| # taz.de -- Darkrooms in der Pandemie: Kein Licht zu sehen | |
| > Auch queere Lokale mit Darkrooms liegen in der Pandemie brach. Wie steht | |
| > es um die Cruising-Kultur? | |
| Bild: Fürs Porträtbild noch mal in den geschlossenen Club: „Böse Buben“-… | |
| Berlin taz | Berlin gilt als Hauptstadt der Darkrooms. Und diese dunklen | |
| Räumlichkeiten sind nicht nur für ihre engen Gänge bekannt, sondern auch | |
| dafür, dass sich darin nackte, fremde Menschen, meist schwule Männer, ohne | |
| Abstand oder Mundschutz anbahnen und ihre Sexualität frei ausleben. | |
| Seit der Coronapandemie und dem darauf folgenden Lockdown im März | |
| vergangenen Jahres gelten Darkrooms, genau wie Gaststätten, Restaurants | |
| und Kulturbetriebe, als Gesundheitsrisiko – und Betreiber:innen von | |
| Darkroom-Lokalen haben quasi Berufsverbot. | |
| „Ich denke immer nur an meinen Kontostand und weiß nicht, wie wir das noch | |
| länger durchhalten sollen“, sagt Martin Schenk-von Waldow. Er betreibt den | |
| Darkroom- und Cruising-Club [1][Böse Buben] in Schöneberg. Der als Verein | |
| organisierte Club war das letzte Mal vor Beginn der Coronakrise, also im | |
| März vor einem Jahr, geöffnet. | |
| Nach dem ersten Lockdown sah Betreiber Schenk-von Waldow keine Möglichkeit, | |
| ein tragfähiges Hygienekonzept im engen Club umzusetzen. „Ich wollte kein | |
| Superspreader-Event veranstalten“, sagt er. Die Stammgäste kommen eben für | |
| das Gegenteil von Social Distancing und Kontaktreduzierung: „Es wäre | |
| einfach verantwortungslos gewesen, wieder aufzumachen.“ | |
| In der Schwulen-Community hat anonymer Sex Tradition und war lange sogar | |
| notwendig, um staatlicher Verfolgung zu entgehen. Erst 1994 wurde in der | |
| Bundesrepublik der Paragraf 175 gestrichen, der sexuelle Handlungen | |
| zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe stellte. Sex unter | |
| Männern konnte einen ins Gefängnis oder noch früher, während des | |
| Nationalsozialismus, sogar ins Konzentrationslager bringen. Es gab also | |
| lange wenige Möglichkeiten für schwule Menschen, einen Partner zu finden. | |
| Mittlerweile ist das anders und Apps ermöglichen es heute, sich bequem | |
| Sexdates zu organisieren. Lokale mit Darkrooms und Cruising-Orte konnten | |
| sich jedoch bis heute halten und waren stets fester Bestandteil der | |
| Community. | |
| ## Glühwein statt Fetisch | |
| Zwar öffnete das Böse Buben nach dem Lockdown nicht, andere Lokale sperrten | |
| aber über den Sommer mit Hygienekonzept auf. Danach suchten sie nach | |
| weiteren Möglichkeiten, weiterhin für ihre Kunden da zu sein. So setzte das | |
| [2][Woof Berlin] in Tempelhof-Schöneberg in der Vorweihnachtszeit auf | |
| Außer-Haus-Verkauf von heißer Schokolade und Glühwein und verkauft online | |
| Kaffeetassen und Tanktops. | |
| Die Cruising-Bar Greifbar in Prenzlauer Berg machte nach Einführung der | |
| Sperrstunde dicht und verkündet [3][auf ihre Website], dass noch nicht | |
| feststehe, ob der Betrieb weitergeführt werde. Das komme auf die Länge der | |
| Maßnahmen an. Ein Interview lehnte der Betreiber ab. | |
| Thomas Pfizenmaier, der die Fetisch- und Cruising-Bar [4][New Action] in | |
| Berlin-Schöneberg und eine weitere Fetischbar in Hamburg betreibt, fand | |
| zwischen den Lockdowns eine andere Möglichkeit, Umsatz für seinen Betrieb | |
| zu generieren. Gleich nachdem seine Bar nach dem ersten Lockdown wieder | |
| öffnen durfte, beantrage Pfizenmaier eine Nutzungserlaubnis zur | |
| Außengastronomie. | |
| „Mein Lebenspartner hat sich dann in die Küche gestellt und Kuchen | |
| gebacken“, sagt er. Er wolle nicht auf Spenden setzen und so servierte er | |
| zwischenzeitlich in seinem Pop-Up-Café Corinna tagsüber Kaffee und Kuchen, | |
| obwohl die Fetischbar sonst immer nur nachts geöffnet war. Eine | |
| Zwischenlösung für den Sommer, die aber nicht mehr viel mit Fetisch, | |
| Darkroom oder Sex zu tun hat. | |
