| # taz.de -- Italiens neue Regierung: Populisten, die Maske tragen | |
| > Italien wird von einer EU-freundlichen (fst) Allparteienkoalition | |
| > regiert. Matteo Salvinis Lega ist auch dabei. Ist der | |
| > Anti-EU-Rechtspopulismus tot? | |
| Bild: Kann sich neuerdings mit der Maske anfreunden: Lega-Chef Matteo Salvini | |
| Die Maske? Ich habe sie nicht und trage sie auch nicht!“ Das war Matteo | |
| Salvini im Juli bei einem Kongress „Covid-kritischer“ Expert:innen im | |
| italienischen Senat. Als er aber vor einigen Tagen vor die Kameras trat, um | |
| zu sagen, [1][dass seine Lega bereit sei, Mario Draghis Regierung zu | |
| unterstützen], trug er sie doch – eine blaue Maske mit einer kleinen | |
| italienischen Fahne. | |
| Auch die Worte, die etwas dumpf durch die Maske drangen, klangen anders. Er | |
| wetterte nicht – wie gewohnt – gegen kriminelle Migrant:innen und | |
| Brüsseler Bürokraten. Er sprach über Impfungen und den Arbeitsmarkt. „Wir | |
| sind in Europa. Unsere Kinder wachsen in Europa auf“, ertönt es durch den | |
| Mundschutz. Vor wenigen Monaten – als er noch mundschutzfrei sprach, hieß | |
| es: „Zuerst besiegen wir das Virus. Dann sind wir raus aus der EU.“ | |
| Es ist [2][denkbar, dass Salvini seine Fehler der Vergangenheit eingesehen | |
| hat] und nun eine Versöhnung mit jener EU sucht, die er vor Kurzem noch | |
| „Nest der Schlangen und der Schakale“ nannte. Dass er es ernst meint, haben | |
| seine Fraktionsfreunde von AfD, FPÖ und Ressemblement National am Dienstag | |
| im Europäischen Parlament gespürt, als die Lega als einzige Partei aus der | |
| Fraktion für den „Recovery-Plan“, den Wiederaufbauplan der EU, gestimmt | |
| hat. | |
| Einige Politinsider gehen so weit, zu sagen, dass die Lega bald die | |
| Fraktion im EU-Parlament verlassen wird, um sich der Europäischen | |
| Volkspartei (EVP) anzuschließen. Damit würden die Italiener der Lega und | |
| von Berlusconis Forza Italia die CDU/CSU als stärkste Gruppe in der | |
| Fraktion ablösen – eine Strategie, an der Berlusconi offenbar schon seit | |
| Langem arbeitet. | |
| ## Draghis Regierung weckt Hoffunungen | |
| Ob die Europaabgeordneten der CDU/CSU gerne in den eigenen Reihen Kollegen | |
| wie Angelo Ciocca willkommen heißen würden, der kürzlich vorgeschlagen hat, | |
| die Corona-Impfungen nach dem „Wert“ einzelner Menschen zu verteilen, ist | |
| fraglich. Sicher ist: Draghis Regierung weckt im Moment große Hoffnungen – | |
| Lega hin oder her. Alle Spitzenpolitiker:innen Europas haben dem | |
| neuen Premierminister in hohen Tönen gratuliert. Angela Merkel sagte, | |
| Italien und Deutschland würden nun gemeinsam für ein starkes, geeintes | |
| Europa arbeiten können. Auf den Finanzmärkten sind Italiens Staatsanleihen | |
| so beliebt wie lange nicht mehr. | |
| Alles gut also? | |
| 180-Grad-Wenden wie die Salvinis sind in Italien – der Heimat des | |
| trasformismo (des ständigen Wandels) – nichts Neues. Den Journalist*innen, | |
| die ihn mit seinen Widersprüchen konfrontieren, antwortet Salvini mit einem | |
| schelmischen Lächeln. Denn er weiß: Die Lega hat sich nicht den Brüsseler | |
| Bonzen unterworfen. Sie wird vielmehr von ihnen gebraucht. Die Lega ist | |
| laut Umfragen mit etwa einem Viertel der Wähler:innenstimmen die | |
| stärkste Partei Italiens. Sie regiert in 11 von 20 Regionen – insbesondere | |
