# taz.de -- Linksalternative Kneipe Syndikat: Aufgeben kommt nicht infrage | |
> Im Sommer wurde die linksalternative Kneipe Syndikat geräumt, ein | |
> Herzstück im Schillerkiez. Jetzt sucht das Kneipenkollektiv nach einem | |
> neuen Ort. | |
Bild: „Sie haben uns den Raum genommen, nicht die Idee.“ Christian steht we… | |
Berlin taz | Christian, der ehemalige Wirt des Syndikats, steht vor seiner | |
ehemaligen Kneipe und raucht. Im Sommer wurde die linksalternative Kneipe | |
Syndikat im Schillerkiez von 750 Polizist:innen geräumt. | |
Menschen, die auf Holzhockern sitzen und sich in Kneipenlautstärke | |
unterhalten, der Stofffetzen im Fenster, auf dem „Nazis raus“ steht, und | |
Christian, der Wirt, der Bier ausschenkt – all das findet sich nicht mehr | |
in der Weisestraße 56. „Natürlich haben wir gehofft, dass nicht geräumt | |
wird“, sagt Christian. | |
Er trägt schwarze Kleidung und hat ein Piercing in der Nase. 14 Jahre | |
arbeitete der 43-Jährige im Syndikat. Seinen Nachnamen möchte Christian | |
nicht in der Zeitung lesen, damit er sich für das Kneipenkollektiv um | |
Mietobjekte bewerben kann, ohne direkt mit dem Syndikat verbunden zu | |
werden. | |
Dessen Räumung war lange geplant und wurde mehrmals verschoben. | |
[1][International wurde darüber berichtet], als Beispiel der | |
Gentrifizierung Berlins und des Protests dagegen. Seit der Räumung sucht | |
das Kneipenkollektiv nach einem neuen Raum im Schillerkiez. Wie läuft’s? | |
Das Syndikat-Kollektiv sucht vor allem nach leer stehenden Gewerberäumen im | |
Schillerkiez. „Wir gehören hier auf jeden Fall wieder hin“, sagt Christian. | |
Er selbst wohnt in der Nähe der ehemaligen Kneipe, so wie die meisten des | |
Kollektivs. Gemeinsam mit solidarischen Nachbar:innen und früheren | |
Stammkund:innen hält es Ausschau nach Leerstand im Kiez. „Wir gucken | |
auch auf den einschlägigen Webseiten“, sagt Christian. | |
## Das Syndikat als Berliner Kulisse | |
Als er mit einem Kaffee to go aus einer Bäckerei geht, trifft er eine | |
ehemalige Stammkundin: „Und? Schon einen neuen Raum gefunden?“, fragt sie. | |
„Nein, leider noch nicht“, sagt Christian. | |
Vorstellbar ist für das Kollektiv nicht nur eine Kneipe. „Meinetwegen | |
können es auch fünf Kneipen sein“, sagt er. Es gehe dem Kollektiv viel mehr | |
um selbst verwaltete Orte. „Wir wollen freie Orte, nicht immer nur mit dem | |
reinen Kapitalinteresse im Hinterkopf.“ Dem Schillerkiez fehle es an | |
Stammkneipen. „Hartz-IV-Empfänger, die hier schon länger leben, können sich | |
den hippen Macchiato und was es noch alles gibt, nicht leisten, das | |
interessiert sie überhaupt nicht.“ | |
Christian wirkt frustriert von der Entwicklung des Schillerkiezes. „Hier | |
ist schon längst alles zugentrifiziert.“ Als das Syndikat 1985 von | |
Anwohnenden eröffnet wurde, war der Kiez einer der ärmsten Berlins und lag | |
noch in der Einflugschneise des Flughafens Tempelhof. Seitdem wurde die | |
Gegend immer beliebter. Zuletzt seien manchmal Tourist:innen | |
vorbeigekommen, um das „original Berlin“ zu erleben, sagt Christian: | |
„Zwischenzeitlich hatte man echt das Gefühl, dass man eine Kulisse ist.“ | |
## 30.000 Stunden Polizei-Arbeit für die Räumung | |
Als die Berliner Polizei [2][die Kneipe im August räumte], hatte sie | |
mehrere Straßen rund um das Syndikat gesperrt und einen Gerichtsvollzieher | |
unterstützt. 30.000 Stunden arbeitete die Polizei für die Räumung. „Das ist | |
Irrsinn“, sagt Christian mehrmals. | |
Mehrere tausend Menschen hatten sich anlässlich der Räumung solidarisch mit | |
der Kneipe gezeigt. „Nach der Räumung wurde sofort alles zugemauert“, sagt | |
