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# taz.de -- Militär nach Putsch in Myanmar: Auf blutigen Irrwegen
> Die Generäle setzen ihre Interessen mit Gewalt gegen die eigenen Bürger
> durch. Dabei weiß man erschreckend wenig über das Innere des
> Machtapparates.
Bild: Anti-Putsch-Demonstranten zeigen das Symbol des Widerstandes und gedenken…
Berlin taz | Eine der ganz wenigen Diplomaten, die derzeit Kontakt zu
Myanmars Putschgenerälen haben, ist Christine Schraner Burgener aus der
Schweiz. Die UN-Sondergesandte für Myanmar traf am 15. Februar, also zwei
Wochen nach dem Militärputsch, den Vize-Armeechef Soe Wint und steht
weiterhin mit ihm im Austausch. Sie wollte ihm klarmachen, dass der Coup zu
Sanktionen und Isolation führen werde. „Die Antwort war: Wir sind
Sanktionen gewöhnt, wir haben überlebt“, berichtete sie am Mittwoch im
UN-Hauptquartier in New York.
Zur Isolation habe Soe Wint gesagt: „Wir müssen lernen, nur wenige Freunde
zu haben.“ Schraner Burgener glaubt, die Generäle seien „sehr überrascht�…
von den anhaltenden Massenprotesten. Denn die Bevölkerung habe sich in den
zehn Jahren der Öffnung stark gewandelt. Die Menschen wollten nicht mehr
zurück zu Diktatur und Isolation.
Mit mindestens 55 von Polizei und Militär Getöteten, darunter mindestens 38
am Mittwoch, geht Myanmar den Weg in die Vergangenheit. Zunächst hatten
sich die Regimekräfte noch zurückgehalten. Jetzt sind Kopfschüsse auf
Demonstranten üblich. Die Aktivistin Thinzar Shunlei Yi spricht von
[1][„täglichem Schlachten“]. Andere sehen die Städte als „Kriegszonen�…
erinnern daran, dass der frühere Armeechef und Diktator [2][Ne Win] einmal
sagte: „Das Militär schießt nie in die Luft. Es schießt direkt, um zu
treffen.“ Das CRPH genannte Untergrundparlament nennt das Militär jetzt
„Terrororganisation“.
Die Tatmadaw genannte Armee glaubt am besten zu wissen, was gut für das
Land ist. Ihre Ursprünge gehen auf den Zweiten Weltkrieg zurück. Die
britischen Kolonisatoren hatten fast nur Angehörige der Minderheiten Karen,
Kachin und Chin zu Hilfstruppen gemacht. Die Briten trauten den Birmanen
nicht, der großen Mehrheit im Vielvölkerstaat.
Im Gegensatz dazu setzten Japans Invasoren auf nationalistische Birmanen.
Die von Aung San, dem Vater der jetzt weggeputschten faktischen
Regierungschefin Aung San Suu Kyi, aufgebaute erste Truppe wechselte die
Seiten, als sich die Japaner als schlimmer erwiesen als die Briten.
## Weg in die Krise
Die Armee wurde Geburtshelfer der Nation, als Aung San die Unabhängigkeit
aushandelte. Bald begann das Militär bewaffnete Minderheiten zu bekämpfen,
die sich nicht einfach unterordnen wollten. Der Krieg geht bis heute,
weshalb die von Birmanen geführte Armee glaubt, ohne sie wäre das Land
zerbrochen. Andere machen gerade die rücksichtslose Aufstandsbekämpfung für
die weitere ethnische Spaltung verantwortlich.
Spätestens seit Ne Wins Putsch 1962 nimmt das Militär großen Einfluss auf
die Politik und sich bis heute heraus, zu intervenieren. Doch
wirtschafteten die Generäle das Land mit ihrem „eigenständigen Weg zum
Sozialismus“ zugrunde. Als Ne Win 1988 abtreten musste und das Militär nach
erneutem Putsch die Demokratiebewegung niederschoss, verlängerten
Missmanagement und Sanktionen die Krise.
Die Generäle setzten auf eine von ihnen gelenkte Öffnung. Ihre so genannte
disziplinierte Demokratie orientierte sich an Indonesiens „Neuer Ordnung“
unter Diktator Haji Mohamed Suharto mit einer explizit innenpolitischen
Rolle für das Militär.
Myanmars Generäle, die zu Gigantismus und Paranoia neigen, verewigten sich
2005 mitten im Land mit einer neuen Hauptstadt. Das für Unsummen aus dem
Boden gestampfte [3][Naypyidaw („Sitz der Könige“)] sollte für Invasoren
von der Küste aus nicht angreifbar sein und mit seinen absurd breiten
Straßen Proteste ausschließen. Die Verfassung von 2008 schrieb die zentrale
Rolle der Armee fest: 25 Prozent der Parlamentssitze und die drei
sicherheitsheitsrelevanten Ministerien gehen ans Militär.
Aung San Suu Kyi durfte den Hausarrest verlassen und für das Ende der
Sanktionen werben. Die Generäle zogen sich in die zweite Reihe zurück, doch
gegen sie konnte das neue Aushängeschild Aung San Suu Kyi keine Politik
machen. Sie verteidigte das Militär sogar gegen den Vorwurf des
Völkermordes an den Rohingya.
