| # taz.de -- Bundesdeutsche Zukunftspolitik: Merkel-Mitte ohne Merkel | |
| > Die Zukunft wird nicht „grün“ oder „schwarz“. Hat Sie vielleicht am | |
| > richtigen Ort bereits begonnen, nämlich im überparteilichen | |
| > Bundeskanzleramt? | |
| Bild: Ob „grün“ oder „schwarz“ – Hauptsache nicht so schlecht gelaunt | |
| Im Frühsommer waren wir die Größten, jetzt sind wir die Allerletzten. | |
| Beziehungsweise Letzteres sind nicht wir, sondern die für die Coronapolitik | |
| Verantwortlichen. Das ist die überzeichnete Lage, wie sie auch von einem | |
| Teil der Qualitätsboulevardmedien skizziert wird. Wenn man darauf hinweist, | |
| wie in dieser Woche der baden-württembergischen Ministerpräsident in einer | |
| Fernsehgesprächssendung, dann wird die Aufregung noch größer. Jetzt gibt | |
| der auch noch Kontra, statt im Büßerhemd die Schnauze zu halten: Unerhört! | |
| Selbstverständlich muss man die Probleme benennen und lösen: die mit der | |
| Impfstoffbeschaffung, mit den Impfterminen, mit den Schulen, mit der EU, | |
| mit dem Föderalismus, mit den verschiedensten Strukturen. Es gibt absurde | |
| Rückständigkeiten in diesem reichen, geilen Land, manche Leute sind | |
| wirklich am Ende – und vor allem sterben täglich Menschen an Covid-19. | |
| Aber es handelt sich bisher nicht um politisches Totalversagen, sondern die | |
| Pandemie überfordert einfach alle – Menschen, Institutionen, Entscheidungs- | |
| und Handlungsabläufe. Wenn es mit dem bewährten business as usual nicht | |
| mehr geht, dann ist man bei trial and error. Das wird aber künftig öfter | |
| vorkommen. Hysterie nutzt nur demokratiefeindlichen Populisten. | |
| Deshalb wäre es auch zu kurz gedacht, den Grünen vorzuwerfen, sie seien zu | |
| regierungsfreundlich und staatstragend. Wenn man für eine ordentliche | |
| Zukunft der Gesamtgesellschaft in die Verantwortung gehen können will, dann | |
| kann man nicht daherkläffen wie ein routiniert-struppiger | |
| Oppositionsdackel, der Kreuzberger Minderheiten bedienen oder dringend | |
| einen populistischen Beifanggewinn von 1 bis 2 Prozent machen muss. | |
| ## Gott ist tot, Marx auch | |
| Im Übrigen gibt es kein grünes Parteiprogramm für Pandemien, genauso wenig | |
| wie ein sozialdemokratisches oder konservatives. Und so ist es auch mit den | |
| meisten großen Zukunftsfragen. Will sagen: Die Zukunft wird bestimmt nicht | |
| „grün“ und auch nicht so, wie es CDU-Funktionäre gerne hätten. Gott ist | |
| tot. Und Marx auch. | |
| Vielleicht hat diese Zukunft deshalb am richtigen Ort bereits begonnen, | |
| nämlich im Bundeskanzleramt. Dort regiert seit einigen Jahren eine in | |
| größeren Teilen überparteiliche Kanzlerin, mittlerweile offenbar auch mit | |
| einem ähnlich disponierten Kanzleramtschef Helge Braun. Das sieht zumindest | |
| Robert Habeck so. „Sie achten weniger auf die Wehwehchen der CDU“, sagte | |
| der Grünen-Vorsitzende in dieser Woche. Das gilt für Schwarze Null wie für | |
| Pandemiepolitik. | |
| Das ist das, was Teile der Union so anpisst – was Angela Merkel ab 2016 in | |
| der eigenen Partei geschwächt hat, aber wodurch sie zur Kanzlerin einer | |
| parteiübergreifenden Mitte der Gesellschaft geworden ist, die ein weiß Gott | |
| nicht perfekter, aber im weltweiten Vergleich anständiger | |
| gesellschaftsliberaler und emanzipatorischer Konsens eint. Nun kann der | |
| nächste Kanzler, die nächste Kanzlerin nicht so weit weg von der eigenen | |
| Partei agieren wie Merkel auf der Zielgeraden. Aber nach der in die | |
| Retro-Innerlichkeit verschwundenen SPD ist leider auch die CDU zunehmend | |
| von dem Zeitgeistphänomen befallen, sich wehleidig mit jedem Furz im | |
| eigenen Bauch zu beschäftigen, statt mit dem, was draußen ansteht. | |
| Weshalb man unweigerlich auf die Idee kommen muss, Laschet hin oder her, | |
| eine Trennung von CDU und Kanzleramt in Erwägung zu ziehen, wenn man dort | |
| auch ohne Merkel künftig die neue Merkel-Mitte repräsentiert sehen will. In | |
| diesem Fall landet man bei zwei Ironien der Geschichte. Erstens beim | |
| runderneuerten CSU-Ministerpräsidenten Markus Söder, der spät, aber nicht | |
| zu spät geschnallt hat, dass das Zentrum bundesdeutscher Zukunftspolitik | |
| nicht rechts sein kann. | |
| Und dann ist man auch schon bei den Grünen und ihren beiden Vorsitzenden. | |
| 31 Jan 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Peter Unfried | |
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