# taz.de -- Neues Schulfach in NRW: Wirtschaft macht Hochschule | |
> Für den Wirtschaftsunterricht will NRW-Schulministerin Gebauer die | |
> Lehramtsausbildung umstellen. Dabei stößt sie auf Widerstand. | |
Bild: NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) | |
Berlin taz | Nordrhein-Westfalen streitet mal wieder über das Fach | |
Wirtschaft, das seit diesem Schuljahr erstmals in allen weiterführenden | |
Schulen auf dem Stundenplan steht. Aktuell sorgt für Unruhe, wer es künftig | |
unterrichten darf. Geht es nach dem Willen der schwarz-gelben | |
Landesregierung, die das Fach schrittweise eingeführt hat, müssen | |
Lehrer:innen dafür künftig einen Studiengang namens „Wirtschaft-Politik“ | |
abschließen statt wie bisher „Sozialwissenschaften“. | |
Dafür sollen die Hochschulen die Lehramtsausbildung entsprechend umstellen. | |
Das sieht ein Entwurf aus dem Schulministerium vor, den das Kabinett | |
demnächst beschließen und dem Landtag vorlegen will. Was das für die | |
Schulen bedeutet, hat der zuständige FDP-Staatssekretär Mathias Richter | |
bereits zum Schulstart im August klargestellt: „Lehramtsstudierende, die | |
das Fach Sozialwissenschaften studieren, erwerben künftig nicht automatisch | |
eine Lehrbefähigung für das Fach Wirtschaft-Politik“, sagte Richter in der | |
Wirtschaftswoche. | |
Im Herbst 2021 könnten erste Studierende mit dem „neu profilierten | |
Lehramtsfach“ beginnen, heißt es im Schulministerium in Düsseldorf. Dann | |
könnten 2026 die ersten fertigen Wirtschaftslehrer:innen an die | |
Schulen kommen. Bis dahin dürften die Lehrer:innen, die | |
Sozialwissenschaften studiert haben und die aktuell den neuen | |
Wirtschaftsunterricht abdecken, „natürlich vertretungsweise“ unterrichten, | |
so der FDP-Politiker. | |
Äußerungen, die bei den 9.605 „Sowi“-Lehrer:innen im Land Fragen aufwerfe… | |
Müssen sie sich jetzt fortbilden? Von einjährigen Zertifikatskursen war | |
zwischenzeitlich die Rede. Und: Geht die angestrebte Fokussierung auf mehr | |
„ökonomische Bildung“ zulasten des Politik-Anteils? Auch Ferdinand | |
Burghardt, der im Ruhrgebiet seit mehr als 30 Jahren Sozialwissenschaften | |
unterrichtet, ist skeptisch. | |
Kritik an FDP-Ambitionen | |
Bisher habe es gut funktioniert, Schüler:innen bei Wirtschaftsthemen | |
auch die sozialen und politischen Folgen zu vermitteln. Ob das nach der | |
Umstellung des Studiums auch noch so ist, bezweifelt er. „[1][Die FDP will | |
das Fach umkrempeln]“, glaubt Burghardt. Dass Lehrer:innen mit dem | |
bisherigen Sozialwissenschaftsstudium nicht für das Fach qualifiziert sein | |
sollen, hält er für eine „Frechheit“. Wer den Kapitalismus nicht aus einer | |
sozialwissenschaftlichen Perspektive hinterfrage, mache einen Fehler. Wie | |
wichtig das sei, zeigten aktuell die Coronakrise oder der Brexit. | |
Auch die betroffenen Lehramtsstudierenden kritisieren die Pläne. | |
Sowi-Absolvent:innen würden durch den neuen Studiengang Kompetenzen | |
abgesprochen. Sie stünden später in Konkurrenz mit den Absolvent:innen | |
des Faches Wirtschaft-Politik, heißt es in einer Petition an | |
[2][Schulministerin Yvonne Gebauer] (FDP), die mittlerweile mehr als 35.000 | |
Menschen unterschrieben haben. | |
Selbst Studierende, die bei der CDU Mitglied sind, halten die Reform für | |
„fatal“, sollten gesellschaftliche Aspekte im neuen Studiengang fehlen. Ein | |
Fachverband für politische Bildung mahnte kürzlich in einem Brandbrief, | |
dass durch die Lehramtsumstellung die ohnehin wenigen „politischen Studien- | |
und Bildungsinhalte immer weiter verdrängt“ würden. Ähnliche Bedenken | |
äußerten Vertreter:innen der Oppositionsparteien. | |
Der breite Unmut hat das Schulministerium offenbar veranlasst, vor wenigen | |
Tagen „klarstellende Erläuterungen“ zur „aktuellen Debatte“ zu | |
veröffentlichen. Darin garantiert Gebauer den Sowi-Lehrer:innen nun, dass | |
sie ihre Lehrbefugnis für das Fach Wirtschaft-Politik behalten werden. Eine | |
weitere Qualifizierung sei „nicht notwendig“. | |
Fraglich bleibt hingegen, wie schnell die Hochschulen im Land den neuen | |
Studiengang einführen können. Die Landesrektorenkonferenz hält den Zeitplan | |
der Landesregierung für ambitioniert. Bisher, sagte Geschäftsführer | |
Sebastian Kraußer der taz, gebe es für das geplante Fach | |
„Wirtschaft-Politik“ nicht mal bundesweite Standards. Sollte der Landtag | |
den Plänen für das neue Studium zustimmen, hätten die Universitäten mit der | |
Ausarbeitung aber noch vier Jahre Zeit. | |
Lehrer Burghardt hofft auf die nächsten Landtagswahlen. Bereits 2010 hatte | |
Schwarz-Gelb ein Pilotprojekt zum Fach Wirtschaft an Realschulen gestartet | |
– es wurde von der rot-grünen Folgeregierung zurückgedreht. | |
3 Feb 2021 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
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