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# taz.de -- Sanierung mal anders: Müllberg soll Altlasten zudecken
> Im niedersächsischen Godenau sollen chemische und historische Altlasten
> entsorgt werden – indem ein Schuttberg draufgesetzt wird.
Bild: Hotspot in der Idylle: Blick von Norden über Godenau hinweg Richtung Alf…
Osnabrück taz | Godenau liegt idyllisch. Mittelgebirgs-Grün drumherum, Seen
und Felder. Ein paar Gehminuten entfernt schlängelt sich das Flüsschen
Leine dran vorbei. Der Ort selber aber, Teil der Kleinstadt Alfeld im
niedersächsischen Landkreis Hildesheim, kämpft mit einem Fluch:
„Desdemona“. So heißt die düstere Industriebrache nördlich von
Bundesstraße und Bahnlinie, und dass sie nach der Heldin aus Shakespeares
„Othello“ benannt ist, die am Ende qualvoll stirbt, passt ganz gut.
„Auf diesem Gelände darfst du viel machen“, sagt Bernd Beushausen, Alfelds
Bürgermeister (SPD), mit bitterem Humor. „Nur eins nicht: Mit dem Spaten
ein bisschen tiefer in den Boden rein!“ Er lacht ein bisschen. Den Spruch
kenne hier jeder. „Rund 150.000 Tonnen Erdreich sind hier verseucht. Durch
viele Schadstoffe, aus vielen Jahrzehnten.“
Kurz nach 1900 entstand hier ein [1][Kali-Bergwerk]; seine [2][Schächte
Desdemona I und II] existieren bis heute. Anfang der 1930er übernahm die
Wehrmacht die Anlage für eine unterirdische Munitionsfabrik. Später wurde
hier recycelt. Was dabei alles in den Boden gelangte, ins Grundwasser, fast
100 Jahre lang? Niemand weiß es genau. Saniert wurde nie.
Das soll sich jetzt ändern. Das Problem: Der derzeitige Eigentümer des
Desdemona-Geländes, das Abbruch-, Tiefbau- und Transportunternehmen Maja
aus Rehburg-Loccum, das hier einen Steinbrecher betreibt, kann die 5 bis 7
Millionen Euro Sanierungskosten nicht aufbringen. Und der Landkreis
Hildesheim, der finanziell einspringen müsste, hat „ein Interesse daran,
dass die Sanierung durch Dritte und nicht durch die öffentliche Hand
erfolgt“, teilt seine Sprecherin Birgit Wilken auf taz-Anfrage mit. Ist ja
auch billiger so.
## Belastend für die Anwohner
Die Lösung: Das entsorgungspflichtige Erdreich soll einfach überdeckt
werden. Durch 786.000 Tonnen größtenteils schadstoffbelastetes Material der
Umweltdienste Kedenburg aus Hildesheim, die hier in Arbeitsgemeinschaft mit
Maja einen 400 Meter langen, 100 Meter breiten und 11 Meter hohen Berg
errichten will aus mineralischen Abfällen und Reststoffen,
Verwertungsklasse Z2. Deckschicht drüber, fertig.
Es werde sich „ortstypischer Bewuchs einstellen“, sagt der Landkreis. Am
Ende sei das Ganze „von einer ‚natürlich‘ entstandenen Bodenerhebung kaum
noch zu unterscheiden“. Fünf Jahre würde die Aufschüttung dauern, mit rund
79.000 LKW-Fahrten, teils durch enge Wohnstraßen: belastend für die
Anwohner, lukrativ für die beteiligten Unternehmen.
Eine Sanierung im klassischen Sinn ist das nicht. „Da entstünde eine neue
Deponie“, sagt Beushausen. Gut, sie habe, sagt der Bürgermeister mit
hörbarer Skepsis, „auch sanierenden Charakter“, denn eine Überdeckung wü…
verhindern, dass Regen die Altverseuchung weiter ins Grundwasser auswäscht.
Aber es käme eine neue Belastung hinzu. Und an die Altlasten käme niemand
mehr ran.
Beushausen ist machtlos. „Weder der Rat noch die Verwaltung der Stadt haben
über eine Genehmigung des beantragten Vorhabens zu entscheiden“, sagt er.
