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# taz.de -- Nach dem Klubsterben: Eine Dystopie: Rentnerdisco auf dem Kiez
> Als erstes geschlossen, zuletzt geöffnet: Klubs kämpfen in der Pandemie
> ums Überleben. Was mit der Reeperbahn passieren könnte, wenn sie sterben.
Bild: Schöne Erinnerung: Früher durfte man tanzen, dicht an dicht
Hamburg, 23. Januar 2022.
Ein Plakatrest, die Schrift muss einmal neonpink gewesen sein, hängt an
einer Wand und flattert leicht im Wind. Am Gebäude gegenüber sind die
Fenster mit Brettern vernagelt. Jemand hat mit schwarzer Farbe „Ihr habt
uns auf dem Gewissen“ auf das Holz gesprüht. „Heul doch“, steht in
krakeliger Schrift daneben.
Es ist still geblieben rund um die Große Freiheit. Fast alle Klubs auf der
Hamburger Reeperbahn mussten dicht machen nach der vierten Verlängerung des
Lockdowns. Heute geht nur eine kleine Gruppe Feierfreudiger an den
schmutzig-blauen und grauen Igluzelten vorbei, die hier überall in den
Straßen des Viertels stehen.
Wie Pilze sind sie aus dem Boden geschossen, als die Obdachlosen nach dem
Auslaufen des Räumungsschutzes immer mehr wurden. Da sie trotz der
Innenstadtnähe auf dem Kiez nun wirklich niemanden mehr stören, dürfen sie
bleiben. Es gibt am Hans-Albers-Platz seit Kurzem sogar drei Dixieklos, was
die hygienischen Zustände enorm verbessert hat.
## Aus der Olivia-Jones-Bar scheint Licht
Eine der Feiernden hat die grauen Haare zu einem neckischen Pferdeschwanz
gebunden. Der Mann neben ihr hat seine Lackschuhe, das muss man neidlos
anerkennen, auf Hochglanz poliert. „Aber dreh mich nicht wieder zu sehr,
Hans-Egon“, sagt sie. „Die Hüfte?“, antwortet er. Sie nickt und schaut d…
wieder in Richtung Olivia-Jones-Bar. Dem letzten Laden, aus dem Licht auf
diese gottverlassene Straße scheint.
[1][Die Travestiekünstlerin] hat sich auf die neue Zielgruppe eingestellt.
Es dröhnen nun abwechselnd Helene Fischer und Roland Kaiser aus den Boxen.
Feiern gehen kann nur, wer geimpft ist, und das sind wegen einiger
Lieferschwierigkeiten der Pharmaunternehmen und klitzekleiner
Termin-Fauxpas der Gesundheitsbehörde vor allem die 60- bis 90-Jährigen –
und natürlich das Pflegepersonal, aber die sind nach den harten Monaten zu
erschöpft zum Tanzen.
Noch übler als die Große Freiheit hat es den Hamburger Berg getroffen.
Reihten sich dort vor der Pandemie kleine Bars und Klubs wie auf einer
Schnur auf, sind nun die Fenster mit einer einheitlichen Folie verdunkelt
und die Zwischenwände herausgerissen. Auf der Straße parken dicht an dicht
schwarze Lastwagen mit gelbem Logo, aber auch ein paar imageförderliche
Lastenräder.
Amazon hat die komplette Straße gekauft, Tresen herausgerissen, Barhocker
entsorgt und ein großes neues Hamburger Lager errichtet, besonders nah und
umweltschonend an den Endkund:innen. Die exponentiell gestiegenen
Onlinebestellungen können so innerhalb von zweieinhalb Stunden nach dem
Klick ausgeliefert werden. „Davon profitiert die ganze Stadt!“, verkündet
der rot-grüne Senat mit einem Ausrufezeichen in einer Pressemitteilung.
## Nachnutzung für den Mojo Club
Und es gibt weitere großartige Neuigkeiten: Aus der Hamburger Kulturbehörde
heißt es, dass auch für den Mojo Club eine Nachnutzung gefunden wurde – in
Zusammenarbeit mit einem vielversprechenden Start-up aus Melle bei
Osnabrück, sehr jung und hip.
Auf der früheren [2][Tanzfläche des Mojo Club] werden ein mal ein Meter
große Light-and-Sound-Cabins aufgestellt. Inklusive Surround Sound und
Video, auf dem man die Dancenden in den anderen Kabinen sehen kann. „Party
und Infektionsschutz zusammen gedacht“, sagt der Kultursenator mit einem
gewissen Stolz in der Stimme. Das könne sogar ein Vorbild für Klubs in
Berlin werden.
Vor allem aber kehre nun „der Spaß auf den Kiez zurück“.
24 Jan 2021
## LINKS
[1] /Olivia-Jones-zum-50-Geburtstag/!5638951
[2] /Mojo-Gruender-Leif-Nueske-ueber-Clubkultur/!5630409
## AUTOREN
Andrea Maestro
## TAGS
Reeperbahn
Kiez
Hamburg
Party
Dystopie
Schwerpunkt Coronavirus
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