Chirstian und zeigt mit der Hand auf die ehemalige Kiezkneipe, auf deren | |
zugezogenen Rollläden immer noch Sticker kleben. | |
Im September hatten Nachbar:innen des Syndikats einen [3][Brief] an den | |
Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses geschrieben. Darin | |
beschweren sie sich über Schikanen der Polizei im Zusammenhang mit der | |
Räumung. „Teilweise hat die Polizei den Besitzer:innen dann gesagt, | |
dass sie sich bei uns beschweren sollen“, sagt Christian. Er zuckt mit den | |
Schultern: „Die haben sich dann auch bei uns beschwert, aber über die | |
Polizei.“ | |
Vieles sei den Nachbar:innen unverständlich, sagt Christian. Zum | |
Beispiel, dass die Anwohnenden nicht über die am 6. August eingerichtete | |
Sperrzone informiert worden seien. Auch nach der Räumung wurde die Gegend | |
polizeilich überwacht. „In die Wohnung über der Kneipe zogen | |
Security-Mitarbeiter ein“, erzählt Christian. | |
## Das Kollektiv ist verankert im Kiez | |
Und heute? Christians Verhältnis zu den Nachbar:innen ist immer noch | |
gut: Beim Spaziergang durch den Schillerkiez grüßt er viele Menschen, denen | |
er begegnet. „Mir ist wichtig, dass wir nicht aufgeben“, sagt er. Die | |
Motivation, weiterzumachen, sei enorm. | |
Noch immer treffe sich das Syndikat-Kollektiv. „Es gibt nicht so viel zum | |
Plenieren, der Austausch ist eher freundschaftlich.“ Als noch Sommer war, | |
hätten sie sich oft vor der geräumten Kneipe getroffen und getrunken. „Sie | |
haben uns den Raum genommen, nicht die Idee“, sagt Christian. | |
Während das Kollektiv nach geeigneten Räumen sucht, engagieren sich | |
einzelne Mitglieder in verschiedenen Organisationen und Bündnissen. „Wir | |
vernetzen Mieter:innen und organisieren uns in linken Kämpfen“, sagt | |
Christian. Dazu gehört die Unterstützung von anderen Mieter:innen des | |
sich gern hinter Scheinfirmen tarnenden Immobilienriesen Pears Global, der | |
als Besitzer des Syndikats letztlich dafür verantwortlich war, dass die | |
Kiezkneipe geräumt wurde. | |
Wie andere aus dem Syndikat ist Christian aktiv bei der Initiative | |
„Deutsche Wohnen & Co. enteignen“. Ob er auch Unterschriften gesammelt | |
habe? „Natürlich“, sagt er. Andere aus dem Kollektiv seien beim Bündnis | |
„Wer hat, der gibt“ oder der „Interkiezionale“. | |
## „Mietrechte wird man uns nicht schenken“ | |
Mit 24 anderen gründet Christian gerade die [4][Berliner | |
Mieter:innengewerkschaft]. Statt um Arbeitsrechte soll dort für | |
Mietrechte gekämpft werden. „Wenn Akteur:innen um ihre Häuser kämpfen, | |
dann lernen sie ganz schnell ganz viel“, sagt Christian. | |
Dieses Wissen will die Gewerkschaft bündeln. Dabei sollen Mieter:innen | |
miteinander vernetzt werden. Ihr erstes Projekt war der Protest gegen | |
Heimstaden, ein schwedisches Unternehmen, das in Berlin mehr als 4.000 | |
Wohnungen kaufte. | |
Ob Christian ein Fan von Basisdemokratie sei? „Ich bin ein Fan von | |
Mitbestimmung“, sagt er. „Mietrechte wird man uns nicht schenken, wir | |
müssen die fordern.“ Er ist nach dem Spaziergang durch den Kiez wieder vor | |
dem ehemaligen Syndikat angekommen, um sein Fahrrad abzuschließen. Im | |
Schaufenster in der Nachbarschaft hängt ein Transparent: „Schillerkiez | |
wehrt sich.“ | |
21 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.lexpress.fr/actualite/berlin-veut-rester-boheme_2052218.html | |
[2] /Raeumung-der-Kneipe-Syndikat-in-Berlin/!5705833 | |
[3] /Nach-der-Raeumung-des-Syndikat-in-Berlin/!5711075 | |
[4] /Mietenproteste-in-Berlin/!5730246 | |
## AUTOREN | |
Nicole Opitz | |
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