Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Album „A Common Turn“: Singt mehr über Cunnilingus!
> Die junge Londoner Künstlerin Anna B Savage singt über weibliche Lust.
> Das klingt schon mal hoch theatralisch, überzeugen kann sie mit ihrem
> Humor.
Bild: Singt über Sexualität: Die Londoner Singer-Songwriterin Anna B Savage
Der Cunnilingus; für so manche*n soll schon das Wort selbst ein
Zungenbrecher sein. Sein Pendant, die Fellatio, hat durchaus einen Platz in
der Kulturgeschichte – denken wir nur an die Legionen von Rappern, die
diese Technik immer wieder lauthals thematisieren. Indes wird die orale
Befriedigung von Frauen nach wie vor stiefmütterlich behandelt. Während es
im HipHop längst zum guten Ton gehört von „sucking“, vom „Blowjob“ zu
erzählen, wird der Spieß vergleichsweise selten umgedreht.
Die Spotify-Playlist „hiphop songs with lyrics about cunnilingus“ enthält
gerade einmal 46 Tracks. In anderen Genres sieht es auch nicht besser aus,
selbst im peacigen Folkpop. Der kanadische Star [1][Leonard Cohen]
plauderte in seinem Lied „Chelsea Hotel No. 2“ aus dem Nähkästchen und
erzählte darin von seiner Affäre mit der Kollegin Janis Joplin. Auf dem
ungemachten Bett hat sie ihm dem Songtext gemäß „head“ gegeben.
Die junge Londoner Künstlerin Anna B Savage dreht Cohens männliche
Perspektive um. Ihre Version der Geschichte heißt [2][„Chelsea Hotel #3“],
hier spielt ebenso ein ungemachtes Bett eine Rolle. Der Cohen-Song selbst
wird zum Utensil: Er läuft im Nebenzimmer während des Oralsex.
Eine platte Referenz? Durch den Rollentausch allein möchte sich Savage
nicht profilieren, auch wenn sie Cohen damit eine ironische Referenz
erweist. Sie schiebt geschickt eine eigene und eigenständige Geschichte an:
Ein Songtext über verkümmerte und unterdrückte Sexualität,
Phallogozentrismus und der späten Einsicht, [3][wie gut Orgasmen sein
können]. „A Common Turn“, ihr Debüt, ist ein Popalbum, das immer wieder in
die Gefilde von Angst und Scham, von Selbstentwertung und freudianischer
Libido-Destrudo-Verschränkung abtaucht.
## Das Album ist selten peinlich
Das sind wahrlich die ganz großen Geschütze, die für einen Songtext
aufgefahren werden. Nicht nur einmal haben sich Songwriter:innen daran
verhoben – gerade auch im jungen Alter. Seelenstriptease und
internalisierter Mist: Die Stärke von Pop liegt eigentlich darin, solche
Affekte wohldosiert und gesteuert zu simulieren. Wo das Authentizitätsgebot
der Gesellschaft allzu deutlich durchscheint, lauern Peinlichkeiten.
Anna B Savages Album „A Common Turn“ ist gleichwohl selten peinlich. Denn
die britische Künstlerin bedient sich einiger Verfremdungstricks: Humor und
Künstlichkeit. Hoch theatralisch, gar nicht so weit weg etwa von den
semibarocken Werken einer Anohni, die in den Anfangsjahren noch unter dem
Namen Anthony and The Johnsons veröffentlicht wurden, oder auch von der
US-amerikanischen Songwriterin Haley Fohr, überzeugt die Londonerin mit
ihrer Stimme jenseits des Alt-Spektrums.
Ungestellt verschränkt Savage dies mit den Kieferschmerzen ihres Partners
oder dem Bild des US-Schauspielers Tim Curry in Reizwäsche (berühmt
geworden in dem Kultfilm „The Rocky Horror Picture Show“). Zärtlich und
sinnlich wendet sich Savage ihren Ängsten und affektiven Störungen zu: In
„Corncracks“ heißt es etwa „I don’t know if this is even real / I don�…
feel things as keenly as I used to.“ Da fühlt jemand nicht mehr aus
tiefstem Herzen.
Überraschen sollte das die Insider*innen nicht mehr. Schon mit ihrer
kurzformatigen „EP“ (2015) konnte Savage begeistern. Ihr gehypter
US-Kollege Father John Misty fragte danach an, ob Savage ihn nicht auf Tour
begleiten wolle. Sie selbst gibt an, dass dieser Erfolg dennoch nichts
besser, sondern alles schlimmer gemacht habe: Savage entwickelte ein
Impostor-Syndrom, die Angst, als Schwindlerin, die unberechtigt Lob
einfahre, aufzufliegen.
Sechs Jahre dauerte es, bis sie sich durchringen konnte, etwas zu
veröffentlichen. Dies thematisiert sie stilgerecht auf [4][dem Album im
Stück] „Dead Pursuits“: „Will I ever record this? / Is anyone listening?…
I can’t do it.“ Man möchte ihr zurufen: Doch, mach! Wir hören gerne zu.
23 Feb 2021
## LINKS
[1] /Posthumes-Album-von-Leonard-Cohen/!5648423
[2] https://www.youtube.com/watch?v=rCWCuIjOfho
[3] /OMGYes-Gruender-ueber-weibliche-Lust/!5304516
[4] https://www.youtube.com/watch?v=4pDNnP6ET00
## AUTOREN
Lars Fleischmann
## TAGS
sexuelle Selbstbestimmung
Musikerinnen
HipHop
Orgasmus
München
Selbstbefriedigung
Frauenkampftag
## ARTIKEL ZUM THEMA
Feministisches Theaterfestival Body Talk: Private Dance für alle
Matthias Lilienthals erste Spielzeit an den Münchner Kammerspielen neigt
sich dem Ende zu. Eine Intendanz, die München bereichert hat.
„OMGYes“-Gründer über weibliche Lust: „Es gibt noch so viel zu entdecke…
Die US-Website „OMGYes“ erklärt die sexuellen Wünsche von Frauen per Video
und Touchscreen. Ein Service, der vor allem Älteren gefällt, sagen die
Macher der Seite.
Die Lust der Frauen: „Viel Sex steigert das Verlangen“
Frauen masturbieren seltener als Männer. Aber ein Drittel aller Frauen tun
es schon in ihrer Kindheit, sagt die Psychologin Wiebke Driemeyer.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.