# taz.de -- Posthumes Album von Leonard Cohen: Prädikat Erotoman | |
> Endlose letzte Lieder: „Thanks for the Dance“, ein posthumes Album des | |
> Troubadours Leonard Cohen, produziert von seinem Sohn Adam. | |
Bild: Gut, dass ers nicht mehr hören muss: Leonard Cohen | |
Söhne großer Künstler haben’s nicht leicht. Adam Cohen macht da keine | |
Ausnahme. Mit 47 Jahren ist der kanadische Singer-Songwriter nach wie vor | |
nicht nur bei Wikipedia: „Der Sohn von [1][Leonard Cohen].“ Für seine vier | |
Soloalben erntet der Sohn maximal vergiftetes Lob von der Sorte: Er wandle | |
auf den Spuren seines Vaters. | |
2016 begleitet Adam Cohen als Produzent den musikalischen Abgang des | |
Übervaters von dieser Erde. Das Resultat, das Album [2][„You Want It | |
Darker“], ist ein Meisterwerk der Gattung Deathploitation. Der todgeweihte | |
„Troubadour“ (Brigitte) und „Herzensbrecher“ (Gala) verabschiedet sich | |
mit der ihm eigenen Kreuzung aus Pathos und Understatement. | |
Die letzten Lieder füttern die Illusion, dass man dem Tod mit einem Lächeln | |
begegnen könnte. Musikalisch bleibt es halbwegs pietätvoll, nekrophiler | |
Edelkitsch und souveräne Todesverachtung halten sich die Waage. Diese | |
schwierige Balance schafft „Thanks For The Dance“ nun leider nicht. | |
## Böse Ahnung | |
Das postmortale Album entstand wieder unter der Regie des Sohnes und | |
bestätigt eine böse Ahnung: Hat Vater Leonard 2016 auf seine letzten Tage | |
die Qualitätskontrolle nicht aus der Hand gegeben, weil er verhindern | |
wollte, dass Adam ihm sein Farewell mit Emo-Überdosen verhunzt? Sieht | |
schwer so aus. Auf „Thanks For The Dance“ fehlt genau dieser Bullshit | |
Detector. Jetzt, wo der Alte nicht mehr bremsen kann, werden | |
Geschmacksverstärker großzügig gestreut. Viele, womöglich zu viele | |
Rockprominente hinterlassen ihre Duftmarke. Daniel Lanois etwa, der | |
notorische Atmo-Sternekoch, schon bei Dylan und U2 der Mann fürs | |
Feierliche. Des Weiteren auf der Gästeliste: Jennifer Warnes, Arcade Fire, | |
The National … | |
„I’m livin on pills, for which I thank god“ brummt der todkranke Vater mit | |
seiner Trademarkstimme, der Sohn potenziert die Fallhöhe mit einem | |
anschwellendem Frauenchor. Die Songs changieren zwischen Selbstplagiat und | |
Reminiszenz, was man einem Künstler am Ende seines Lebens nicht verübeln | |
muss. Auch dass Cohen noch einmal an Marianne Ihlen aus seinem | |
Kuschelrockhit „So long Marianne“ erinnert, die ein paar Monate vor ihm | |
starb. Auf der Insel Hydra hatten sie sich geliebt, beim griechischen Wein, | |
aber irgendwas war schiefgegangen. Wer hat wen verarscht, fragt Cohen, | |
Who’s kiddin’ who, und die Bouzouki spielt dazu. | |
Hartnäckig setzt Cohen junior akustische Reiztrigger, die stehen dann in | |
den Songs rum wie übergroße Wegweiser. „The Night of Santiago“ beginnt mit | |
einer spanischen Laute, die laut Flamenco ruft. Als Cohen sich | |
„San-ti-a-go“ auf der Zunge zergehen lässt – die Konsonanten werden bei | |
dieser Live-Übertragung aus der Mundhöhle ins Perkussive gepimpt – verpasst | |
ihm sein Sohn ein paar Handclaps. | |
## Zirzensischer Schlenker | |
So geht das Album in die Knie unter dem ornamentalen Overload, hier ein | |
zirzensischer Schlenker, dort eine orientalisierende Vignette, es lebe das | |
ausgestellt Musikantische. „Süße Klang-Madeleines“ feiert die FAZ und lie… | |
mit dem Vergleich gar nicht so falsch. Offenbar hat der Autor einen | |
Zuckerschock und verrennt sich zu der steilen These, dass Adam Cohen „die | |
beiden am besten instrumentierten und produzierten Alben seines Vaters | |
geschaffen hat“. Andächtig entzückt sind auch SZ („wundervolle, gewitzte, | |
existenziell düstere und heitere Platte“), FR („ein Werk von phänomenalem | |
spirituellen Einklang“) und Standard („ganz wunderbar“). | |
Das wirft Fragen auf. Gilt immer noch De mortuis nihil nisi bene? Was ist | |
eigentlich so funny daran, dem Tod bei der Arbeit zuhören? Das war ja schon | |
bei den späten Bestsellern des moribunden Johnny Cash ein Rätsel. Und wer | |
ergötzt sich aus welchen Gründen an Nippeln, die sich hinter feinen | |
Stickereien aufrichten wie Brot? Brot? „Behind a fine embroidery / Her | |
nipples rose like bread“, raunt der Ladies Man, oder ist es der Lustgreis? | |
„Für einen Moment ist die Welt in Ordnung.“ Schreibt der FAZ-Kritiker, und | |
das mag die Antwort sein auf all die Fragen. | |
Könnte die einhellige Männer-Begeisterung für „Thanks for the Dance“ dam… | |
zu tun haben, dass der durchkanonisierte und längst sakrosankte Cohen die | |
Sehnsucht nach einer versunkenen Welt ohne Gendertrouble verkörpert, in der | |
sich zwei Geschlechter gut sortiert begegnen, in der ein Mann mit | |
ausgeprägtem sexuellen Appetit bei gleichzeitiger literarischer Ambition | |
das Prädikat Erotoman bekommt, dem by nature eine Muse zusteht, deren | |
vornehmste Aufgabe darin besteht, ihrem Herren qua Liebreiz und Charme | |
Inspiration einzuhauchen, intellektuell, sexuell und, klar, das darf nicht | |
fehlen: spirituell. | |
13 Dec 2019 | |
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## AUTOREN | |
Klaus Walter | |
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