| # taz.de -- Sterilisierungen früh im Leben: Kinderlos glücklich | |
| > Wer keine Kinder gebären möchte, kann sich sterilisieren lassen. Aber | |
| > gerade junge Menschen finden in Deutschland oft niemanden, der sie | |
| > sterilisiert. | |
| Bild: Eine Schwester sortiert OP-Besteck vor einer Operation | |
| Mit Anfang 20 denkt Isabell A. zum ersten Mal über eine Sterilisation nach. | |
| Sie weiß bereits, dass sie keine Kinder will und auch, dass sich das nicht | |
| mehr ändern wird. „Beim Sex hatte ich immer unglaubliche Angst, dass der | |
| Verhütungsring nicht wirkt oder das Kondom reißt. Ich hatte solche Angst | |
| vor einer Schwangerschaft.“ Doch in diesem Alter ist es für Menschen mit | |
| Uterus nahezu unmöglich, eine:n Arzt:Ärztin zu finden, der:die | |
| Sterilisierungen vornimmt. Daher wartet Isabell A., bis sie 33 Jahre alt | |
| ist. | |
| Ihre Frauenärztin verweist sie an eine Kollegin, da sie selbst keine | |
| Operationen durchführt. „Was ist, wenn Sie in zehn Jahren mal Kinder haben | |
| wollen?“, habe die Ärztin gefragt, Isabell A. fühlt sich nicht ernst | |
| genommen. Die Ärztin erklärt ihr, sie mache Sterilisationen eigentlich erst | |
| ab 35, aus Angst, die Menschen könnten ihre Entscheidung doch noch | |
| irgendwann bereuen. | |
| Denn eine Sterilisation lässt sich zwar rückgängig machen – doch das | |
| Verfahren ist aufwendig und teuer, nur spezielle Kliniken führen die | |
| sogenannte Refertilisierung durch. Letztlich macht die Ärztin für Isabell | |
| A. eine Ausnahme, nachdem sie sich eine halbe Stunde mit ihr unterhält und | |
| feststellte, dass der Wunsch gefestigt ist. | |
| Für junge Menschen mit Uterus ist es generell schwierig, in Deutschland | |
| eine:n Gynäkolog:in zu finden, der:die eine Sterilisation durchführt. | |
| Dabei haben alle Menschen ab 18 Jahren das Recht dazu. Doch oft wird eine | |
| andere Altersgrenze gezogen, als „magische Grenze“ gilt 35. | |
| Christian Albring, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte, schätzt | |
| diese Altersgrenze als begründeten Ablehnungsgrund ein: „Heute sind die | |
| Ausbildungswege durchschnittlich länger als früher. Nach dem Studium und | |
| den ersten anstrengenden Jahren der beruflichen Qualifikation wollen | |
| [1][viele Frauen nicht gleich mit dem Kinderbekommen] anfangen, sondern | |
| sich erst mal stabilisieren.“ | |
| Als Grundlage verweist Albring auf das Bundesinstitut für | |
| Bevölkerungsforschung nach deren Berechnungen das durchschnittliche Alter | |
| der Gebärenden 2019 bei knapp 31 Jahren lag – beim ersten Kind. „Das | |
| bedeutet, dass jede zweite Frau in diesem Alter noch gar keinen aktuellen | |
| Kinderwunsch hat und erst danach ihre Kinder bekommt“, so Albring. | |
| Wie Albring führen viele Gynäkolog:innen Sterilisationen nicht unter | |
| 35 Jahren durch. Der Eingriff sei ein medizinisch invasiver und | |
| folgenreicher Eingriff in den Körper. „Es ist medizinethisch und moralisch | |
| nicht verwerflich, wenn ein:e Ärzt:in einen solchen Eingriff ablehnt. | |
| Sie:er muss sich auch dafür nicht rechtfertigen.“ | |
| Doch Isabell A., die der Ärztin gegenüber ihren Sterilisationswunsch | |
