| # taz.de -- Myanmar nach dem Putsch: Proteste und Schüsse gehen weiter | |
| > Die Militärjunta heuert eine PR-Firma an, um international ihr Image | |
| > aufzupolieren. Bisher keine Einigung bei neuer Sitzung im | |
| > UN-Sicherheitsrat. | |
| Bild: Demonstrant:innen am Sonntag beim Barrikadenbau in Yangon | |
| Berlin taz/afp | In Myanmar wurde auch am Wochenende und damit fünf Wochen | |
| nach dem Putsch an verschiedenen Orten weiter in großer Zahl gegen die | |
| Machtübernahme des Militärs protestiert. Die Menschen ließen sich von der | |
| Gewalt der bewaffneten Regimekräfte, die in den letzten Tagen immer wieder | |
| auf Demonstrant:innen scharf geschossen hatten, nicht einschüchtern. | |
| Große Proteste gab es am Wochenende außer in der Metropole Yangon (Rangun) | |
| auch in der Großstadt Mandalay und in der alten Tempelstadt Bagan, ebenso | |
| in Lashio im nordöstlichen Shan-Staat Shan und im zentralen Monywa. | |
| In Mandalay zogen am Sonntag zehntausende in einem Trauerzug durch die | |
| Stadt. Dort wurden bisher rund ein Dutzend Menschen erschossen. Das Grab | |
| einer [1][19-Jährigen], die am Mittwoch per Kopfschuss getötet worden war | |
| und wegen der Aufschrift ihres T-Shirts („Everything will be ok“) zu einer | |
| Ikone der jungen Generation wurde, wurde in der Nacht zu Samstag von | |
| Sicherheitskräften geöffnet. | |
| Das Portal [2][Frontier] vermutet, dass die Sicherheitkräfte damit im | |
| Rahmen einer Desinformationskampagne das Narrativ nähren wollten, dass die | |
| Frau nicht von der Polizei erschossen wurde. Weil heute alle | |
| Teilnehmer:innen der Proteste mit Kamerasmartphone ausgestatattet sind, | |
| hat die Junta keine Kontrolle über die Bilder, weshalb ihre Propaganda kaum | |
| verfängt. | |
| ## Mindestens 70 Festnahmen allein in Mandalay | |
| Am Sonntagnachmittag gab es in Mandalay wieder Schüsse auf die | |
| Demonstration. Laut dem Portal [3][Myanmar Now] wurden mindestens fünf | |
| Personen angeschossen und 70 verhaftet, laut dem Portal [4][Irrawaddy] soll | |
| es sogar 90 Verhaftungen gegeben haben. Das Militär besetzt eine | |
| Universität. | |
| In der Tempelstadt und Touristenhochburg Bagan, einer | |
| Unesco-Weltkulturerbestätte, schoss die Polizei mit Gummigeschossen und | |
| scharfer Munition auf Demonstrant:innen. Hier wurde einem Mann nach Angaben | |
| von Sanitätern in den Kiefer geschossen. | |
| In Yangon verbarrikadierten Demonstrant:innen am Samstag und Sonntag | |
| Straßenzüge. Die Taktik besteht darin, der Konfrontation mit den | |
| Sicherheitskräften auf den Hauptstraßen auszuweichen und diese nur dann zu | |
| blockieren, wenn die Regimekräfte weiter gezogen sind. | |
| Zwar hat die Militanz zugenommen und tragen fast alle sogenannten | |
| Frontliner inzwischen Helme, doch bleiben die Demonstrant:innen | |
| defensiv, um dem Regime keinen Vorwand für tödliche Schüsse zu liefern. So | |
| werden etwa im Unterschied zu den 2019 eskalierenden Prosten in Hongkong | |
| keine Molotow-Cocktails eingesetzt. Es geht allein darum, das System zu | |
| stören. | |
| ## Festnahmen bei nächtlichen Razzien | |
| In Myanmars größer Stadt zogen in der Nacht und damit während der | |
| Ausgangssperre Polizei und Militär durch Wohnviertel, um Menschen | |
| festzunehmen. „Drei Militärfahrzeuge stoppten vor unserem Haus,“ berichtete | |
| ein Journalist per Messenger der taz. „Sie schossen in die Luft, ich konnte | |
| gerade noch über die Feuerleiter aus dem 8. Stock fliehen und mich in der | |
| Garage eines Freundes verstecken.“ | |
| Festgenommen worden seien dann ein benachbarter Politiker der Nationalen | |
