| # taz.de -- Ärztemangel in Bremerhaven: Keine Abtreibungen mehr möglich | |
| > In Bremerhaven ging der letzte Arzt in Rente, der ungewollt Schwangeren | |
| > geholfen hat. Die Politik hat keine Möglichkeit das Angebot zu steuern. | |
| Bild: Der §218 im Strafgesetzbuch verhindert staatliche Steuerung des Angebots… | |
| BREMEN taz | Am Donnerstag ist es wieder so weit. Dann beklagen die | |
| Abgeordneten der Bremischen Bürgerschaft, dass es [1][in Bremerhaven nicht | |
| möglich ist, eine Schwangerschaft] bei einem Arzt oder einer Ärztin | |
| abzubrechen. Das machen sie nicht zum ersten Mal: Das Thema kommt seit | |
| letztem Sommer regelmäßig in den Plenarsitzungen zur Sprache. Der Grund | |
| ist, dass im Dezember der letzte niedergelassene Arzt, der noch | |
| Abtreibungen durchgeführt hat, in den Ruhestand gegangen ist. | |
| Im Durchschnitt zehn Frauen pro Woche müssen Mareile Broers, Leiterin der | |
| Pro Familia Beratungsstelle in Bremerhaven, und ihre Mitarbeiterinnen | |
| seitdem sagen, dass sie für einen Schwangerschaftsabbruch 70 Kilometer nach | |
| Bremen oder noch weiter nach Hamburg fahren müssen. Es sei denn, sie haben | |
| unverschämtes Glück und bekommen einen Termin im Klinikum Reinkenheide. Das | |
| kommunale Krankenhaus macht nach Angaben eines Sprechers nur rund 20 | |
| Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungsregelung im Jahr. Für mehr | |
| würden die Kapazitäten nicht reichen. | |
| Für viele Frauen, die zu Pro Familia zur gesetzlich vorgeschriebenen | |
| Beratung vor einem Schwangerschaftsabbruch kommen, sei das ein großes | |
| Problem, sagt Broers. Entweder, weil sie sich die Fahrt mit dem Zug nicht | |
| leisten können oder kleine Kinder haben, die betreut werden müssen. Oder | |
| weil niemand davon wissen darf – wer aber den Abbruch in Vollnarkose | |
| vornehmen lässt, braucht eine Begleitung. Und manche, sagt Broers, haben | |
| einfach Angst vor der Fahrt in die Großstadt. „Die schlucken, wenn ich | |
| sage, dass das in Bremerhaven nicht geht.“ | |
| Es ist nicht so, dass die Abgeordneten der Bürgerschaft kein Mitleid mit | |
| diesen Frauen hätten. Selbst die CDU nannte in der | |
| September-Landtagssitzung die Situation in Bremerhaven „besorgniserregend“. | |
| Allein, die Politiker*innen wissen nicht, wie sie das Problem lösen | |
| sollen. [2][Denn die deutschen Abtreibungsgesetze erlauben keine | |
| öffentliche Steuerung]. Weder Ärzt*innen noch Kliniken können zum | |
| Schwangerschaftsabbruch verpflichtet werden. | |
| Die Koalition aus Grünen, Linke und SPD hatte den Senat deshalb im Juli | |
| aufgefordert, [3][„ein eigenes Fortbildungsprogramm zu | |
| Schwangerschaftsabbruchmethoden] für Ärzt*innen“ anzubieten. So sollten | |
| Ärzt*innen motiviert werden, die Behandlung in ihr Leistungsspektrum | |
| aufzunehmen. Nur musste Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard vor zwei | |
| Wochen mitteilen, dass auch das nicht geht. Daher gibt es jetzt keine | |
| finanzielle, sondern nur eine ideelle und organisatorische Unterstützung | |
| etwa der Fortbildung für den medikamentösen Abbruch. | |
| Bei der SPD-Fraktion ist die Misere noch nicht ganz angekommen. Denn sie | |
| fordert in ihrer Frage für die Sitzung am Donnerstag den Senat dazu auf, | |
| seinen „Sicherstellungsauftrag“ zu erfüllen. Nur: Das tut er bereits. Denn | |
| laut Schwangerschaftskonfliktgesetz sollen die Länder ein „ausreichendes | |
| Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von | |
| Schwangerschaftsabbrüchen sicher stellen“. | |
| Was aber „ausreichend“ ist, ist nirgends definiert. Die einzige Stütze ist | |
