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# taz.de -- Prozess in Weimar: Rechter Kommissar vor Gericht
> Ein Polizist aus Weimar steht vor Gericht, unter anderem wegen des
> Verrats von Dienstgeheimnissen. Einsicht zeigt er nicht.
Bild: Der Angeklagte Tino M. zweifelt an der Pandemie und hetzt gegen Migrant:i…
Weimar taz | Als Tino M. den Saal betritt, beäugt er stirnrunzelnd, wie
viele Menschen gekommen sind, um den Gerichtsprozess gegen ihn am
Donnerstagmorgen im Weimarer Amtsgericht zu beobachten.
Gerichtsreporter:innen, Polizist:innen, interne Ermittler:innen der
Landespolizei, parlamentarische Beobachter:innen und
Journalist:innen warten auf das Urteil, das Richterin Ines Gloski an
diesem Tag zu verkünden geplant hat.
Anklagepunkte gibt es viele: In insgesamt 37 Fällen soll sich der Kommissar
der Polizeiinspektion Weimar der Bestechlichkeit, des Verrats von
Dienstgeheimnissen und des Verstoßes gegen die Geheimhaltungspflicht
schuldig gemacht haben.
Der 42-jährige Familienvater aus dem thüringischen Bad Berka soll der
damals Anfang 20-jährigen Hanna F. (Name von der Redaktion geändert)
interne Polizeidaten weitergeleitet, Informationen über Haftbefehle
gegeben, Bilder von Überwachunsgkameras sowie Dickpics von sich geschickt
haben. Außerdem soll er versucht haben, sie zu bestechen, indem er sexuelle
Handlungen von ihr im Tausch gegen interne Polizeidaten forderte. So heißt
es in der Anklage der Staatsanwältin Franziska Hetzer.
An zwei Prozesstagen sagten neben internen Ermitler:innen und
Polizeibeamten auch weitere Zeug:innen aus, darunter die
Hauptbelastungszeugin Hanna F. Diese bestätigte die Vorwürfe gegen M. Hanna
F. hatte zum Zeitpunkt des Chatkontakts in den Jahren 2017 und 2018 eine
Bewährungsstrafe, war wegen diverser Delikte polizeibekannt. Wie
Staatsanwältin Hetzer sagte, war es für Hanna F. nützlich, dass ein
Polizeibeamter sie mit Informationen versorgte.
## „Soll ich mir jetzt die Hose runterziehen?“
Hetzer wies auf die Chatprotokolle hin, die interne Ermittler:innen
sicherstellen konnten. In einem dieser Chats vom April 2017 schreibt M. an
das junge Mädchen: „Sex draussen?“ Als diese antwortet, ihr Freund sei da,
schreibt M. „Im Wald oder im Polizeiwagen“ und „Wenn ich dich sehe, geht
bei mir alles nach oben“. Als Hanna F. schreibt, er solle aufhören,
antworte M., er sei gerade aber „total heiß“ und im Polizeiauto sei „coo…
Als F. fragt, ob sie dann ihren Führerschein zurückbekomme, bejaht M..
Tatsächlich ist es nie zu sexuellen Handlungen gekommen – für die
Strafbarkeit ist das jedoch irrelevant. Als diese und andere Chatinhalte im
Gerichtssaal vorgelesen werden, schmunzelt M. nur. Tino M., ein großer,
bärtiger Mann im rosa Hemd, ist nicht vorbestraft. Er hat eine Frau und
drei Kinder. Seit 1997 ist er Polizist und wie er selbst sagt „schon ewig
Kommissar“.
Doch im Gerichtssaal zeigt sich, wer Tino M. wirklich ist. Immer wieder
stört M. den Prozess durch Flüstern und Unterbrechungen, lächelt die
Zeug:innen süffisant an oder zieht die Augenbrauen wissend nach oben. Nur
zu den Tatvorwürfen will er nichts sagen.
Die Staatsanwältin unterbricht er durch Zwischenrufe. Als sie die von M. an
die junge Hanna F. verschickten Bilder seiner Genitalien thematisiert, sagt
dieser lautstark: „Soll ich mir jetzt die Hose runterziehen? Wollen Sie
nachmessen?“
## Ein selbstsicherer Polizist
Schon im vergangenen Jahr [1][berichtete die taz von Tino M.s rechter
Gesinnung]. Erst einen Tag vor dem Prozess teilte er erneut auf Facebook
einen Post der Seite „Deutsch sein ist kein Verbrechen“, in dem beteuert
wird, er lasse sich nicht testen und nicht impfen. Der unauffällige Tino M.
ist einer, der die Echtheit der Pandemie anzweifelt, gegen Migrant:innen
hetzt und Frauen nicht ernst nimmt.
Dennoch erhält er rechtmäßig als suspendierter Kommissar noch immer 3.800
Euro netto monatlich – solange die Ermittlungen andauern. Staatsanwältin
Hetzer sprach im Prozess von einer möglichen „mangelnden Kontrolle bei der
Polizei.“ Auch die taz berichtete 2020 von einem „erheblichen
Führungsproblem“. Derzeit wird infolge von [2][taz-Recherchen] erneut gegen
Führungskräfte der Polizeiinspektion Weimar [3][ermittelt].
Das erwartete Urteil wurde auf kommende Woche vertagt. M.s Anwalt
behauptet, Hanna F. sei eine Informantin gewesen, sein Vorgehen
„rechtmäßiges Polizeiverhalten“. Er beantragte Freispruch für den
Mandanten. Für Staatsanwältin Hetzer hingegen ist eindeutig, dass sich die
Anklage bestätigt hat. Sie beantragt für den Kommissar Tino M. eine
Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten.
22 Jan 2021
## LINKS
[1] /Vorwuerfe-gegen-die-Polizei-in-Weimar/!5686849
[2] /Fehlverhalten-Thueringer-Beamter/!5721148
[3] /Polizeiskandal-in-Weimar/!5736628
## AUTOREN
Sarah Ulrich
## TAGS
Thüringen
Polizei
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Sexualisierte Gewalt
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Gericht
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Polizeigewalt
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