Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Evergreens im Lingo-Diskurs: Das große deutsche Sprach-Gejammer
> Gut zu schreiben heißt nicht, sich dauernd Sorgen um das deutsche Idiom
> zu machen. Denn ohne Wandel verwest die Sprache.
Bild: Der Duden will Personen- und Berufsbezeichnungen gendersensibel überarbe…
Manchmal frage ich mich, wie Deutschland aussähe, wenn es dasselbe
Engagement für den Schutz von Menschen mit Gewalterfahrung gäbe wie jenes
gegen den Fortschritt in der Sprache. Absurd, ich weiß. Pappenheimer werten
rassismus- oder gendersensible Formulierungen und Soziolekte als
gesellschaftlichen Verfall, aber die alltäglichen Drohungen gegen linke
Aktivist_innen, Journalist_innen oder Politiker_innen nicht so.
Erst vor einigen Wochen war das Gejammer groß: Der Duden will Personen- und
Berufsbezeichnungen gendersensibel überarbeiten. Über die Lächerlichkeit
des dazugehörigen Backlashes schrieb meine Kollegin Margarete Stokowski
geduldig und witzig [1][in ihrer Kolumne beim Spiegel].
Durch das Gendersternchen, den -gap oder aber das groß geschriebene Wort
Schwarz (als politische Selbstbezeichnung), heißt es, werde die deutsche
Sprache verhunzt. Dieselbe Sprache, die Vornamen wie Horst, Dörte oder
Gundula beherbergt. Dabei möchte ich niemaus mit diesen Namen beschämen,
nur auf die Verhältnismäßigkeit hinweisen.
Weiterer Evergreen im Lingo-Diskurs: die Empörung über Slang oder
„Internetsprache“. Nicht alle schreiben auf sozialen Medien im Stil einer
Abschlussarbeit oder eines amtlichen Briefs. Manche Leute verzichten auf
Groß- und Kleinschreibung, andere auf Satzzeichen. Ich bin Leute. Dieser
Style als [2][auch das Gendern], meistens mit Gap, gehören zu mir wie meine
randlose Brille, mit der ich deutschen MILFs eine Alternative zu ihren
langweiligen Ehemännern biete. Maus gönnt halt manchmal.
## Boomereske Haltung
So schreibe ich, weil ich Bock drauf hab. Nicht unbedingt aus Protest,
sondern weil es mich nicht juckt, wie es der deutschen Sprache geht. Das
sage ich als Autor_in und als eine Person, die sich mit Linguistik
auseinandersetzt.
Diese reaktionäre, boomereske Haltung gegenüber der deutschen Sprache im
Wandel schützt sie nicht – sie zerlegt sie nur in so unbrauchbare Teile,
dass sie vor sich hin verwest. Sie verhindert nicht nur einen ziemlich
normalen Veränderungsprozess, sondern dämmt das poetische Potenzial ein.
Die Ästhetik oder das Kunstvolle. Gott oder Sky Daddy hat uns das Konzept
von Code-Switching gegeben, damit wir nicht alle paar Jahre darüber
rumopfern müssen, dass junge Leute dumm werden, weil sie Rap hören, mit
Abkürzungen chatten oder Fremdwörter integrieren. Sie halten so die
deutsche Sprache vital.
Vor allem sind soziale Medien eben keine Behördenpapiere und diese wiederum
sollen alle ansprechen, deswegen müssen sie gegendert sein. So richtig
zugänglich sind sie ohnehin nie gewesen, ein paar Sternchen dürften nicht
die Grenze der Barrierefreiheit setzen.
Und wenn die deutsche Sprache doch verfällt? Wäre das schlimm? Vielleicht
führt dieser Schritt zum Verfall des überhöhten deutschen Egos, und wer
weiß, was danach noch so möglich ist.
29 Jan 2021
## LINKS
[1] https://www.spiegel.de/kultur/gendergerechte-sprache-auch-durch-astronautin…
[2] /Debatte-ueber-das-Gendern/!5717519
## AUTOREN
Hengameh Yaghoobifarah
## TAGS
Kolumne Habibitus
Gendergerechte Sprache
Duden
Kolumne Habibitus
Hinz&Kunzt
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Vielfalt
Podcast „Weißabgleich“
## ARTIKEL ZUM THEMA
Beginn des Saturn-Jahres: Der Habibitus-Geburtsstein-Guide
Ein neues astrologisches Jahr beginnt. Wo andere bei Sternchen
hängenbleiben, schauen wir in die Sterne und auf Steine.
Ausgegendert bei „Hinz&Kunzt“: Debatte von vorgestern
Hamburgs Straßenmagazin „Hinz&Kunzt“ will die Zeit zurückdrehen: Die neue
Chefredakteurin möchte das Gendersternchen abschaffen.
Debatte ums „Gendern“: Schluss jetzt!
Wir müssen reden. Über Gewalt gegen Frauen oder deren Altersarmut. Aber
nicht mehr darüber, was Reaktionäre übers Gendern denken.
Sprache, Sex und Gender: Hey, was ist dein Geschlecht?
Seit mindestens einem halben Jahrhundert wird im deutschsprachigen Raum
debattiert, was Geschlecht ist. Ein Überblick.
Offener Brief gegen „Cancel Culture“: Die Vielfalt im Diskurs
In einem offenen Brief monieren rund 150 Prominente eine „Atmosphäre der
Zensur“ in öffentlichen Debatten. Doch ist Widerspruch schon Zensur?
Podcast „Weißabgleich“: Lol, wir lachen uns tot
Wir finden heraus, wann Humor gegen Rassismus hilft – und wann uns das
Lachen einfach nur noch im Hals stecken bleibt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.