| # taz.de -- Erinnerung an Whistleblower: Zensierter wird Chinas KP-Held | |
| > In Wuhan warnte Li Wenliang als erster vor dem neuen Coronavirus. Dem | |
| > Arzt wurde das verboten und er starb. Jetzt dient der Tote der Ehre der | |
| > KP. | |
| Bild: Li Wenliang einen Tag vor seinem Tod am 7. Februar 2020 | |
| Peking taz | Wer dieser Tage das Zentralkrankenhaus in Wuhan besucht, | |
| erlebt eine Stadt in vollständiger Normalität: Sicherheitsbeamte überprüfen | |
| am Eingang des Spitals die „Gesundheitscodes“ auf den Smartphones der | |
| Besucher, gegenüber bieten Ecklokale heiße Nudeln mit Sesampaste an. Nichts | |
| erinnert mehr daran, dass hier genau vor einem Jahr Li Wenliang seiner | |
| Corona-Erkrankung erlag. Auf seinem Weibo-Account, einer Art chinesischem | |
| Twitter, gedenken jedoch unzählige Internetnutzer dem einstigen Augenarzt. | |
| „Die Geschichte und das Volk wird dich niemals vergessen!“, schreibt ein | |
| User. Ein anderer meint: „Du lebst für immer in den Herzen der Chinesen.“ | |
| Als „Whistleblower-Arzt“ erlangte der 33-Jährige internationale | |
| Berühmtheit. Dabei wäre die Zuschreibung couragierter Bürger wohl | |
| treffender. Denn letztendlich hatte Li nur seine Studienkollegen aus der | |
| Universitätszeit warnen wollen: In einer privaten Wechat-Gruppe schrieb er, | |
| dass sich in seinem Krankenhaus Patienten mit Sars-ähnlichen Symptomen | |
| häufen würden, und riet zur Vorsicht. Wochen, bevor die Behörden die | |
| Existenz des neuen Lungenerregers zugaben, schien Ärzten der Stadt [1][die | |
| Ernsthaftigkeit der Lage] bereits klar. | |
| Doch als Li Wenliangs Warnung von einer unbekannten Person verbreitet | |
| wurde, lud ihn der Sicherheitsapparat zum Gespräch und zwang ihn, ein | |
| sogenanntes Schweigeabkommen zu unterzeichnen. Zudem wurde gegen Li wie | |
| einen gewöhnlichen Kriminellen ermittelt. Strafbestand: „Verbreitung von | |
| Gerüchten. | |
| Ihn nun zum Freiheitskämpfer hochzustilisieren, wegen dessen Taten die | |
| Coronapandemie weltweit hätte verhindert werden können, greift zu kurz. | |
| Denn wer in Wuhan mit Bürgern spricht, erfährt schon bald, dass nicht | |
| wenige Chinesen längst von dem Lungenerreger wussten, ehe der Zensur die | |
| Information für die staatlich kontrollierten Medien freigab. Nur wenige | |
| trauten in jenen Tagen dem offiziellen Narrativ. | |
| ## Gescheiterte Vertuschung | |
| Als wahrscheinlich gilt, [2][dass die Behörden nach Aufkommen des | |
| Coronavirus zunächst mauern wollten] und hofften, das Problem unter den | |
| Teppich kehren zu können – aus Angst vor negativen Auswirkungen auf die | |
| eigenen Parteikarrieren. | |
| Li jedoch infizierte sich bei der Behandlung von Coronapatienten und erlag | |
| am 7. Februar dem Virus. Nach seinem Tod entlud sich all der Frust in den | |
| sozialen Medien – umso mehr noch, da viele Kommentare zunächst von der | |
| Zensur gelöscht wurden. Unter einem Hashtag forderten Tausende Nutzer | |
| Pressefreiheit, andere sprachen von der Verlogenheit des Systems. | |
| Nachhaltig war der [3][Aufschrei] jedoch nicht. Langjährigen | |
| China-Beobachtern war klar, dass die Wut allmählich abebben würde. Dabei | |
| gab es eine unerwartete Wendung: Anstatt Berichte über Li weiter zu | |
| zensieren, wurde er vielmehr von der offiziellen Propaganda einverleibt. | |
| Die Staatsführung verlieh ihm Medaillen und erklärte ihn zum „Held der | |
| Nation“ – stets mit der Betonung darauf, dass er ein Mitglied der | |
| Kommunistischen Partei sei. Durch diesen Spin konnte sie Li Wenliang quasi | |
| für ihre Zwecke nutzen. | |
| ## Heldengeschichte lässt keinen Platz für Kritik | |
| An einer aufrichtigen Aufklärung ist die Staatsführung keineswegs | |
| interessiert: Offiziell nämlich stilisiert Staats- und Parteichef Xi | |
| Jinping Chinas Kampf gegen Covid zur reinen Heldengeschichte hoch, die | |
| keinen Platz für Kritik und Selbstreflexion lässt. Wer Zweifel daran sät, | |
| bekommt die Härte der Staatsmacht zu spüren. | |
| Die 37-jährige Videobloggerin Zhang Zhan, die zu Beginn des letzten Jahres | |
| die chaotische Realität Wuhans mit der Kamera ihres Smartphones | |
| dokumentiert hat, wurde unlängst zu vier Jahren Haft verurteilt. Zwei | |
| weitere Bürgerjournalisten befinden sich nach wie vor in Hausarrest. Und | |
| von Fang Bin, dessen heimliche Aufnahmen aufgestapelter Leichen vor einem | |
| Krankenhaus in Wuhan von Fernsehsendern weltweit ausgestrahlt wurden, fehlt | |
| bis heute jede Spur. | |
| Und auf einer offiziellen Ausstellung in Wuhan über die Covidpandemie heißt | |
| es, man habe den Kampf gegen sie „zum frühestmöglichen Zeitpunkt“ | |
| eingeleitet. Dass Li Wenliang hingegen zum Schweigen verdonnert wurde, wird | |
| mit keinem Wort erwähnt. Sein zweiter Sohn kam im Juni 2020 zur Welt, vier | |
| Monate nach seinem Tod. | |
| 7 Feb 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Fabian Kretschmer | |
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