## Angst vor Aung San Suu Kyi
Schon in den 1990er Jahren hatte sich das Militär im Zuge von
Privatisierungen zahlreiche Unternehmen gesichert und ein
[4][Wirtschaftsimperium] aufgebaut. Heute hat es das Sagen bei Banken,
Rohstoffen, Transport, Lebensmittel, Medien, Mobilfunk,
Gesundheitsversorgung, Bauwirtschaft und Tourismus, zeigt eine Liste der
Organisation [5][Justice for Myanmar]. Die meisten der Firmen sind
binnenmarktorientiert und mit Sanktionen kaum zu treffen.
Die Einnahmen aus der Wirtschaft, die je zur Hälfte an das Militär als
Ganzes und an die führenden Generäle fließen, macht die Armee finanziell
unabhängiger von Regierung und Parlament. Auf der Basis geleakter Dokumente
schätzt [6][Justice for Myanmar], dass allein der Mobilfunkbetreiber Mytel
dem Militär in zehn Jahren 700 Millionen US-Dollar einbringt.
Doch wurde dem Militär die [7][Beliebtheit von Aung San Suu Kyi]
unheimlich, obwohl die vor allem unter den Minderheiten auch viele Menschen
enttäuscht hatte. Doch die Bevölkerung goutierte ihre Versuche, die Macht
der Generäle einzudämmen. So dürfen diese nach einer Reform nicht mehr
automatisch mit der Pensionierung auf Behörden- und Ministerposten
wechseln.
Putschführer Min Aung Hlaing hätte mit seiner Pensionierung im Juli das Amt
als Armeechef und die Kontrolle über die Militärfirmen verloren. Eine
Politikkarriere schien der Ausweg. Doch wurde dies durch die krachende
Niederlage der militärnahen Partei USDP vereitelt. Der General verhinderte
seinen Sturz in die Bedeutungslosigkeit mit dem Putsch. Den verbrämen die
Generäle jetzt als Korrektur auf dem Weg zur „disziplinierten Demokratie“,
also ihrer Kontrolle der Politik.
## Einig gegen das Militär
Ironischerweise eint das Militär ausgerechnet jetzt das Volk so wie nie –
gegen sich. Doch wie geeint ist das Militär selbst? Selbst für Experten ist
der Tatmadaw eine Blackbox, der Aufbau als Staat im Staate unklar, nicht
einmal über die Truppenstärke, die zwischen 300.000 und 500.000 angegeben
wird, ist man sich einig. Was im Militär wirklich vorgeht, nennt der
Politikanalyst Khin Zaw Win die „Eine-Million-Dollar-Frage“.
Bisher haben sich [8][100 Angehörige der Polizei], die dem Militär
untersteht, den Protesten angeschlossen, aber nur eine Handvoll Soldaten.
„Wer überläuft, verliert alles bis hin zur Wohnung für die Familie“, sagt
Khin Zaw Win. Risse im Militär sind nicht zu erkennen. Doch wurde auch 2004
der mächtige Ex-Geheimdienstchef und damalige Regierungschef Khin Nyunt
überraschend vom Juntachef Than Shew ins Gefängnis geworfen.
Das Militär hat sich jetzt mit dem Putsch in eine Sackgasse manövriert, aus
der es nicht ohne Gesichts- und Machtverlust wieder herauskommt. Die
bisherige, von vielen ohnehin nur als Übergang akzeptierte Machtteilung
zwischen Tatmadaw und Aung San Suu Kyi und ihrer Partei NLD wurde jetzt vom
Militär aufgekündigt.
Doch die Millionen Demonstrant:innen dürften [9][auch wegen ihrer
vielen Opfer] kaum bereit sein, zum Status quo ante zurückzukehren. Sie
verlangen die Bestrafung der Täter sowie eine Verfassungsreform, um die
Macht des Militärs endgültig zu brechen. Es ist deshalb zu befürchten, dass
die Generäle ihren Krieg gegen die eigene Bevölkerung fortsetzen und
hoffen, dass diese sich erneut der Gewalt fügt.
6 Mar 2021
## LINKS
[1] https://www.theguardian.com/world/2021/mar/03/dozens-killed-in-myanmars-wor…
[2] https://www.irrawaddy.com/opinion/myanmar-military-rule-no-1-riot-control-s…
[3] /Myanmars-neue-Hauptstadt/!5011164
[4] /Geld-und-Putsch-in-Myanmar/!5751991
[5] https://www.justiceformyanmar.org/stories/myanmar-military-controlled-busin…
[6] https://www.justiceformyanmar.org/stories/how-hundreds-of-millions-of-dolla…
[7] /Aung-San-Suu-Kyis-Rolle-in-Myanmar/!5751994
[8] https://www.irrawaddy.com/news/burma/100-myanmar-police-officers-join-anti-…
[9] /Todesschuesse-in-Myanmar/!5755850
## AUTOREN
Sven Hansen
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