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# taz.de -- Demokratische Partei in USA: Aggressive Progressive
> Bei den US-Demokraten brodelt es: Nach dem Vorbild der rechten Tea Party
> wollen Parteilinke ihre Agenda gegen das Biden-Establishment durchsetzen.
Bild: US-Politikerin Nina Turner steht für einen konfrontativeren Ansatz bei d…
Es steht eins zu null für das demokratische Establishment gegen die
progressiven Demokraten und im Übrigen auch gegen die Mehrheit der
AmerikanerInnen. Und es wird sicher nicht die letzte Nullrunde der
demokratischen Linken unter US-Präsident Biden gewesen sein. Obwohl mehr
als 60 Prozent der Menschen in den USA sich eine Erhöhung des bundesweiten
Mindestlohns von aktuell 7,25 Dollar auf 15 Dollar pro Stunde wünschen,
wird dies wohl noch lange ein Wunsch bleiben. Die von Biden im Wahlkampf
versprochene Mindestlohnerhöhung ist im aktuellen Coronahilfs- und
Konjunkturpaket, dem [1][American Rescue Plan], nicht enthalten. Machbar
wäre es gewesen, – allein der politische Wille des neuen US-Präsidenten und
acht konservativer demokratischer SenatorInnen scheint dafür zu fehlen.
Bei all den Finanzhilfen, die das 1,9 Billionen Dollar-Gesetzespaket für
AmerikanerInnen vorsieht, ist die lange überfällige, nicht enthaltene
Mindestlohnerhöhung dennoch ein Kernpunkt. Denn sie wäre eine dauerhafte
Hilfe, um 900.000 Menschen aus der Armut zu befreien. Die Regeln (nicht
Gesetze!) des Senats, die Abweichler in den eigenen Reihen – sie sind
Ausflüchte Bidens, um nicht zugeben zu müssen, dass es Spenderinteressen
sind, die dem entgegenstehen.
Joe Biden hat nun also nach nicht einmal zwei Monaten im Amt sein erstes
Wahlversprechen gebrochen. Neben der Pandemiebekämpfung und der Erhöhung
des bundesweiten Mindestlohns auf 15 Dollar pro Stunde sprach sich der
damalige Präsidentschaftskandidat Biden im Wahlkampf ferner unter anderem
für Folgendes aus: Einen Netto-Null-Emissions-Kurs bis 2050, keine privaten
Haftanstalten mehr auf Bundesebene, Erweiterung der Befugnisse des
Justizministeriums, gegen Verfehlungen der Polizei vorzugehen, Verdopplung
der Anzahl von RichterInnen im Einwanderungsrecht, gebührenfreie
öffentliche Universitäten für Familien mit einem Jahreseinkommen von
weniger als 125.000 Dollar, Erhöhung der Unternehmenssteuer auf 28 Prozent,
staatlich finanzierte Kita für Drei- und Vierjährige, mehr Transparenz bei
der Wahlfinanzierung, Verbesserung der Krankenversicherung Obamacare und
Ergänzung um eine gesetzliche Option, Gutscheine für arme Familien zur
Begrenzung der Wohnkosten auf 30 Prozent des Einkommens.
Die Forderungen der Parteilinken sind noch umfassender, im Gegensatz zum
Establishment-Urgestein Biden wollen sie strukturelle Reformen: Sie fordern
eine allgemeine gesetzliche Krankenversicherung, gebührenfreie öffentliche
Universitäten, bezahlbaren Wohnraum, Steuererhöhungen für große Unternehmen
und Reiche, einen „Green New Deal“, staatlich finanzierte Kinderbetreuung,
eine Parteien- und Wahlkampffinanzierungsreform, eine Polizei- und
Strafjustiz sowie eine Einwanderungsreform.
Mit einem Großteil ihrer Forderungen repräsentieren die Progressiven laut
Umfragen die Mehrheit der US-Bevölkerung – und nicht nur ihre Agenda ist
beliebt: [2][Bernie Sanders] ist laut der jüngsten Umfrage von The
Economist und YouGov wieder einmal beliebtester Politiker der USA, noch vor
Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris. Innerhalb der
demokratischen Partei sind die Progressiven indes oft eine innerparteiliche
Opposition. So sagte die Kongressabgeordnete [3][Alexandria Ocasio-Cortez]
während des demokratischen Vorwahlkampfes Anfang 2020, in einem anderen
Land wären sie und Biden nicht in derselben Partei. Derzeit sind die
Progressiven nur eine kleine – wenn auch prominente und lautstarke –
Minderheit im Kongress.
Für den Versuch, ihre politischen Ziele umzusetzen, haben die Progressiven
in der US-Regierung künftig im Wesentlichen zwei Handlungsalternativen: Sie
können auf Kooperation mit ihren konservativeren demokratischen KollegInnen
und demzufolge auf Kompromisse setzen. Fraglich ist jedoch, ob die daraus
resultierenden, wohl eher kleinen Achtungserfolge ihre linke Basis
zufriedenstellen werden. Oder sie können die offene innerparteiliche
Konfrontation suchen, nach dem Vorbild der Tea-Party-Bewegung bei den
Republikanern. Diese schaffte es in den Jahren 2009 bis 2016 mit
aggressiven politischen Manövern, dem republikanischen Establishment im
Kongress erfolgreich ihre rechte Agenda aufzuzwingen, obwohl auch sie
anfangs nur eine kleine Gruppe von Kongressmitgliedern war. Der Rechtsdruck
durch die Tea Party führte 2015 sogar zum Rücktritt John Boehners, dem
damaligen republikanischen Sprecher des Repräsentantenhauses.
Für diesen konfrontativeren Ansatz steht bei den progressiven Demokraten
etwa Nina Turner. In einem Polit-Podcast äußerte sie kürzlich, sie könne
sich gut vorstellen, die Strategie rechter Republikaner „zum Guten“, also
für die progressive Sache zu adaptieren. Aktuell kandidiert die 53-jährige
Afroamerikanerin, die sich selbst als „angry black woman“, als wütende
schwarze Frau bezeichnet, im Rahmen einer außerordentlichen Wahl in Ohios
11. Wahlbezirk für einen Sitz im Repräsentantenhaus. Als Grund für ihre Wut
gibt sie in leidenschaftlichen Wahlkampfreden die ungerechten
wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in den USA an.
Als ehemalige Stadträtin von Cleveland und ehemalige Senatorin im State
Senate, dem Landesparlament von Ohio, verfügt Nina Turner über politische
Erfahrung. Überdies ist sie eine enge Vertraute von Bernie Sanders und war
2019/2020 Co-Vorsitzende seiner Präsidentschaftsvorwahlkampagne. Für ihren
eigenen Wahlkampf weiß sie nicht nur den beliebten linken Senator, der ihre
Kandidatur offiziell unterstützt, sondern auch dessen enthusiastische
AnhängerInnen hinter sich.
Ein Wahlsieg Nina Turners würde nicht nur Zuwachs in den Reihen der
progressiven Demokraten im Kongress bedeuten. Er wäre zugleich auch ein
Punktsieg gegen das demokratische Establishment.
11 Mar 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Johanna Soll
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