# taz.de -- Medien in Belarus: Festnahmen wie am Fließband | |
> Diese Woche gab es landesweit Razzien gegen belarussische | |
> Journalist*innen. Janka Belarus erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. | |
> Folge 63. | |
Bild: Einsatzkräfte konfiszieren am Dienstag Materialien aus einem Büro des J… | |
Am Dienstag, den 16. Februar um 7.25 Uhr wurde an der Wohnungstür des | |
stellvertretenden Vorsitzenden des Belarussischen Journalistenverbandes | |
(BAJ), Boris Goretzki, Sturm geklingelt. Man drohte, die Tür einzuschlagen, | |
um in die Wohnung zu gelangen. Als Boris öffnete, sagte ihm der Vertreter | |
der Einsatzkräfte: „Hände hinter den Rücken!“ Aber da seine drei Kinder … | |
der Wohnung waren, verlief nach Worten von Boris die Durchsuchung „relativ | |
gemäßigt“. | |
Durchsucht wurde aber alles, sogar der Mülleimer und der Kühlschrank. | |
Konfisziert wurden ein Laptop, Mobiltelefone und das wenige vorhandene | |
Bargeld. Die Razzia dauerte drei, vier Stunden und wurde vom belarussischen | |
Untersuchungskomitee durchgeführt. | |
Dann kam die Information, dass „Gäste“ zum BAJ-Vorsitzenden Andrei Bastunez | |
und seinem Stellvertreter, dem Anwalt des Verbandes, Oleg Agejew, gekommen | |
waren. Schließlich nahmen sie Andrei mit und fuhren ihn zur Durchsuchung | |
des BAJ-Büros. Es gab übrigens keine Informationen über die Gründe, die zu | |
Bastunez' Festnahme geführt hatten. | |
Zeitgleich gab es Razzien bei Mitarbeitenden der unabhängigen | |
Menschenrechtsorganisation Wjasna und bei freien Journalist*innen, die zum | |
Freundeskreis des BAJ gehören, nicht nur in Minsk, sondern auch in Mogilew, | |
Gomel, Masyr, Swetlogorsk, Witebsk, Brest – insgesamt über 40. | |
Es war ein massiver Angriff auf die Pressefreiheit und die Verteidigung der | |
Menschenrechte, während in den Gefängnissen aktuell [1][256 anerkannte | |
politische Gefangene einsitzen]. Und am selben Tag ein neuer Prozess (es | |
fällt schwer, das noch Prozess zu nennen) gegen die Journalistinnen des | |
TV-Senders Belsat, Katarina Andrejewa und Darja Tschulzowa, beginnt, der | |
uns darüber nachdenken lässt, ob man der Presse so einfach den Mund | |
verbieten will. Darf niemand mehr wahrheitsgemäß darüber berichten, was | |
wirklich passiert? | |
Übrigens kamen viele Menschen zur neuen Gerichtsverhandlung gegen die | |
Belsat-Journalistinnen zur Unterstützung der Angeklagten, aber nicht alle | |
wurden in den Gerichtssaal gelassen. Einlass erhielten Anwält*innen, | |
Angehörige und, natürlich, Vertreter*innen staatlicher und russischer | |
Medien. | |
Am Mittwoch wurde der Fall von Viktor Babariko (oppositioneller | |
Präsidentschaftskandidat; Anm. d. Redaktion) verhandelt – auch hier wurden | |
unabhängige Journalist*innen nicht in den Gerichtssaal gelassen, wie | |
man bereits im Vorfeld von offizieller Seite hatte erfahren können. | |
Es ist schon komisch, dass alle Vorwände für die massenhaften Razzien, | |
Durchsuchungen und Festnahmen ausgedacht sind. | |
Bei der angeblichen Suche nach Zahlungsnachweisen für die Arbeit des | |
Vorsitzenden sowie des Juristen des Journalistenverbandes BAJ wurden | |
Zahlungen „in Umschlägen, durch Kryptowährung und durch Bankkarten, die von | |
Banken in Polen, den baltischen Ländern und der Ukraine ausgestellt worden | |
waren“ gefunden – wie es auf dem Kanal der regierungsnahen | |
Journalistenvereinigung hieß, aus der alle meine Kolleg*innen, denen ich | |
noch die Hand geben mag, schon lange ausgetreten sind. | |
Swetlana Tichanowskaja hat die Vorgänge in ihrem Telegram-Kanal | |
kommentiert: „Auf der Suche nach Verbrechern sollte man in den Büros der | |
OMON (Sonderpolizei; Anm. d. Redaktion) und all derer nachschauen, [2][die | |
für die Repressionen verantwortlich sind]. Das ist eine echte Staatskrise, | |
denn dadurch, dass es sich an der Macht festkrallt, unterdrückt das Regime | |
sogar diejenigen, die die Rechte der Menschen verteidigen. Und solange das | |
passiert, sind alle Belaruss*innen in Gefahr. [3][Lukaschenko sammelt | |
so selbst Material für das internationale Tribunal gegen sich und seine | |
Gefolgsleute].“ | |
Und die Versuche, ein Informationsvakuum um diese absurden Ereignisse | |
entstehen zu lassen, sind nutzlos. Der deutsche Journalisten-Verband (DJV) | |
ruft die deutsche Regierung und die internationale Gemeinschaft dazu auf, | |
sich endlich in die Angelegenheiten der belarussischen Machthaber | |
einzumischen. „Mit dieser Aktion ist ein neuer trauriger Höhepunkt der | |
Schikanen gegen Journalistinnen und Journalisten erreicht. Die | |
internationale Gemeinschaft darf nicht mehr länger tatenlos dabei zusehen, | |
wie die Pressefreiheit und die anderen demokratischen Grundrechte in | |
Belarus mit Füßen getreten werden“, fordert DJV-Bundesvorsitzender Frank | |
Überall. | |
Es ist für uns alle Zeit aufzuwachen. Ich selbst wurde jetzt gefragt: | |
„Janka, hast Du keine Angst?“ Ich habe Angst, denn ich bin ausländische | |
Agentin und dies ist eine „Reportage unter dem Strang geschrieben“ (Titel | |
eines Buches, das der kommunistische Schriftsteller Julius Fučík 1942 in | |
Gestapohaft schrieb, bevor er ein Jahr später in Berlin-Plötzensee | |
hingerichtet wurde; Anm. d. Redaktion). Aber mein Wort ist frei! Und | |
dahinter ist die Wahrheit! | |
Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey] | |
18 Feb 2021 | |
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## AUTOREN | |
Janka Belarus | |
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