| ## Bürokratie und Existenzsorgen | |
| „Ich schlafe seit der Krise nur noch schlecht“, erzählt Martin Schenk-von | |
| Waldow vom Böse Buben. Seit März finanziere sich der Club unter anderem | |
| durch private Spenden, die auf der Homepage des Clubs aufgelistet sind. Die | |
| Beträge schwanken von Monat zu Monat teilweise stark. Daneben halte sich | |
| der Club mit Coronahilfen und einer kurzzeitigen Untermiete über Wasser. | |
| So halte der Lounge-Bereich des Clubs derzeit als Werkstatt eines | |
| Mitarbeiters her. In der Zwischenzeit versucht Schenk-von Waldow, überall | |
| zu sparen, wo es nur geht: „Obwohl der Club zu ist, habe ich so viel Arbeit | |
| wie noch nie.“ Das bestätigt auch Thomas Pfizenmaier beim Telefongespräch | |
| mit der taz. „Obwohl der Laden dicht ist, schlage ich mich täglich Stunden | |
| mit Versicherungskram herum, beantrage Mietminderung oder telefoniere mit | |
| der Bank, die mich darauf hinweist, dass mein Geschäftskonto überzogen | |
| ist.“ | |
| Da die beantragten Coronahilfen lediglich für betriebliche Kosten genutzt | |
| werden dürfen, lebe er als Barbetreiber schon seit März von seinen | |
| Ersparnissen: „Ich brauche mittlerweile seit fast einem Jahr meine | |
| selbstersparte Rente auf.“ Derzeit denke er aber noch nicht ans Aufgeben, | |
| obwohl die Verluste immer größer werden und seine Vermieter:innen ihm | |
| anscheinend nicht entgegenkommen: „In Hamburg gab es während der Krise | |
| sogar eine Mieterhöhung.“ | |
| Doch nicht nur das, Schenk-von Waldow vom Böse Buben geht davon aus, dass | |
| sich die Coronakrise auch langfristig auf die Cruising- und | |
| Darkroom-Kultur in Berlin auswirken werde: „Die Pandemie führt dazu, dass | |
| sich noch mehr ins Netz und ins Private verlagert.“ | |
| Pfizenmaier vom New Action denkt ebenfalls, dass sich viele schwule Männer | |
| während der Pandemie Schutzräume im Privaten suchen. Dort werden aber, | |
| anders als im New Action, weder Namen, Meldeadressen oder Ankunfts- und | |
| Ausgangszeit vermerkt. „Wenn sich zig Männer über Online-Plattformen zu | |
| Hause verabreden und etwas passiert, kann dieses potentielle | |
| Infektionsgeschehen weder kontrolliert noch nachverfolgt werden.“ | |
| Darkroom-Bars in Berlin hatten in den letzten Jahren bereits vor der | |
| Pandemie immer wieder mit Problemen zu kämpfen. So wurden 2018 mehrere | |
| Darkrooms im Schöneberg aufgrund bauordnungsrechtlicher Bestimmungen durch | |
| die Behörden geschlossen. | |
| Das polizeiliche Einschreiten, mitten in der Nacht, wurde damals von vielen | |
| Seiten als unverhältnismäßig wahrgenommen. Die erhöhte Aufmerksamkeit der | |
| Behörden lag wohl auch daran, dass nur ein Jahr zuvor, 2017, drei Besucher | |
| bei einem Brand in der Schwulensauna Steam Works in der Kurfürstenstraße | |
| ums Leben kamen. | |
| Zwar wurden in der Zwischenzeit alle Lokale mit Darkroom behördlich | |
| genehmigt und konnten wieder öffnen, ob die Lokale die Pandemie aber | |
| überstehen, wird sich erst noch zeigen. Pfizenmaier geht aktuell zumindest | |
| davon aus, dass das New Action nach der Krise wieder für seine Kunden | |
| öffnen wird. „Ich hoffe, dass sich die schwule Community nach der Pandemie | |
| darauf besinnt, wer ihnen über das Jahr hinweg die Stange gehalten hat“, | |
| sagt er. | |
| Seine Bar sei nicht einfach nur ein gastronomischer Betrieb, sondern diene | |
| wie alle anderen queeren Lokale als wichtiger Schutzraum für schwule | |
| Subkulturen: „Wir sind systemrelevant für den Erhalt schwuler Kultur, | |
| Lebensformen und alternativer familiärer Verhältnisse.“ | |
| 10 Feb 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.boese-buben-berlin.de/spenden.html | |
| [2] https://www.woof-berlin.com/ | |
| [3] https://www.greifbar.com/ | |
| [4] http://www.newactionberlin.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Steven Meyer | |
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