| im reichen Norden. Ja – sagen die Insider – Salvini mag gerne auf den Putz | |
| hauen und Dinge über die EU und Einwanderer:innen sagen, die in | |
| Europa nur von Rechtsextremen zu hören sind. Doch in diesen Regionen ist | |
| die Lega in erster Linie die Partei der Unternehmer:innen, die | |
| Migrant:innen beschäftigen und die EU als Spielfeld wichtiger | |
| internationaler Geschäftsbeziehungen sehen. | |
| Genau diese Unternehmer:innen sind für die neue Regierung strategisch | |
| wichtig: In zwei Monaten soll das Kündigungsverbot auslaufen, das die | |
| Conte-Regierung vor etwa einem Jahr verabschiedet hat, um die Auswirkungen | |
| der Pandemie auf den Arbeitsmarkt zu lindern. Wenn sich Regierung und | |
| Unternehmer:innen nicht einigen können, könnte es zu | |
| Massenentlassungen kommen. | |
| ## Salvini will zurück ins Rampenlicht | |
| Und Salvini weiß auch etwas anderes: Keine Partei oder Koalition hat | |
| derzeit eine ausreichende Mehrheit, um allein zu regieren. Seitdem er und | |
| seine Partei 2019 aus der Regierungskoalition ausschieden, sind seine | |
| Popularitätswerte deutlich gesunken. Jetzt hat er die Chance, wieder als | |
| Protagonist im Rampenlicht zu stehen. | |
| Die Beteiligung an Draghis Regierung hat seiner Partei laut Umfragen | |
| bislang nicht geschadet. Es ist möglich, dass er mittelfristig einige | |
| Wähler:innenstimmen an die konkurrierende rechtsextreme Partei Brüder | |
| Italiens von Giorgia Meloni – der einzigen großen Oppositionspartei – | |
| verlieren wird. Damit kann er leben. Denn seine Regierungsbeteiligung | |
| schadet viel mehr seinen Hauptrivalen: der Fünf-Sterne-Bewegung und – vor | |
| allem – der Demokratischen Partei, die jetzt eine Partnerschaft mit einer | |
| Partei eingeht, die sie bislang als „Gefahr für die liberale Demokratie“ | |
| bezeichnet hat. | |
| [3][Dabei zeigt Salvini wieder sein Gespür für den Zeitgeist]: In weiten | |
| Kreisen der italienischen Politik hat sich im vergangenen Jahr die Idee | |
| durchgesetzt, dass in Krisenzeiten parteipolitische Einstellungen nur eine | |
| Nebenrolle spielen sollen. Es ist die Zeit der Verwalter:innen, nicht der | |
| Politiker:innen. | |
| Dennoch: Die Idee einer breiten Meinungskoalition, die alle politischen | |
| Kräfte im Namen des Gemeinwohls verbindet, spiegelt sich kaum in der | |
| italienischen Gesellschaft wider. Noch nie waren die Italiener:innen so | |
| extrem in ihren Einstellungen: Das Vertrauen in die Demokratie ist im | |
| Keller. Etwa die Hälfte der Italiener:innen wünscht sich einen „starken | |
| Führer“, der das Land mit eiserner Hand regiert. Weniger als ein Drittel | |
| von ihnen behauptet, der EU zu vertrauen. Etwa die Hälfte von ihnen sieht | |
| Migrant:innen als Gefahr. | |
| Was wird zum Beispiel passieren, wenn im Sommer viele Menschen – Pardon, | |
| „Illegale“, wie Salvini zu sagen pflegt – erneut versuchen, aus | |
| afrikanischen Ländern, die derzeit von der Pandemie in die Knie gezwungen | |
| wurden, nach Italien zu gelangen? Wie wird der selbst ernannte Verteidiger | |
| Europas dann reagieren? | |
| Wenn alles gut geht, werden wir alle im Sommer unsere Masken abnehmen. Auch | |
| Salvini. | |
| 15 Feb 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Fabio Ghelli | |
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