„Diese Kompetenz liegt ausschließlich beim Landkreis Hildesheim.“
Aus Frustration hat der Rat seiner Stadt Ende Oktober 2020 einstimmig eine
Resolution verabschiedet. Eine neue Deponie sei „nicht dazu geeignet, die
gesetzliche Sanierungsnotwendigkeit zu erfüllen“, steht da. Umwelt- und
damit Bevölkerungsschutz habe Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen. Ein
Märchenland sind die Sieben Berge, der Höhenzug, in dem auch Godenau liegt,
also nicht.
In der Resolution erklärt sich [3][Alfeld] „solidarisch“mit der
Bürgerinitiative „Keine Altlasten im Leinetal“ (Kail). Die wiederum
spricht von einem „Giftmüllberg“, einer „Mogelpackung“, von „ökolog…
Wahnsinn“. Und ihre Widerstandskampagne gibt sich nicht damit zufrieden,
dass Sprüche stehen wie: „Kein 8. Berg! Kein weiterer Dreck! Das GIFT muss
weg!“,
„100 Jahre lang wurde hier umweltmäßig total rumgehurt!“, sagt
Kail-Sprecher Guido Franke. „Asbest, Ölschlamm, polyzyklische aromatische
Kohlenwasserstoffe! Radioaktive Salzlake aus der Asse ist runter ins
Bergwerk gekippt worden! Dazu die Schadstoffe aus der Kali- und
Munitionsproduktion!“
Alle Suchaktionen und Beprobungen seien „viel zu oberflächlich“ gewesen.
Schrottautos sollen hier im Boden liegen, Motoren, Fette, Kühlschränke,
Lackfarben, Treibstoffreste. „Wenn man das mal alles untersucht, muss
vermutlich noch viel, viel mehr ausgekoffert werden.“
Zudem, sagt Franke, habe es in Wehrmachtszeiten hier ein
Zwangsarbeiterlager gegeben. „Wenn die beantragte ‚Sanierung‘ genehmigt
würde, bedeutet das nicht nur eine Abdeckung einer Altlast mit belastetem
Material, hier würde auch noch gleich die Erinnerung an ein
verbrecherisches System und dessen Taten mit verschüttet.“
Aber auch, wenn der Entsorger Kedenburg nicht zum Zuge kommt und der
Landkreis die Sanierung selbst bezahlt: „Auf die Anwohner“, sagt
Beushausen, „kommt in jedem Fall eine Riesenbelastung zu. Das kontaminierte
Erdreich muss ja abtransportiert werden, frisches Erdreich nachgefüllt.“
Auch Kail will eine nachhaltige Sanierung. Sonst drohe „eine hochgradige
Verschmutzung des Grundwassers und somit eine akute Gefährdung des gesamten
Ökosystems der Leine“.
## Online-Petition beim Landtag
Mitte Januar hat Kail einen großen Erfolg erzielt. 5.600 Unterschriften
kamen zusammen für eine Online-Petition beim Landtag in Hannover – die
Leine, mitsamt der Godenau-Schadstoffe, fließt direkt an ihm vorbei. Am 24.
März hat die Initiative die Möglichkeit, ihr Anliegen im Landtag
vorzustellen und mit den Abgeordneten zu diskutieren. Ein „Aus den Augen,
aus dem Sinn“, so die Petition, dürfe es nicht geben.
Aufschiebende Wirkung hat die Petition nicht. Beim Landkreis Hildesheim
läuft derzeit das Genehmigungsverfahren. Es handele sich, sagt Wilken,
„nicht um die Einrichtung einer Deponie“, sondern „um eine Maßnahme zur
Sicherung eines Altstandortes“. Eine „hochgradige Verschmutzung“ sei nach
Einschätzung der Kreisverwaltung „nicht gegeben“.
Und Kedenburg? Die Hildesheimer Bettels-Gruppe, mit der sich Kedenburg den
Geschäftsführer Knut Bettels teilt, schweigt, von der taz um Stellungnahme
gebeten. Bettels nimmt für sich „absolute Nachhaltigkeit“ in Anspruch.
25 Jan 2021
## LINKS
[1] /Diskussion-ueber-Kali-Berg/!5693257
[2] http://www.vennekohl.de/Quellen/Godenau%20Kaliwerk%20Desdemona.pdf
[3] https://www.alfeld.de/
## AUTOREN
Harff-Peter Schönherr
## TAGS
Umwelt
Sanierung
Deponie
Zwangsarbeit
Entsorgung
Umwelt
Kali
Kali
Sklavenhandel
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