| äußerte, hatte den Eindruck, sie selbst müsse sich rechtfertigen: „Die | |
| Ärztin hatte Angst, dass ich sie irgendwann wegen Körperverletzung anzeigen | |
| könnte.“ Laut Sozialgesetzbuch ist die Sterilisation nicht verboten. | |
| Paragraf 24a im Sozialgesetzbuch regelt, dass „Versicherte einen Anspruch | |
| auf die Verordnung von empfängnisregelnden Mitteln“ haben. | |
| Bei der Sterilisation werden Eileiter verklebt, indem sie erhitzt werden. | |
| Sie können auch durchtrennt oder komplett entfernt werden. Dazu wird meist | |
| eine Bauchspiegelung gemacht, also ein Schnitt an der Bauchdecke, der einem | |
| Rohr ermöglicht, zum [2][Eileiter zu gelangen]. Es gibt auch die | |
| Möglichkeit, dass die:der Gynäkolog:in nach einem Bauchschnitt oder | |
| einem Kaiserschnitt zum Eileiter gelangt. | |
| Dadurch, dass nur die Eileiter verklebt oder durchtrennt werden, können die | |
| Eierstöcke weiterhin Hormone produzieren – sonst würden nach der Operation | |
| die Wechseljahre einsetzen. Auch menstruieren Sterilisierte weiterhin. Je | |
| nach Eingriffsart und Arzt:Ärztin kostet die Sterilisation zwischen 500 | |
| und 1.500 Euro. Wie andere Verhütungsmethoden ist der Eingriff nicht zu 100 | |
| Prozent sicher: Bei der Durchtrennung der Eileiter besteht ein Restrisiko, | |
| trotzdem schwanger zu werden. Und wer trotz Sterilisation schwanger werden | |
| möchte, kann sich künstlich befruchten lassen. | |
| Der Verein „Selbstbestimmt Steril“ hat sich gegründet, um eine Übersicht … | |
| schaffen, bei welchen Gynäkolog:innen eine Sterilisation unabhängig | |
| des Alters möglich ist. Susanne Rau von „Selbstbestimmt Steril“ erzählt v… | |
| gängigen Reaktionen der Gynäkolog:innen: „Sie sind zu jung, kriegen Sie | |
| doch erst mal Kinder.“ Oder: „Nehmen Sie lieber die Pille.“ Oder: „Ihr | |
| Partner kann sich doch vasektomieren lassen.“ | |
| Auch Christian Albring, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte, rät | |
| zu anderen Verhütungsmethoden: „Wenn eine Frau bis auf Weiteres nicht | |
| schwanger werden möchte, steht alternativ mit der Kupferspirale oder auch | |
| Hormonspirale ein sicheres, bewährtes, langfristiges und | |
| [3][nebenwirkungsarmes Verhütungsmittel] zur Verfügung, das nicht so | |
| unwiderruflich ist.“ | |
| Dabei ist Sterilisation die weltweit am häufigsten angewendete | |
| Verhütungsmethode, häufiger als Pille und Kondom, besonders in Amerika und | |
| Asien. Etwa 16 Prozent der Menschen mit Uterus haben sich sterilisieren | |
| lassen. | |
| In Deutschland gab es ab 1923 Zwangssterilisationen, mit dem „Gesetz zur | |
| Verhütung erbkranken Nachwuchses“. In der NS-Zeit nahm die | |
| Zwangssterilisation zu, schätzungsweise 300.000 bis 400.000 Menschen sollen | |
| die Nazis zwangssterilisiert haben, darunter vor allem Behinderte und | |
| Menschen, die als „schwachsinnig“ galten. | |
| Erst 1974 wurde das Gesetz in der BRD endgültig aufgehoben. | |
| Zwangssterilisationen in Deutschland gab es trotzdem weiterhin. In der DDR | |
| wurden Leiharbeiter:innen aus Vietnam, Mosambik, Kuba oder Uganda | |
| sterilisiert – sonst drohte die Abschiebung. Bis 2011 wurden in der BRD | |
