens
Wirtschaftspolitik: Die Regierung in Algier will durch den Aufbau einer
Frackingindustrie ihre Erdgasförderung ausweiten. In der Region In Salah in
Südalgerien formierte sich schon 2015 eine Protestbewegung gegen das
Fracking. Die Behörden reagierten mit Gewalt auf die Proteste.
3 Dec 2020
## LINKS
[1] /Proteste-im-Irak/!5632399
[2] /Arabische-Proteste-machen-Corona-Pause/!5674391
[3] /Pressefreiheit-in-Algerien/!5714476
[4] /Massenabschiebungen-aus-Algerien/!5723213
## AUTOREN
Sofian Philip Naceur
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Algerien
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Abdelaziz Bouteflika
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Protest
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