| ein Satz aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das 1993 die | |
| Weichen für die gültige Rechtsordnung stellte. Dort heißt es: Es könne | |
| „eine Hilfe in der Not sein, wenn die Schwangere die An- und Rückreise – | |
| auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln – an einem Tag bewältigen kann“. | |
| Danach ist das Angebot im Land Bremen mehr als ausreichend. In der Stadt | |
| Bremen gibt es genügend Möglichkeiten, zeitnah einen Termin für einen | |
| Schwangerschaftsabbruch zu bekommen. Jedenfalls noch. | |
| Das liegt vor allem daran, dass Pro Familia in der Stadt Bremen eine | |
| ambulante OP-Praxis betreibt. 85 Prozent aller Schwangerschaftsabbrüche im | |
| Land Bremen werden dort durchgeführt, medikamentöse und chirurgische, in | |
| Vollnarkose und örtlicher Betäubung. | |
| Pro Familia könnte, sagt die Landesgeschäftsführerin des Verbands, Monika | |
| Börding, eine Außenstelle in Bremerhaven betreiben. An einem Nachmittag in | |
| der Woche in den Räumen, die der letzte Abtreibungsarzt der Stadt genutzt | |
| hatte. Allerdings, sagt Börding, ginge das nur mit einem öffentlichen | |
| Zuschuss, weil die Ausgaben die Einnahmen übersteigen würden. | |
| Die SPD fragt jetzt am Donnerstag, ob der Senat eine Möglichkeit sieht, | |
| dies „finanziell, zum Beispiel durch Übernahme der Kosten für die | |
| Räumlichkeiten, zu unterstützen“. | |
| ## Bremerhavens Bürgermeister reagierte nicht | |
| Womöglich hätte es der Senat auch günstiger bekommen können und die Lücke | |
| hätte nie entstehen müssen. Denn schon vor zweieinhalb Jahren, so erzählt | |
| es der Bremer Gynäkologe Andreas Umlandt der taz, habe er dem Bremerhavener | |
| Bürgermeister Melf Grantz (SPD) persönlich angeboten, als externer Arzt | |
| Schwangerschaftsabbrüche im ambulanten OP-Zentrum am Klinikum Reinkenheide | |
| durchzuführen. | |
| Seit zwölf Jahren macht er dort ohnehin einmal pro Woche ambulante | |
| gynäkologische Operationen, hin und wieder auch Schwangerschaftsabbrüche. | |
| Er wäre dann für einen zusätzlichen Tag in der Woche nach Bremerhaven | |
| gefahren. „Aber ich wollte das nicht umsonst machen“, sagt Umlandt, deshalb | |
| habe er von der Stadt eine Pauschale verlangt. | |
| Die Stadt reagierte nicht auf sein Angebot, das zeigt ein E-Mail-Wechsel, | |
| Umlandt zog es zurück. Dennoch steht sein Name für Bremerhaven auf der | |
| Liste der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Auf der können | |
| sich Ärzt*innen eintragen lassen, wenn sie Schwangerschaftsabbrüche | |
| durchführen. Doch wenn man die Callcenter-Nummer anruft, die dort für ihn | |
| angegeben ist, geht entweder niemand ran oder man hört, dass die Nummer | |
| nicht vergeben ist. Umlandt selbst sagt, es hätten sich kaum Frauen wegen | |
| eines Termins für einen Schwangerschaftsabbruch gemeldet. | |
| Eine Lösung zeichnet sich jetzt trotzdem ab, ganz ohne Einfluss der | |
| Politik. So bereitet sich eine Bremerhavener Praxis darauf vor, den | |
| medikamentösen Schwangerschaftsabbruch anzubieten. | |
| Und dann gibt es noch ein Bremerhavener Ehepaar, das sich bei Pro Familia | |
| gemeldet hat, mit einem Hilfsangebot. „Sie wollen das Geld für Zugtickets | |
| spenden und im Notfall Frauen nach Bremen oder Hamburg fahren“, erzählt die | |
| Leiterin der Beratungsstelle, Mareile Broers. Auch sie findet es absurd, | |
| dass es einer solchen privaten Notlösung bedarf. „Aber ich bin dankbar für | |
| die Initiative, den Frauen nutzt es ja.“ | |
| 25 Feb 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Eiken Bruhn | |
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