| Liga für Demokratie (NLD) der entmachteten faktischen Regierungschefin Aung | |
| San Su Kuyi sowie Aktivisten der [5][Bewegung des zivilen Ungehorsams | |
| (CDM)]. Diese lähmt mit Streiks die Wirtschaft des Landes und ruft für | |
| Montag zu einem neuen [6][Generalstreik] auf. | |
| Am Samstag wurde in den vom Militär kontrollierten Staatsmedien öffentlich | |
| Bediensteten mit sofortiger Entlassung gedroht, sollten sie nicht an ihre | |
| Arbeitsplätze zurückkehren. Zahlreiche Beamte und Staatsangestellte | |
| boykottieren die Junta. Diese will am Montag die Banken wieder öffnen, die | |
| seit Wochen nicht oder kaum noch arbeiten. Doch dürfte eine Öffnung auch zu | |
| Chaos führen, da viele versuchen werden, Bargeld abzuheben. | |
| Samstagabend war Berichten verschiedener lokaler Medien zufolge auch der | |
| NLD-Lokalpolitiker Khin Maung Latt von Sicherheitskräften verschleppt | |
| worden. Am nächsten Morgen war der 58-Jährige tot, mutmaßlich zu Tode | |
| gefoltert. Viele Festgenommene werden zunächst misshandelt, oft mit | |
| Gewehrkolben geschlagen oder mit Tritten ins Gesicht traktiert, wie | |
| zahlreiche Aufnahmen in den sozialen Medien zeigen. Diese lassen sich | |
| allerdings nicht unabhängig überprüfen. | |
| Der NLD-Abgeordnete Sithu Maung berichtete auf Facebook, Einsatzkräfte der | |
| Junta seien in der Nacht beim Haus von Parteisprecher Maung Maung | |
| aufgetaucht. Als sie ihn nicht fanden, hätten sie dessen Bruder geschlagen | |
| und gefoltert. | |
| ## Lobbyfirma will an alternative Fakten entwerfen | |
| Inzwischen wurde bekannt, dass die Militärjunta eine internationale | |
| PR-Firma angeheuert hat, um ihr Image im Ausland zu verbessern. Laut dem | |
| Fachportal [7][foreignlobby.com] will der frühere israelische | |
| Geheimdienstmitarbeiter Ari Ben-Menache mit der kanadischen PR-Firma | |
| Dickens & Madsen Canada eine Spin verbreiten, demnach Aung San Suu Kyi | |
| Myanmar in Chinas Arme getrieben habe, was das Militär durch die | |
| Machtübernahme noch verhindert konnte. | |
| Am Freitag hatte der UN-Sicherheitsrat in New York erneut hinter | |
| verschlossenen Türen über die Krise in Myanmar beraten. Die Sitzung war von | |
| Großbritannien beantragt worden, doch endete sie ohne neue Entschließung. | |
| Die Sitzung soll in etwa einer Woche fortgesetzt werden. | |
| Die UN-Sonderbeauftragte Christine Schraner Burgener hatte zuvor in einem | |
| dringlichen Appell die Staatengemeinschaft zur Einheit und zum Eingreifen | |
| aufgefordert. | |
| Das Militär hatte sich am 1. Februar an die Macht geputscht und die | |
| demokratisch gewählte Aung San Suu Kyi unter Hausarrest gestellt. Nach | |
| UN-Angaben wurden seit Anfang Februar mindestens 55 Menschen getötet. | |
| Allein am Mittwoch, dem bislang blutigsten Tag, starben 38 Menschen durch | |
| die gewaltsame Niederschlagung von Protesten. Mehr als 1700 Menschen wurde | |
| seit Beginn der Demonstrationen festgenommen. | |
| 7 Mar 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Todesschuesse-in-Myanmar/!5755850 | |
| [2] https://www.frontiermyanmar.net/en/disinformation-campaign-tries-and-fails-… | |
| [3] https://www.myanmar-now.org/en/news/more-than-70-people-arrested-in-mandala… | |
| [4] https://www.irrawaddy.com/news/burma/myanmar-regime-steps-crackdown-ahead-m… | |
| [5] /Protest-gegen-Putsch-in-Myanmar/!5751983 | |
| [6] /Nach-dem-Putsch-in-Myanmar/!5753531 | |
| [7] https://www.foreignlobby.com/2021/03/05/myanmar-junta-hires-israeli-intelli… | |
| ## AUTOREN | |
| Sven Hansen | |
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