| trans Menschen sterilisiert, die ihren Geschlechtseintrag ändern wollten. | |
| Bis heute können Neugeborene, die von Mediziner:innen als intersexuell | |
| angesehen werden, sterilisiert werden. Und Behinderte, deren Betreuer:in | |
| sich eine Genehmigung des Betreuungsgerichts einholt. Zwar spricht man hier | |
| nicht von Zwangssterilisation – doch bleiben es Menschen, deren | |
| Einwilligung nicht eingeholt wird. | |
| Und so scheint es nicht verwunderlich, dass gerade in Deutschland | |
| Mediziner:innen besonders vorsichtig sind. In Österreich ist der | |
| Eingriff unkomplizierter geregelt, manche junge Menschen mit Uterus fahren | |
| deshalb dorthin, um sich sterilisieren zu lassen. | |
| Isabell A. sagt, in ihrem Freund:innenkreis werde offen über | |
| Sterilisation gesprochen, von ihrer Familie hingegen wüssten nur ihr Vater | |
| und ihr Cousin davon. „Bei den anderen möchte ich nicht, dass sie einen | |
| Herzinfarkt bekommen.“ | |
| Sie sprach auch mit einem Freund, der eine Vasektomie, die Durchtrennung | |
| des Samenstrangs, vornehmen ließ: „Wir haben die OPs im selben Alter machen | |
| lassen. Er hatte keine Probleme. Er ist noch nicht mal gefragt worden, ob | |
| er sich das gründlich überlegt hat.“ | |
| Susanne Rau vom Verein „Selbstbestimmt Steril“ sagt: „Das Problem der | |
| ganzen Sache ist: Du kannst den Leuten ja nicht in den Kopf schauen. Aber | |
| wenn zum Beispiel eine Person schreibt, dass sie keine Kinder möchte, | |
| seitdem sie 13 ist und jetzt 28 Jahre alt ist, sich von ihrem Partner | |
| trennte, weil der Kinder wollte, und seit vier Jahren nach einer Ärztin | |
| sucht, die sie sterilisieren lässt – dann ist das für mich ein deutliches | |
| Zeichen, dass sie sich wirklich sicher ist.“ Das schließe natürlich nicht | |
| aus, dass man die Entscheidung später bereue. „Aber auch das Kinderkriegen | |
| kann man bereuen.“ | |
| Auch Rau nimmt einen großen Unterschied zwischen Vasektomie und | |
| Sterilisation wahr, sie sagt: „Eine Vasektomie ist einfacher zu bekommen. | |
| Wenn Thorsten, 34, sich vasektomieren lässt, heißt es: Du bist so | |
| verantwortungsvoll. Wenn Menschen mit Uterus sich sterilisieren lassen | |
| wollen, heißt es: Du bist zu naiv. Du wirst es bereuen.“ | |
| Und es gibt sie, die Fälle, in denen eine Sterilisation im Nachhinein | |
| bereut wird: Laut einer US-amerikanischen Studie von 2016 bereuen fast 30 | |
| Prozent die Sterilisation. Auch Christian Albring, Präsident des | |
| Berufsverbandes der Frauenärzte, weiß von Gynäkolog:innen mit | |
| langjähriger Erfahrung, die Menschen mit Uterus kennen, die ihre | |
| Sterilisation bereuen: „Es ist sehr niederdrückend, wenn dann die Versuche, | |
| trotzdem noch zum Beispiel mit Hilfe der Kinderwunschmedizin schwanger zu | |
| werden, nicht funktionieren.“ | |
| Isabell A. hat es nicht bereut, ein Jahr liegt ihre OP nun zurück: „Ich bin | |
| froh darüber, dass ich mich habe sterilisieren lassen. Mit 33 konnte ich | |
| mich das erste Mal beim Sex so richtig gehen lassen.“ | |
| 8 Mar 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Nicole Opitz | |
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